Ingolstadt

Ukrainische Kriegsflüchtlinge schildern ihre Not

05.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:33 Uhr

Ingolstadt (sic) Die Ukraine - ein sicheres Herkunftsland? Aus amtlich-deutscher Sicht ist sie das. Ihre Angehörigen und Freunde in der Heimat erleben das allerdings anders, erzählen drei Ukrainerinnen vor großem Publikum im Bürgerhaus Neuburger Kasten.

Wenn einem zu Hause oder den Kindern in der Schule wegen des Artilleriefeuers die Fensterscheiben um die Ohren fliegen, entwickle man eine Vorstellung von "sicherer Herkunft", die der deutscher Politiker deutlich widerspreche. "Denn in der Ukraine herrscht Krieg! Deshalb sind wir hier in Deutschland. Und wir können nicht zurückgehen."

Die Asylbewerber bleiben in der Gesprächsrunde im voll besetzten Café des Neuburger Kastens bei ihren Vornamen - aus Angst, ihre Angehörigen in der Ukraine könnten etwas erleiden, wenn die Geflüchteten in Deutschland öffentlich Kritik üben - an den Separatisten und an den Russen, "die unser Land okkupiert haben", wie Alex sagt. "Ich kann nicht zurück, weil ich den Militärdienst verweigert habe, denn ich will nicht in den Krieg", erzählt der junge Mann. Auf ihn warte in der Ukraine deshalb das Gefängnis. Umso schlimmer, dass er sich auch in seiner Ingolstädter Unterkunft - er wohnt im Containerlager an der Marie-Curie-Straße - fast vorkomme wie in einer Strafanstalt. "Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren hier. Doch ich darf nicht arbeiten, keine Ausbildung beginnen und keine Deutschkurse besuchen." Sein Leben sei frustrierend. Aber er sagt es noch einmal: "Ich kann nicht zurück in die Ukraine." Jenen sicheren Herkunftsstaat - aus deutscher Sicht.

Auch Ludmilla kommt sich in der "Rückführungseinrichtung" (wie das Containerlager für abzuschiebende Flüchtlinge offiziell heißt) vor "wie in einem Gefängnis". Sie seien stark isoliert, müssten im Inneren die Telefone ausschalten, sie dürften nicht mal Brot im Zimmer aufbewahren, und ihre Flüchtlingsausweise würden oft nur für wenige Tage verlängert. Das empfinde sie als Schikane, weil das einigen Stress bedeute. Doch von den Ausweisen hänge es ab, Sozialleistungen zu erhalten. Sogar Nagelscheren würde ihnen die Security wegnehmen. "Ich verstehe nicht, warum ich hier wie im Gefängnis leben muss", sagt Ludmilla. "Ich habe doch nichts gemacht!"

Die Ukrainerin Olga erzählt ebenfalls schlimme Geschichten aus dem Ingolstädter Abschiebelager, in dem sie leben muss: selbstherrliches bis böses Auftreten einiger Männer von der Security. "Sie drohen dir oft mit deiner sofortigen Rückkehr in die Ukraine!" Aber sie wagt es trotzdem, öffentlich Kritik zu üben. Und sagt Sätze wie: "Viele von uns haben Depressionen." Oder: "Ich fühle mich in der Stadt sicherer als im Lager."

Naser Bajrushaj, ein Asylbewerber aus dem Kosovo, kritisiert die Zustände im Lager an der Marie-Curie-Straße ohne Angst, unter vollem Namen. In seiner Heimat sei die Situation "einfach grauenhaft und furchterregend". Er erwarte in Deutschland zumindest, menschenwürdig behandelt zu werden. Außerhalb des Lagers habe er von Deutschen schon viel Zuwendung erfahren, erzählt Bajrushaj. "Und dafür bedanke ich mich ganz herzlich!"

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