München

Faschingsgaudi im Advent

Stefan Zweigs "Volpone" nach Ben Jonson als herrlich schräge Farce im Münchner Volkstheater

01.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:07 Uhr

Der reiche Volpone lässt über seinen Diener Mosca das Gerücht verbreiten, er sei sterbenskrank. Die Erbschleicher kommen auch gleich und überhäufen ihn mit Geschenken. Es spielen Peter Miterrutzner als Corbaccio, Jakob Immervoll als Mosca und Silas Breiding in der Titelrolle (von links). - Foto: Neeb

München (DK) Einem Tollhaus gleicht Volpones repräsentatives Palazzo in Venedig. In einem mit üppigen weißen Blumenbouquets geschmückten Audienzsaal bereitet sich der reiche Kaufmann aus Symnra auf seinen Tod vor. Freilich nicht wirklich, sondern mit einer makabren Motivation.

All seinen windigen Konkurrenten und Geschäftsfreunden verspricht er, sie als Alleinerben seines schier unermesslichen Immobilien-, Schmuck- und Geldbesitzes einzusetzen, wenn, ja wenn sie ihm jetzt und sofort einen Teil ihres vor der Steuer hinterzogenen oder durch unsaubere Geschäfte angehäuften Reichtums überlassen.

Doch nicht er selbst fädelt diesen Schmu ein, sondern sein Faktotum Mosca, der noch liederlicher und gerissener ist als er selbst. Und so stürmen sie alle durch die vier Türen in Volpones blumengeschmücktes graues "Sterbezimmer" (Bühnenbild: Vincent Mesnaritsch). Als untereinander bis aufs Messer verfeindete "Freunde" schleppen die Erbschleicher schon mal protzige Kränze mit der Aufschrift "Mit baldiger Trauer" auf der Kranzschleife herbei, bieten ihre Ehefrauen zu Volpones "Gesundung" für ein nächtliches Tête-à-tête an und heucheln Anteilnahme, während Volpone im neonbeleuchteten Himmelbett ganz arg hüstelt, röchelt und seine letzten Atemzüge simuliert.

Unter das Motto "Sterben und erben" hat der Shakespeare-Zeitgenosse Ben Jonson (1573-1637) diese Komödie über den ebenso ausgefuchsten wie raffgierigen "Signore Magnifico" Volpone gestellt, der als Oberschurke "in der Stunde seines Todes" all seine Mitgauner zur Kasse bittet. Stefan Zweig hat in seiner Übersetzung und Bearbeitung vom Jahre 1926 diese schwarze Komödie in die Nähe des "Jedermann" seines Kollegen Hugo von Hofmannsthal gerückt und die Korrumpierung der Menschen durch ungehemmtes Streben nach Reichtum und Vermögen noch stärker herausgearbeitet.

Und was destillierte Abdullah Kenan Karaca, der 1989 in Garmisch-Partenkirchen geborene verheißungsvolle Nachwuchsregisseur, aus dieser überzeitlichen Vorlage nun im Münchner Volkstheater? Eine mit reichlich Klamauk angereicherte, grelle und herrlich überdrehte Farce mit Figuren aus dem surrealistisch-absurden Abnormitätenkabinett. Eine schräge Mischung aus den zu Mafiosi abgesunkenen Commedia-dell'arte-Figuren und skurrilen Nosferatu-Geklonten sind die Männer (Jonathan Müller, Peter Mitterrutzner und Jonathan Hutter), während die beiden Frauen als aufgetakelte, bigott-ordinäre Hyäne (Carolin Hartmann) und als schrilles Flitscherl (Nina Steils) in vogelwilden Kostümen (von Elke Gattinger) durch den Salon wirbeln. Venezianische Schießbudenfiguren allesamt wie aus dem Karikaturenbilderbuch, die sich in ihrem outrierten Spiel nicht nur stets gegenseitig zu überbieten versuchen, sondern ständig auch das Publikum als Komplicen bei all ihren Machenschaften und Lumpereien einbeziehen wollen, bis sie schließlich als betrogene Betrüger entlarvt werden.

Vor allem Silas Breiding gibt den von seinem übersteigerten Ego getriebenen Volpone als fiesen, hinterhältigen, auf der Klaviatur aller Intrigen virtuos spielenden Kotzbrocken ab, während Jakob Immervoll als Volpones Diener und mit allen Wassern der Niedertracht gewaschenen Dandy hinreißend verkörpert. Ein begnadeter Heuchler ist er, ein liebenswerter Gauner, der auch noch als Playbacksänger musikalische Schmachtfetzen aus der Barockzeit herzergreifend zu Gehör bringt.

Jedenfalls jubelnder Applaus des Premierenpublikums für diese fetzige Faschingsgaudi im Advent.

Die nächsten Aufführungen im Münchner Volkstheater sind am 5., 10. und 25. Dezember sowie am 2., 8. und 21. Januar 2018. Kartentelefon: (089) 523 46 55.

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