München

"Wir brauchen mehr kleine Wohnungen"

Kuratorin Hilde Strobl über 100 Jahre Wohnungsbau in Bayern im Wandel der Zeit - Ausstellung in München und Landshut

16.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:23 Uhr
Mitte der 1950er-Jahre ist die Parkstadt in München Bogenhausen entstanden. Eine Ausstellung beleuchtet den Wohnungsbau im Freistaat und zeigt seine Geschichte von den Anfängen nach dem Ersten Weltkrieg bis zu gegenwärtigen Aufgaben und Förderkonzepten. Nach der Station in München geht die Schau nach Landshut. −Foto: Fotos: Wohnungs- und Siedlungsbau Bayern GmbH & Co. OHG, Kurt Otto, 1958, Sigg

München (DK) Ein neues Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr ist im Freistaat eingerichtet worden. Außerdem hat das bayerische Kabinett vor wenigen Tagen beschlossen, den Wohnungsbau in Bayern weiter anzukurbeln. Noch vor der Sommerpause soll die Wohnungsbaugesellschaft "BayernHeim" gegründet werden.

Kurios, denn 2013 hat die Bayerische Landesbank und damit die Hausbank des Freistaats 32000 Wohnungen der GBW-Gruppe verkauft. Ende April nun hat der Landtag mit den Stimmen der Opposition einen Untersuchungsausschuss zu diesem umstrittenen Thema eingesetzt. Solche Wohnungsbaugesellschaften sind in den fortschrittlichen 20er-Jahren erfunden worden, und überhaupt hat man in dieser Zeit viel ausprobiert. Das zeigt eine Rückschau des Münchner Architekturmuseums in der Pinakothek der Moderne auf die vergangenen 100 Jahre Wohnungsbau in Bayern. Wir haben mit Kuratorin Hilde Strobl über gute alte Ideen und interessante neue Konzepte gesprochen.

Frau Strobl, aktuell werden 3000 Sozialwohnungen in Bayern gebaut. Das waren schon mal deutlich mehr?

Hilde Strobl: Ja, 1929 waren es fast 16000 und 1956 sogar über 37000 Wohnungen. Heute spricht man allerdings vom öffentlich geförderten Wohnungsbau, und es gibt unzählige Varianten. Das reicht von einer anteilmäßig geringen bis zur Gesamtförderung.

Was sagen diese Zahlen dann überhaupt aus? 

Strobl: Dass der Druck nach den Kriegen und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg immens gewesen ist. 1945 war in den bayerischen Städten zwischen 20 und 70 Prozent des Wohnraums vernichtet, gleichzeitig kamen 1,9 Millionen Flüchtlinge in den Freistaat. 1918 gab es zwar keine Zerstörungen, aber durch die Industrialisierung zogen in den 20er-Jahren viele vom Land in die Stadt und trafen dort auf einen maroden, nie sanierten Baubestand. Wohnraum war so knapp, dass man 1919 in Bayern eine Notverordnung beschloss und Wohnungslose zwangsweise einquartiert hat.

1919 wurde allerdings auch das Recht auf eine gesunde Wohnung in der Weimarer Verfassung verankert. Ist dadurch wirklich mehr gebaut worden?

Strobl: Die Kommunen begriffen das schon als Auftrag. Die Situation war ja auch neu, der Staat hat sich vorher nicht um die Unterbringung der weniger Bemittelten gekümmert. In den 20er-Jahren übernimmt er dann die Aufgaben, die seit dem 16. Jahrhundert bei den Adligen, der Kirche oder bei reichen Kaufleuten wie den Fuggern lagen. Daran hat man sich bewusst erinnert und etwa in Augsburg am Stadtrand den Eschenhof gebaut. Im Inneren finden wir Kleinwohnungen, nach außen zeigt sich eine mächtige vierflügelige Hofanlage. Die Stadt hat ihre Sozialleistung stolz präsentiert.

Dagegen hat man heute das Gefühl, Staat und Städte würden solche Aufgaben gerne wieder abwälzen?

Strobl: Die Bauaufgaben wurden jedenfalls schon ernster genommen. Natürlich steigt die Gesamtzahl der geförderten Wohnungen - bei den eingangs genannten Zahlen ist ja der Altbestand nicht mitgerechnet. Es stellt sich nur die Frage, ob das ausreicht. 1930 wurde zum Beispiel die Gemeinnützigkeitsverordnung eingeführt, das heißt, Unternehmen, die Sozialwohnungen gebaut haben, waren von der Steuer befreit. Diese Verordnung wurde 1988 abgeschafft. Das hing damals auch mit der Affäre um die Neue Heimat zusammen, da gab es beträchtliche Missstände. Mit der Abschaffung hat man allerdings das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Können die 20er-Jahre für uns heute noch als Vorbild im Wohnungsbau herhalten? 

Strobl: Auf jeden Fall. Auch insofern, als man Sozialwohnungen nicht einfach nur am Stadtrand, sondern in der Innenstadt gebaut hat. Das ging aber nur durch Nachverdichtung. Etwa, indem man niedrige Häuser abgerissen hat, um fünf- oder sechsgeschossige Anlagen zu errichten. Damals wurde viel ausprobiert, und man hat Architekten aufgefordert, neue Konzepte zu entwickeln. An der Arnulfstraße im Münchner Stadtteil Neuhausen gibt es eine Versuchssiedlung, an der sich gleich mehrere Architekten erprobt haben, möglichst günstig möglichst gute kleine Wohnungen in Serie zu bauen. Und das ist kein Einzelfall.

Wie haben sich die Grundrisse der Wohnungen verändert?

Strobl: Was die Größe betrifft, gar nicht so sehr. Bezeichnend für den Wandel ist vielmehr die Platzierung der Küche. In den 20ern gab es eine große Wohnküche, dort war ja auch die einzige Wärmequelle - der Wamsler. In den Versuchssiedlungen wurden dann zentrale Heizungen eingebaut. Dadurch konnte man auch die anderen Räume besser nutzen. Die Küche wurde immer mehr zur Funktionsküche, in der man nur das Essen zubereitet hat. In den 50er-Jahren kommt es dann zu einer Mischform von Wohn- und Kochküche. Und in den 60er- und 70er-Jahren werden die Grundrisse offener, was schlicht mit der verbesserten Heizungssituation zu tun hat.

Die Ansprüche ans Wohnen haben sich gerade seit den 90er-Jahren noch einmal sehr verändert. Das ist gerade bei altem Baubestand eine Herausforderung.

Strobl: Ja, in den 1990er-Jahren mussten viele Altstadthäuser, aber auch mehrgeschossige Wohnhäuser der 1950er- bis 1970er-Jahre modernisiert werden, um auf den zeitgemäßen Standard zu reagieren. In Ingolstadt wurde zum Beispiel an der viel befahrenen Nordtangente eine für die 1970er-Jahre typische und radikal durchstrukturierte Wohnhochhausscheibe saniert.  Das Architekturbüro Sieverts führte  Lärmschutzmaßnahmen durch, die Fassade wurde aufgelockert und die bislang einheitlichen 3-Zimmer-Wohnungen in verschieden große Einheiten umgebaut. Neben einer höheren Wohnqualität richtete sich das Angebot nun auch an eine vielfältigere Bewohnerstruktur.  

In den 90er-Jahre kommt es ja auch zu inhaltlichen Neuausrichtungen?

Strobl: Es haben sich Initiativen gegründet, um etwa familienfreundliches oder generationenübergreifendes und barrierefreies Wohnen zu ermöglichen. Auch Ökologie, kostengünstiges Bauen und Nachverdichtung wurden immer mehr zum Thema. Diese Ansätze spielen heute beim geförderten Wohnungsbau eine große Rolle. In der Ingolstädter Altstadt wurde zum Beispiel nachverdichtet und nach dem Entwurf von Andreas Meck Wohnraum für verschiedene Bevölkerungsgruppen geschaffen: Zuerst entstanden zwei Riegel mit Sozialwohnungen, dann ein integriertes Wohnprojekt und schließlich ein Studentenwohnheim.

In den großen Städten wohnen heute Singles in Räumen, die sich früher mehrköpfige Familien geteilt haben?

Strobl: Bayernweit gibt es aktuell 20,3 Prozent Einpersonenhaushalte. Und über 40 Prozent der Bewohner sind 75 Jahre und älter. Die nächsten sind dann die 20- bis 30-Jährigen, bevor sie eine Familie gründen. In München ist das extrem, im Jahr 2013 haben 55 Prozent der Bevölkerung in Einpersonenhaushalten gelebt. Zum Vergleich: Nur 9 Prozent wohnen hier in einem mehr als 5-Personen-Haushalt.

Man kann den Leuten ja nicht vorschreiben, alle in WGs zusammenzuziehen. Aber was würde beim Wohnungsbau Sinn machen?

Strobl: Dass wir mehr kleine Wohnungen brauchen, liegt auf der Hand. Gleichzeitig sollte man aber auch an neue Konzepte denken. Im höllisch teuren Zürich ist die Kalkbreite ein schönes Beispiel. Man ist Mitglied einer Genossenschaft, und wenn etwa die Kinder ausziehen und der Platzbedarf sinkt, wird man gezwungen, innerhalb der Anlage umzuziehen. Eine andere Idee verfolgt "Wagnisart" auf dem Münchner Domagkgelände. Dort gibt es so genannte Clusterwohnungen, das sind Ein-Zimmer-Wohnungen mit einer Teeküche, die sich um einen großen Gemeinschaftsraum gruppieren. Das ist sicher eine Lösung für Menschen, die im Alter weniger Geld haben, einen eigenen Rückzugsbereich brauchen, aber auch Anschluss suchen.

In den großen und mittleren Städten ist die Finanzierbarkeit von Wohnraum das wirklich drängende Problem.

Strobl: Der Staat kann sicher nicht alles regeln, aber er kann die Bedingungen für den Wohnungsbau verändern und durch gezielte Fördermaßnahmen und klare Vorgaben eingreifen. Der freie Markt allein wird die Wohnungsfrage nicht lösen, zumindest daran hat sich in den vergangenen 100 Jahren nichts geändert.

Die Fragen stellte Christa Sigg.

ZUR PERSON
Die Kunsthistorikerin aus Neuburg an der Donau ist seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin am Architekturmuseum der TU München. 2013 promovierte sie beim Architekturhistoriker Winfried Nerdinger über "Wolfgang Hildesheimer und die bildende Kunst".

"Wohnungsbau in Bayern von 1918 bis 2018": noch bis 21. Mai in der Pinakothek der Moderne in München (Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr); 12. Juni bis 8. Juli im Rathausfoyer der Stadt Landshut, Altstadt 315 (Di bis Fr und So 14 bis 18, Sa 11 bis 17 Uhr).

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/wir-brauchen-mehr-kleine-wohnungen-3143422
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