Ingolstadt

Gemeinsame Front gegen Flachbau

Stadtentwicklungsausschuss verweigert erneut Zustimmung zu Bauantrag von Lidl - obwohl er damit eine Klage riskiert

03.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:38 Uhr
Vorbild: Ganz ähnlich wie das 2017 eröffnete Lidl-Flaggschiff an der Neuburger Straße soll auch der umstrittene neue Supermarkt an der Goethestraße aussehen. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Das war deutlich: Die Mitglieder des Stadtentwicklungsausschusses wollten am Dienstag dem Bauantrag von Lidl, die Filiale an der Goethestraße durch eine größere ersetzen zu dürfen, erneut nicht zustimmen. Begründung: Auch dieses Gebäude soll nur eingeschossig werden. Das sei Platzverschwendung, finden die Vertreter aller Parteien. Obwohl es laut Verwaltung keine rechtliche Möglichkeit gibt, den Bau zu verhindern, erklärte das Gremium unisono seine "erhebliche Verärgerung" über Lidl.

Die Szene erinnerte an die Urteilsverkündung eines Gerichts. Als es juristisch richtig verzwickt wurde, und das Dilemma des Ingolstädter Stadtrats drastisch zu Tage trat, entschied sich der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses, OB Christian Lösel (CSU), für einen ungewöhnlichen Schritt: Er unterbrach die Sitzung und bat die Vertreter aller Fraktionen zur Beratung in den Kleinen Sitzungssaal gleich nebenan. Wenige Minuten später kehrten der OB und die Stadträte zurück. Mit ernstem Blick und in staatstragendem Ton verkündete Lösel, was man soeben gemeinsam beschlossen habe: "Ich spreche jetzt im Namen aller Fraktionen. Der Bauantrag von Lidl wird zurückgezogen und in der nächsten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses behandelt. Die Verwaltung der Stadt Ingolstadt wird die Regierung von Oberbayern um eine Stellungnahme bitten." Es folgte ein Finale dieser Erklärung, das man in der Unternehmenszentrale von Lidl als Kampfansage aus Ingolstadt auffassen darf, ja es vielleicht sogar muss. Lösel: "Ich erkläre nochmals, dass alle Fraktionen die Situation als inakzeptabel beurteilen, und dass der Stadtrat das Verhalten der Firma Lidl mit erheblicher Verärgerung aufnimmt!"

Welche Aufwallung! Was für eine Frontstellung! Wie konnte es so weit kommen? Zur Erinnerung: Der Lebensmittelriese Lidl plant, seinen Markt an der Goethestraße abzureißen und durch einen größeren zu ersetzen; der soll allerdings auch nur eine Etage bekommen - so wie das bestehende Gebäude. Die Stadträte aller Parteien sehen in einem neuen Flachbau - zumal in diesem dicht besiedelten Viertel - eine "Platzverschwendung" mit fast schon provozierender Gestalt. Lidl müsse ein Stockwerk draufsatteln und so Wohnraum schaffen, lautet die Forderung. Ein Gespräch Lösels mit Vertretern des Discounters verlief erfolglos (und sehr frustrierend, wie der OB andeutete). Der Ausschuss hat die Entscheidung über den Bauantrag von Lidl bereits zweimal vertagt. Gestern folgte das "So nicht!", Teil drei.

Juristisch wird die Situation indes langsam heikel. Lidl habe das Recht, auf dem Gelände so zu bauen, wie es das Unternehmen wünscht. Dem Stadtrat dagegen fehle der Hebel, ein höheres Gebäude einzufordern - das wurde schon in der Juni-Sitzung klar. Die Stadtverwaltung hat die Rechtslage geprüft. Am Dienstag teilte Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle das Ergebnis mit: "Ich verstehe Ihren Unmut, aber ich sehe keine Möglichkeit, das rechtlich zu verhindern." Sollte der Stadtrat die Entscheidung über den Bauantrag von Lidl weiter verzögern, drohe bald eine Klage des Unternehmens. "Die werden da nicht einfach zuschauen! Es geht hier um eine Investition von Lidl. Wenn wir den Bauantrag weiter ablehnen, haben wir eine Klage am Hals. Der Rechtsanwalt von Lidl steht schon in den Startlöchern."

So ernst also ist die Lage. Allerdings werden auch die Justiziare der Regierung von Oberbayern bald in diesem Konflikt aktiv. Lösel will die Behörde um eine rechtliche Stellungnahme bitten, "um unsere Mitarbeiter vor fehlerhaften Entscheidungen zu schützen". Sollte Lidl die Stadt wegen "Untätigkeit" verklagen, müsse die Haftungsfrage unbedingt geklärt sein, betonte der OB. "Und wir müssen auch den Stadtrat schützen!"

Christoph Lauer (Grüne) wäre zunächst dazu bereit gewesen, dem Bauantrag diesmal zuzustimmen. "Denn was soll sich noch ändern? Lidl pocht auf seinem Recht." Man müsse auf die Firma zugehen und sie davon überzeugen, "in Zukunft etwas Besseres auf den Tisch zu legen". An der Stelle zog Hans Achhammer (CSU) jedoch die Notbremse: "Wir sind verärgert! " Er habe die rechtliche Beurteilung der Verwaltung soeben erst erhalten, berichtete er. "Ich möchte das vorher schon noch in meiner Fraktion besprechen." Er stelle klar: "Wir wollen nicht den Supermarkt verhindern! Wir wollen, dass das Grundstück effektiver genutzt wird."

Wie grantig viele Stadträte mittlerweile sind, zeigte ein Dialog zwischen Lösel und Manfred Schuhmann. Der Ausschusssprecher der SPD schlug vor, den Druck zu erhöhen "und Lidl klarzumachen, dass die bei ihrem nächsten Bauantrag keine Chance mehr haben, so durchzukommen. Denn die erpressen uns doch!" Ordnungsruf Lösel: "Ich bitte, die Wortwahl zu überdenken!" Schuhmann: "Gut, ich ziehe die Erpressung zurück."

Dabei schaute er aber nicht gerade diplomatisch drein.

 

Christian Silvester

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/gemeinsame-front-gegen-flachbau-3098656
© 2024 Donaukurier.de