Alte Länder, neue Länder

Ein Kommentar zum Tag der Deutschen Einheit von Johannes Greiner

02.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:33 Uhr

Es wäre zu schön, wenn nach knapp 30 Jahren der Tag der Deutschen Einheit einfach nur ein riesiges Fest rund um das Brandenburger Tor sein könnte. In Wahrheit fällt der Feiertag aber mitten in eine aufgeregte Debatte um Chemnitz und Köthen, um Rassismus und rechte Gewalt, den Aufstieg der sächsischen AfD zur Volkspartei. Ist da doch nicht zusammengewachsen, was zusammengehört? Oder vielleicht das falsche?

Nein, die Frage ist schon verkehrt gestellt. Natürlich hat Sachsen ein - allzu lange verleugnetes - Problem mit rechtsextremen Strukturen. Und es ist eine Schande, dass man Menschen mit erkennbar "ausländischem" Aussehen nicht guten Gewissens empfehlen kann, in manchen Regionen in Ostdeutschland Urlaub zu machen. Aber Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung sind längst kein exklusives Problem der "neuen" Bundesländer mehr.

Auch Überalterung, Arbeits- und Perspektivlosigkeit trennen das Land nicht mehr entlang der alten innerdeutschen Grenze. Es ist zwar alarmierend, wenn eine aktuelle Prognos-Studie voraussagt, dass der Osten Deutschlands wirtschaftlich nicht weiter aufholt, sondern sogar wieder zurückfallen wird. Aber bei einem genaueren Blick trifft das auch auf Städte und Regionen im Westen zu. Die vielbeschworene Spaltung der Gesellschaft ist keine zwischen Ost und West. Sie ist sogar in den reichsten Regionen des Landes - also etwa hier in der Mitte Bayerns - spürbar. Und sie ist auch kein spezifisch deutsches Problem, sondern eines, das vom Trump-Amerika über Brexit-Großbritannien bis zum Salvini-Italien wie eine ansteckende Krankheit in den alten Industriestaaten grassiert. Überall macht sich diese egoistische Wir-zuerst-Mentalität breit, die Angst vor allem Fremden, die so leicht in Hass und Gewalt umschlägt, die Sprachlosigkeit zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, ein gefährlicher Nationalismus.

Vor diesem Hintergrund gibt es wirklich keinen Anlass zum "Ost-Bashing", wie das Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, formuliert hat. Vielleicht sollten wir nach 30 Jahren einfach aufhören, immer noch von "neuen" und "alten" Bundesländern zu reden. Viel wichtiger ist es, sich in Ost und West gegen das Auseinanderdriften des Landes in wohlhabende Zuwanderungs-Regionen und abgehängte Abwanderungs-Regionen zu stemmen. Und damit auch diese demokratische, tolerante, weltoffene Republik zu bewahren, auf die wir so stolz sein könnten. Gemeinsam die grandiose Leistung der friedlichen deutschen Revolution von 1989 zu feiern, wäre ja schon mal ein Anfang.

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