Regensburg

"Wir haben eine gigantische visuelle Verblödung"

Der Maler Markus Lüpertz gestaltet Kostüme und Bühnenbild für die Oper "Una cosa rara" in Regensburg

24.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:46 Uhr
"Das ist meine Laute, so wie ich sie mir vorstelle": Der Künstler Markus Lüpertz arbeitet in den Theaterwerkstätten in Regensburg. −Foto: Eckl

Regensburg (DK) Er mag den Gedanken, dass gleich nebenan die Justizvollzugsanstalt Regensburgs ist, man nennt sie hier Augustenburg.

Und doch hat Markus Lüpertz, der weltberühmte Malerfürst, "gar kein Fürstentum", braucht also auch keine Burg. In Jogginghosen und leicht erkältet steht Lüpertz in den Werkstätten des Regensburger Stadttheaters. Das ist sein Reich für die kommenden Tage, die Produktion der Oper "Una cosa rara" von Vicente Martín y Soler liegt in den letzten Zügen. Am 27. Oktober (19.30 Uhr) ist Premiere.

"Ich lebe in der irren Vorstellung, Musiker zu sein", sagt Lüpertz leicht verschmitzt, als man ihn auf seine Verbindungen zur Musik anspricht. Doch an und für sich sei es für ihn nichts besonderes, eine Oper auszustatten. "Ich bin natürlich auch Berufsmaler. Immer wenn man mir die Gelegenheit gibt, etwas Weißes bunt zu machen, bin ich dabei. "

In den Theaterwerkstätten türmen sich bereits die fertigen Bühnenbilder in die Höhe. Wie im Vorbeigehen hat der Künstler sie bemalt, oft klotzig und klecksig. "All das hier soll provisorisch sein, ich will, dass der Betrachter die Lücken gezielt ausfüllt. " Lüpertz' Assistentin malt gerade einen Gehrock in hellblau mit gelben Punkten an, ein Mitarbeiter der Theaterwerkstatt pinselt einen anderen Gehrock rabenschwarz. "Die Menschen sind doch visuell versaut, keiner macht sich mehr eigene Bilder", grantelt Lüpertz. In seiner Zeit als Kunstprofessor habe er vor allem in den letzten Jahren immer mehr gemerkt, "dass die Studenten keine eigene Vorstellung mehr haben. Sie werden überwältigt von Bildern. Wer liest denn in Zeiten von Google und Smartphones noch ein Buch? " Er attestiert: "Wir erleben eine gigantische visuelle Verblödung".

Dann wird er wieder sanft und sagt, er liebe die Oper und die Opernmusik. "Eigentlich ist das nichts Besonderes für mich, und dennoch begeistert es mich", sagt der Maler über sein Schaffen.

Die Oper, die Lüpertz quasi ausstaffiert, ist ein so selten aufgeführtes wie kurioses Werk. Denn 1786, als das Stück in der Wiener Hofburg uraufgeführt wurde, verdrängte es ausgerechnet eine der berühmtesten Opern unserer Tage, nämlich "Die Hochzeit des Figaro". Wolfgang Amadeus Mozart hatte sie ausgerechnet mit einem Libretto von Lorenzo Da Ponte geschrieben, der auch das Libretto für Vicente Martin y Solers "Una cosa rara" verfasste. Nun, die "Hochzeit des Figaro" ist heute eine der am meisten aufgeführten Opern der Welt, "Una cosa rara" eine Rarität.

"Belanglos" findet Lüpertz Versuche, sich der Verbindung zwischen Musik und Malerei zu nähern. "Das sind zwei hoch angesehene Disziplinen, aber alle Annäherung daran ist theoretisch. " Grundlegend aber ist die Idee, die hinter der Musik ebenso steht wie hinter der Malerei. Lüpertz steht auf und beginnt damit, mit Kreide eine Laute auf ein Stück Kartonpapier zu malen. "Die habe ich heute Nacht geträumt", sagt er dabei. Sie wird auch auf der Bühne zu sehen sein, die am 27. Oktober erstmals für das Publikum zu sehen sein wird. "Das ist meine Laute, sie ist so, wie ich sie mir vorstelle. Wenn ich einen Löwe male, dann ist das mein Löwe und wenn ich einen Adler male, dann ist das mein Adler, und der hat wenig mit dem martialischen Adler des Dritten Reichs zu tun. " Wichtig ist ihm, "mir meine eigene Welt zu schaffen". Und "dabei versuche ich, diese in hoher Meisterschaft und Freiheit zu erkämpfen".
Und da ist Lüpertz wieder bei der Oper, die er bebildert und ausstattet. Musik ist für ihn Freiheit - und als Künstler darf er die sogar gestalten. Aber ist das Publikum dann unfrei, weil sie ja das Bild des Künstlers aufgedrängt bekommt? "Keinesfalls. Ich lasse all das, was ich male, für diese Oper so lückenhaft, dass sie selbst hinzudenken müssen. " Die Fantasie der Menschen würde systematisch ruiniert, "heute bekommt man alles Bildliche eins zu eins geliefert". "Wo", fragt Lüpertz, zwischen halb bemalten Bühnenbildern und gelb gepunkteten Gehröcken im Jogginganzug, "wo bleibt da noch die Freiheit des Geistes? "

Christian Eckl

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