Pfaffenhofen

Das große Leben der kleinen Leute

Raffiniertes Spiel mit Worten: María Cecilia Barbetta bei den Literaturtagen in Pfaffenhofen

28.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:48 Uhr
María Cecilia Barbettas Roman "Nachtleuchten" erzählt vom Leben in Argentinien zwischen Peronismus und Militärputsch. −Foto: Buckl

Pfaffenhofen (DK) "Sie kennen den Brauch, dass man eine Marien-Statuette zur Adventszeit in die Häuser bringt, das ,Frauentragen'?

Wunderbar! Und Sie wissen, welche Bedeutung das Fest Mariae Himmelfahrt hat? Herrlich! In Berlin muss ich das immer erst alles erklären! " María Cecilia Barbetta zeigt sich entzückt vom katholisch sozialisierten Pfaffenhofener Publikum, das am Freitag ins Haus der Begegnung gekommen war, um ihre Lesung aus "Nachtleuchten" zu erleben, Barbettas zweitem Roman, der es im Herbst auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hatte.

Sieben Jahre lang habe sie daran gearbeitet, verrät die Autorin im Gespräch mit Dorle Kopetzky, die die Lesung moderierte, wobei sich Lesepassagen und Gesprächspartien kontinuierlich abwechselten.

Die Handlung des Buchs spielt im Jahr 1974, im Mittelpunkt steht das große Leben der kleinen Leute in Ballester, jenem Viertel von Buenos Aires, wo Barbetta 1972 geboren wurde und aufwuchs. Aus der Lesung lernt man einige von ihnen kennen, etwa Teresa, die eine katholische Mädchenschule besucht, einen anarchistischen Bäcker, Arbeiter aus der Autowerkstatt "Autopia" oder den schwulen Friseur Celio aus dem Salon "Ewige Schönheit" sowie Soeur Maria, die progressive Nonne, welche fasziniert ist von den Ideen des Zweiten Vatikanums. Sie alle erleben eine Zeit des Umbruchs, ohne zu ahnen, dass nach dem Militärputsch von 1976 bald eine entsetzliche Diktatur vor der Tür stehen würde.

In Barbettas Buch geht es um jene Zeit, in der Juan Perón 1973 nach seinen Exiljahren erneut zum Präsidenten Argentiniens gewählt wurde. "Perón war Populist, der mit Tod und Teufel paktiert hatte, um wieder zurückkehren zu können", erläutert die Autorin den politischen Hintergrund der Handlung: Rechte wie Linke erwarteten viel von ihm; als er schon 1974 starb, folgte ihm seine Witwe Isabel im Amt, welche aber die Macht dem Wohlfahrtsminister überließ, der mit seiner "Argentinischen Antikommunistischen Allianz" ("AAA") für Terror sorgte und politische Gegner ermorden ließ: "Auch mein Vater, der nie politisch tätig war, hatte immer Angst, verschleppt zu werden", erinnert sich Barbetta.

Sie schrieb diesen Roman wie schon ihr Prosadebüt "Änderungsschneiderei Los Milagros" (2008) auf Deutsch: Als sie 1996 nach Berlin kam, brachte sie bereits die Liebe zur deutschen Sprache mit - obgleich Barbettas erste Begegnung mit ihr eigentümlich verlief: "Als ich mit meiner Mutter vor dem Tor des deutschen Kindergartens stand, fielen mir zwei Frauen auf, und ich fragte: ,Mama, warum streiten diese Frauen? ' Worauf meine Mutter entgegnete: ,Die streiten nicht, die reden Deutsch! '"

Die Anekdoten, welche die Autorin aus ihrer argentinischen Kindheit und Jugend erzählt, lassen ahnen, dass etliche Partien in "Nachtleuchten" autobiografische Züge tragen. Auch vieles, was sie später in Berlin erlebte, scheint in ihrer Prosa wieder auf - "aber eben versetzt nach Argentinien". Besonders der katholische Glaube spielt eine Rolle in "Nachtleuchten". Der Titel spielt einerseits auf das Wechselspiel von Magie und Hoffnung an, andererseits auf das Leuchten der Plastik-Madonna, welche in dem Roman zu den Menschen kommt. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass er ausgerechnet am 15. August erschien - also an Mariae Himmelfahrt: "Dem Verlag war das Datum egal, aber ich war beglückt", verrät die Autorin.

Walter Buckl

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