Ingolstadt

Es geht auch ohne Verpackung

Dem Plastikproblem Paroli bieten

20.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:12 Uhr
Schokolade unverpackt: Simon Stapf ist einer der Gesellschafter des neuen, nachhaltigen Supermarktes "nurINpur" in Ingolstadt. Es handelt sich um den ersten Laden dieser Art in der Umgebung. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Anlässlich der Woche der Abfallvermeidung waren wir im ersten nachhaltigen Supermarkt "nurINpur" in Ingolstadt. Dort kann der Kunde selber Gefäße zum Einkaufen mitbringen und so Plastikmüll reduzieren.

Wie im Taubenschlag geht es in dem kleinen Laden zu, der nur einen Katzensprung vom Ingolstädter Hauptbahnhof liegt. Die Kunden fliegen ein und aus wie die Vögel - gehen erst einmal auf Entdeckungstour, wiegen ihre mitgebrachten Behälter ab, mahlen ihr Getreide. Werkstudent Matthias Schöber an der Kasse hat alle Hände voll zu tun, glutenfreien Hirseauflauf einzupacken oder, wie gerade, dicke Nusskerne für die elfjährige Nele abzuwiegen. Denn bei "nurINpur" gibt es fast alles unverpackt.

Das Mädchen ist mit den Großeltern gekommen und lacht ganz glücklich. Kein Wunder: Die Ansammlung ordentlich aufgereihter Behältnisse in groß und klein, von Keramikdosen für Teesorten, Kanistern für Putzmittel oder Holzkisten für Obst und Gemüse wirkt ein wenig wie ein schöner alter Spielzeug-Kaufsmannladen. Es duftet köstlich nach Birnentarte und Biokosmetik.

Mitte Oktober hat der erste nachhaltige Supermarkt für Lebensmittel und Drogerieartikel in der Region eröffnet. Es läuft gut für "nurINpur" und das angeschlossene kleine Café , sagt Simon Stapf, einer der vier Gesellschafter: "Wir liegen über unseren kalkulierten Umsätzen." Zu Beginn kommen viele Leute erst einmal, um sich umzuschauen, doch die meisten kehren als Kunden zurück. Und bringen bestenfalls gleich die passenden Gefäße für ihren Einkauf mit. So wie Jason Keil, der Reis, Mandeln und Paranüsse abwiegen lässt. "Wir kaufen nur noch hier oder auf dem Wochenmarkt ein", sagt der 26-jährige Veganer. "Wegen der Müllvermeidung, und weil hier alles bio ist." Dass die Preise etwas höher liegen, stört ihn nicht. "Dafür geben wir ja kein Geld für Fleisch aus."

Bunt gemischt sei die Kundschaft, erzählt Stapf. "Einmal kam ein Mann barfuß in den Laden, die Kundin nach ihm trug eine Tasche von Louis Vuitton." Rita und Peter Lang, die Großeltern von Nele, sind schon bei ihrem ersten Besuch begeistert: "So ein Geschäft unterstützen wir gerne - so wie jeder, der ein wenig auf die Umwelt achtet", meint der Ingolstädter. Rita Lang gefallen die vielen offenen Öle. Ein paar Eier und Cornflakes hat sie sich sofort mitgenommen.

Das Sortiment bei "nurINpur" umfasst rund 300 Produkte. "Alles bio - außer dem Honig", erklärt Simon Stapf. Die meisten Artikel stammen aus der nahen Umgebung, wie das Brot aus Plankstetten, das Obst und Gemüse von lokalen Biohöfen oder die Milch aus Adelschlag. Es gibt kompostierbares Klebeband und loses Toilettenpapier, in der Kosmetikabteilung kleine Zahnputz-Drops und Deocreme im Glas, Haarseifen und Körperbutter am Stück. Es gibt zahlreiche Getreidesorten wie Einkorn, Nacktgerste und Emmer. Sesam, Sojabohnen und Blaumohn kann man sich abfüllen. Oder sich entscheiden zwischen Linsen-Nudeln, Lupinen-Kokos-Nudeln, Kichererbsen-Bärlauch-Nudeln oder Kastanien-Kürbis-Nudeln. Die schmecken alle pur, so Stapf, auch ohne Soße. Der Renner unter den Süßigkeiten ist die Smarties-Schokolade, die mehrmals täglich nachgefüllt werden muss. So wie die Haferflocken.

Zwischendurch kommt Ingrid Kreitmayer zur Tür herein - mit frischem, selbstgebackenen Kuchen. "Eine Birnentarte", sagt sie, "die Früchte stammen direkt vom Birnbaum da draußen vor dem Haus - noch regionaler geht's nicht." Die Frau vom Catering ist selber Kundin im Laden: "Das hier ist mehr als Einkaufen. Da steckt so viel Liebe und Achtsamkeit dahinter."

Dann schaut eine junge Frau zur Tür herein: Stefanie Wagner aus Ansbach verkauft waschbare Slipeinlagen aus Bio-Baumwolle und würde ihre nachhaltige Ware gern bei "nurINpur" feilhalten. "Ich beschäftige drei Näherinnen", erklärt sie und zeigt ein Probeexemplar. Simon Stapf ruft seine Kollegin Barbara Cremerius zur Hilfe: "Ich glaube, dass ist eher dein Thema."

Fest steht: Das Thema Müllvermeidung ist zukunftsfähig, und der Fantasie und freiem Unternehmertum sind kaum Grenzen gesetzt.
 DER FAMILIENBETRIEBDer viele Plastikmüll war  Christine Regler-Krammer  schon   immer ein Dorn im Auge – vor allem das viele Einweggeschirr  vom Imbiss. Und so hat die  Junior-Chefin der Metzgerei Krammer in Pfaffenhofen Lösungen gesucht, wie sie die Plastikflut eindämmen kann. Bei Pacovis wurde sie fündig: Das Unternehmen bietet  Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen an: etwa Schalen aus Palmblatt oder Maisstärke oder Teller aus Zuckerrohr. „Das ist zwar ein Drittel teurer als konventionelles Einweggeschirr“, so Regler-Krammer, „aber wir möchten ja Vorreiter sein.“ Um der Kundschaft  den Gebrauch  der    Mehrwegtasche schmackhaft zu machen, gab es bei Krammer drei Monate lang bei jedem Einkauf eine „Öko-Prämie“ von 50 Cent für jeden Kunden, der sie mitbrachte. „Wir wollen ja nicht bestrafen, sondern belohnen“, erklärt die Junior-Chefin. Für 50 Cent Pfand gibt es Mehrweggläser für Feinkostsalate oder Brotaufstriche. Einen Rückschlag gab es  auch:  20.000  Holzschalen  für Leberkäs  zum Selberbacken  gingen retour. Der Grund:  Der fertige Leberkäs ließ sich nicht aus der Schale  lösen. Entmutigen lässt sich Christine Regler-Krammer nicht: „Wir ziehen das durch als kleiner Familienbetrieb.“
 DER DISCOUNTERNach dem Einkauf beim Discounter Berge von Plastikmüll – und ein schlechtes Gewissen. Bei Aldi Süd heißt es aber: „Die Verpackungsreduktion steht bei uns ganz oben auf der Agenda.“      Erst kürzlich wurde dazu eine „Verpackungsmission“ gestartet. Eines der Ziele: Bis 2022 sollen alle Eigenmarken-Verpackungen recyclingfähig sein.    Auf unsere Anfrage teilte das Unternehmen weiter mit, dass Ende 2018  bei  Bio-Fairtrade-Bananen  die Plastikfolie durch  eine dünne Banderole ersetzt werden soll. „Um den Einsatz von Einweg-Knotenbeuteln für loses Obst und Gemüse zu reduzieren, prüfen wir aktuell den Einsatz von Mehrwegnetzen in ausgewählten Filialen.“   Und was ist mit in Plastik eingeschweißten Bio-Gurken?  Aldi Süd erklärt:  „Aktuell testen wir in einigen Regionalgesellschaften das so genannte Natural Branding. In einem Laserverfahren wird dabei auf der Schale der Bio-Gurke und Bio-Avocado eine Kennzeichnung aufgebracht, sodass für unsere Kunden ersichtlich wird, dass es sich um ein Produkt in Bio-Qualität handelt.“  Das Angebot von losem Obst und Gemüse   will der Discounter  weiter ausbauen.   Der Plastikschaft  der Aldi-Wattestäbchen wird ab 2019 von Kunststoff auf Papier umgestellt.
  "Vieles brauche ich nicht mehr"Frau Kufer, Sie sind Zero-Waste-Botschafterin von Pfaffenhofen. Wie ausgerüstet gehen Sie zum Einkaufen, um Müll zu vermeiden?

Patricia Kufer: (lacht) Also auf den Markt nehme ich meinen Korb und Stoffbeutel mit. Für Käse oder Wurst habe ich mir Edelstahlboxen gekauft. Ansonsten nehme ich auch noch Glasgefäße mit, in die ich mir beispielsweise Oliven füllen lasse. Man muss halt vorm Einkauf überlegen, was man alles braucht und die entsprechenden Gefäße mitnehmen.

Wieviel Müll fällt denn in Ihrer fünfköpfigen Familie an? 

Kufer: Wir haben keinen gelben Sack mehr. Das wenige, wenige Plastik entsorgen wir über den Restmüll: Wir kommen pro Person im Jahr auf etwa 30 Kilo, der Durchschnitt liegt bei 450 Kilo.

In Pfaffenhofen gibt es eine Plastikfrei-Community. Was unternimmt die? 

Kufer: Wir haben uns 2017 nach dem Klimaschutztag der Stadt formiert. Wir treffen uns einmal im Monat zu einem Stammtisch. Dort tauschen wir uns aus: Es sind alte Hasen dabei und immer wieder ganz Neue, die Interesse haben, wie das alles funktionieren kann. Da herrscht ein reger Austausch von Rezepten und Einkaufstipps. Das ist total schön, weil es ein Geben und Nehmen ist.

Sie selbst und Ihre Familie haben vor fünf Jahren Plastik aus ihrem Haushalt verbannt. Wie klappt das? 

Kufer: Am Anfang war es schwer, Alternativen zu finden für das Plastik. Damals gab es noch nicht so viele Möglichkeiten im Einzelhandel - etwa mit diesen Unverpackt-Spendern. Bis zum letzten Jahr gab es deshalb keine Mandelblättchen mehr bei mir. Ich bin eben ein konsequenter Mensch und kaufe sie dann nicht, wenn es sie nur in Plastik verpackt gibt. Voriges Jahr war ich dann in einem Unverpackt-Laden - das war der Himmel auf Erden für mich. Einfach, weil wir wieder Mandelblättchen hatten. Was für andere ganz normal ist, war für mich halt etwas ganz Besonderes. Mittlerweile ist das gelebter Alltag: Ich weiß, wo ich was bekomme, und vieles brauche ich nicht mehr. Das ist kein Kasteien für uns - das ist Überzeugung.

Was sagen Ihre Kinder dazu? Verzichten die gern auf Plastik? 

Kufer: Mal mehr, mal weniger. Bei Süßigkeiten zum Beispiel gibt es Diskussionen, warum wir jetzt kein Twix kaufen. Meine Große ist jetzt in die Realschule gekommen. Die sagt: Mama, das ist so blöd, weil ich immer anders bin. Sie hat Papiereinbände für die Bücher statt Plastikeinbänden. Es wäre so schön, wenn es genau umgekehrt wäre: Wenn die, die Plastik noch benutzen, anders wären.

Wo liegen die größten Hindernisse für ein plastikfreies Leben? 

Kufer: Um Plastik kommt man nicht herum: Wir haben einen Fernseher, wir fahren ein Auto und benutzen ein Smartphone. Das zu sagen ist mit ganz wichtig: Wir leben nicht 100 Prozent ohne Plastik. Wenn man das schaffen möchte, muss man sich auf eine Berghütte setzen - ohne fließend Wasser und Strom leben.

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Haben Sie einen guten Tipp für plastikfreie Weihnachten? 

Kufer: Einfach mal raus in die Natur gehen und dort Dekoration sammeln. Und Zeit schenken. Kinder sind so überladen mit Spielsachen: Wir schenken unseren Kindern ein Event und machen mit ihnen beispielsweise einen Konzertbesuch.

Das Gespräch führte Suzanne Schattenhofer.

 

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