Ingolstadt

Etwas hinterlassen, das bleibt

P-Seminar des Reuchlin-Gymnasiums erinnert mit Tafel an ehemalige jüdische Schüler, die verfolgt wurden

26.02.2021 | Stand 03.03.2021, 3:33 Uhr
Abschluss ihres eineinhalbjährigen Recherche- und Erinnerungsprojekts: Die Schülerinnen und Schüler präsentierten im Treppenhaus des Reuchlin-Gymnasiums eine Tafel mit den biografischen Daten der zwölf ehemaligen jüdischen Schüler. −Foto: Silvester

Ingolstadt - 100 Jahre ist der feierliche Akt nun her, aber das Reuchlin-Gymnasium wird das Jubiläum sicher nicht begehen.

1921 wurde im Flur des ersten Stockwerks eine mächtige Tafel angebracht. Unter der Gravur eines Stahlhelms, also ganz im Stil jener Zeit, sind dort die Namen und Lebensdaten der ehemaligen Schüler des Humanistischen Gymnasiums (seit 1965 heißt es Reuchlin-Gymnasium) eingemeißelt, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Der Schulleiter, der dieses Kriegerdenkmal einweihte, hieß Gebhard Himmler (1865 bis 1936). Er war der Vater von Heinrich Himmler (1900 bis 1945), dem "Reichsführer SS", einem Jahrhundertverbrecher.

Im Reuchlin tut man sich seit Langem schwer mit dem heroisierenden Nationalmonument aus einer fernen Vergangenheit. Aber die Ehrentafel bleibt an ihrem Platz, weil sie zur Geschichte des Gymnasiums gehört; es wäre zutiefst unhistorisch, Zeitzeugnisse, die nicht mehr in die Gegenwart passen, einfach verschwinden zu lassen. Am Reuchlin fand man eine viel bessere Lösung: Zwölf Schülerinnen und Schüler, die heuer Abitur machen, haben der Himmlerschen Platte etwas vis-à-vis entgegengesetzt: Eine große Tafel mit biografischen Informationen über zwölf ehemalige Schüler des Reuchlin-. Gymnasiums, die wegen ihres jüdischen Glaubens im "Dritten Reich" verfolgt wurden. Am Donnerstag enthüllten die Mitglieder des P-Seminars im Fach Geschichte mit ihrem Lehrer Markus Schirmer die Tafel.

Die Schülerinnen und Schüler haben sich eineinhalb Jahre lang intensiv mit den Ehemaligen befasst, sie recherchierten in Archiven und Online-Datenbanken und nahmen Kontakt mit Nachfahren der NS-Opfer in aller Welt auf. Denn elf der verfolgten jüdischen Schüler sind vor den Nazis ins Ausland geflohen, meist in die USA und nach Südamerika. Nur einer emigrierte nicht: Josef Gunzenhäuser, später Anwalt in München. Er wurde 1942 im Ghetto Theresienstadt ermordet.

Im Juli vergangenen Jahres brachten die Mitglieder des P-Seminars am Portal ihrer Schule nach Münchner Vorbild ein "Erinnerungszeichen" für Gunzenhäuser an, oder wie die jungen Leute sagen: "Für den Josef"; denn er war einer von ihnen. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, besuchte damals die Zeremonie und dankte den jungen Leuten.

Jetzt also haben sie erneut in ihrer Schule etwas geschaffen, das bleiben wird. Die Tafel für die jüdischen Schüler sei "ein passender Kontrapunkt zu dem patriotisch verklärenden und eher sperrigen historischen Objekt" aus dem Jahr 1921, sagte Seminarleiter Schirmer in seiner kurzen Ansprache. Er lobte die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten, denn sie hätten "in schwierigen Monaten Durchhaltevermögen bewiesen - Ihr könnt stolz auf euch sein! "

Die Namen der Ehemaligen stehen nun im Treppenhaus - dort, wo sie einst als Schüler hinauf und hinunterstürmten: Julius Hess (1884 bis 1932; der Kriegsteilnehmer posiert in Uniform auf dem Foto), Josef Gunzenhäuser (1896 bis 1942), Adolf Gunzenhäuser (1897 bis 1974, auch er ein patriotischer deutscher Soldat und Kämpfer in einem Freikorps, der später im NS-Reich um sein Leben fürchten musste; er starb in New York), Max Schloss (1898 bis 1956), Max Sonn (1907 bis 1993), Hellmut Rosenbusch (1915 bis 1986; er floh 1927 wegen Diskriminierung vom Humanistischen Gymnasium an die Oberrealschule, das heutige Scheiner, und nach dem Abitur weiter nach Portugal), Arthur Luchs (1908 bis 1991), Kurt Hermann (1913 bis 1980), Ludwig Leopold (1913 bis 1995), Kurt Brasch (1911 bis 2001), Fritz Schweizer (1911 bis 1956) und Bernhard Weinmann (1910 bis 1978). Vor der Enthüllung der Gedenktafel erinnerten die zwölf Schülerinnen und Schüler je an einen von ihnen sowie an seine Angehörigen.

Die Zeremonie musste ohne Besucher stattfinden, wurde aber sehr würdevoll gestaltet. Der Musiklehrer Robert Aichner spielte zwei Stücke auf der Klarinette. "Ich hätte es euch sehr gegönnt, dass ihr den übli-chen Rahmen bekommt", sagte Schulleiterin Edith Philipp-Rasch in ihrer Rede. Sie sprach von "Einsamkeit", die auch junge Menschen in einer Zeit der Isolation, der geschlossenen Schulen und des gedrosselten öffentlichen Lebens quäle, und schlug den Bogen zu den Biografien der zwölf früheren Schüler. "Was haben sie alles mitgemacht, als sie ihrer Heimat den Rücken kehrten? " Auch wenn der Abschluss des P-Seminars in schlichtem Rahmen ohne Gäste über die Bühne gehen müsse, könnten die Zwölftklässler dennoch immer dessen gewiss sein, gleich zwei Dinge geschaffen zu haben, die bleiben: das Erinnerungszeichen für Josef Gunzenhäuser und die Gedenktafel im Treppenhaus. "Ihr hinterlasst es für Generationen von Schülern! Es wird in die Annalen eingehen", sagte die Schulleiterin.

In der Geschichte des Reuchlin-Gymnasiums spiegelt sich die deutsche Geschichte. Jetzt mit einem neuen Kapitel.

DK

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/etwas-hinterlassen-das-bleibt-2871309
© 2024 Donaukurier.de