Pfaffenhofen

Mit der Stimme die Herzen berühren

Bettina Singer, die Sängerin des Engelsspiels, ist ein glücklicher Mensch - und das will sie weitergeben

30.11.2018 | Stand 25.10.2023, 10:34 Uhr
Hoch oben vom Rathausbalkon aus wird Bettina Singer an den Adventssonntagen wieder Weihnachtslieder vortragen - ganz egal, ob es regnet oder schneit. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen (PK) Die Herzen will sie mit ihrer Stimme berühren, den Weihnachtsmarkt-Besuchern einen kleinen Glücksmoment schenken: Wie schon in den vergangenen Jahren wird Bettina Singer auch diesmal an den vier Adventssonntagen jeweils um 18 Uhr beim Engelsspiel hoch oben vom Rathausbalkon Weihnachtslieder vortragen.

"Ich liebe Weihnachten", strahlt Bettina Singer. Sie sitzt im Wohnzimmer in Reichertshausen am großen Esstisch, in einer Schale verführen Plätzchen zum Naschen, in der Ecke flackert Kaminfeuer, Lichterketten leuchten sanft in den Fenstern. Das ist es, was sie so mag: "Den Zauber, das Geheimnisvolle, den Weihnachtsmarkt, Glühweinduft - ich könnte nie über Weihnachten in Urlaub fahren." Die Frage hat sich zumindest für die letzten Jahre auch nie gestellt: Seit 2009 wurde sie mit Unterbrechungen fürs Engelssingen engagiert.

Wie ist das, wenn 400, 500 Menschen vor dem Rathaus den Kopf in den Nacken legen, zu ihr emporschauen und ihrer Stimme lauschen? Sie schließt die Augen: "Wenn ich da oben stehe", sagt sie, "das ist Glücksgefühl pur. Darauf freue ich mich das ganze Jahr. Und ich hoffe, dass ich den Weihnachtszauber mit meiner Stimme weitergeben kann." Spürt sie, wenn der Funke überspringt? "Ja, das merkt man. Wenn ich ganz bei mir bin, den Kopf ausgeschaltet habe und nicht darüber nachdenke, wie ich denn jetzt wohl ankomme, dann erreiche ich die Herzen der Menschen. Ich spüre das."

Kein Zweifel: Wer im vergangenen Advent zugehört hat, wie Bettina Singer Schuberts Ave Maria anstimmte und im ersten Takt dieses langgezogene, glasklare A über dem Christkindlmarkt schwebte, der konnte sich diesem Zauber kaum entziehen. Die heiter-beschwingten Christmas-Hits wie Jingle-Bells oder Let it snow, die bis dahin den Platz beschallten, waren verstummt, und in die Stille breitete sich ihre Stimme aus - hell, kraftvoll, eindringlich.

Sie hat schon immer gern gesungen, soweit sie zurückdenken kann. "Bei uns wurde Hausmusik gemacht, meine Mutter spielte Hackbrett, mein Vater begleitete sie auf der Gitarre. Und dann, so mit zwei oder drei, haben sie mich neben sich auf einen Stuhl gestellt und gesagt: Komm Bettina, sing was." Dass sie als Vierjährige in einer Volksmusiksendung im Bayrischen Rundfunk zu hören war, ist die logische Konsequenz. Genauso wie ihr Berufswunsch, Opernsängerin zu werden. Ihre Mutter ist zwar nicht in Ohnmacht gefallen, aber begeistert war sie nicht: "Geh doch ins Büro, hat sie gesagt", erinnert sich Bettina, "das ist ein sicherer Beruf mit einem guten Einkommen." Nach ihrer Ausbildung hat sie drei Jahre in der Reichertshausener Gemeindeverwaltung ausgehalten, dann ging's nicht mehr. "Tatsächlich - es war ganz schrecklich. Ich wollte mit Menschen zu tun haben, Menschen berühren." Aber nicht alles war furchtbar. Ihre schönsten Erinnerungen an diese Zeit sind die Freitage. "Der damalige Bürgermeister Hans Oberhauser war auch Kirchenmusiker. Freitags kam er zu mir und sagte: Komm, Bettina, wir singen was. Und dann sind wir in die Kirche, er hat sich an die Orgel gesetzt und ich habe das Ave Maria von Schubert gesungen." Singer macht eine Pause. "Da stellen sich mir heute noch die Haare auf. Das war so schön! Er hat bei mir die Begeisterung für die Musik geweckt." Was Oberhauser ihr vor allem vermittelt hat: "Es ist doch viel wichtiger, mit dem Herzen Musik zu machen als das, was andere darüber denken."

Die Mutter war es dann, die für ihre Tochter in Pfaffenhofen eine Gesangslehrerin fand. Die erkannte Bettinas Talent, ermutigte sie, bei der Regensburger Kirchenmusikschule vorzusingen. Prompt hat sie ein Gaststudium bekommen. "Ich hatte am Anfang", sagt Bettina Singer, "eigentlich keine Vorstellung, was ich einmal machen wollte. Klar war nur, dass ich solistisch singen will, nicht im Chor." Deshalb hat sie sich bei der Münchner Musikhochschule beworben, wo sie in fünf Jahren als Sopranistin ausgebildet wurde. Mit allem, was dazugehört: "Man lernt, unter allen Umständen zu singen. In dieser Zeit habe ich mein erstes Kind bekommen." So gehört etwa zur Ausbildung, in Rückenlage auf dem Boden liegend mit fünf Brockhaus-Bänden auf der Brust klar zu intonieren. Oder sich eine Handvoll Walnüsse in den Mund zu stopfen und damit artikuliert zu singen.

In dieser Zeit hat sie sich von ihrem Jugendtraum, an der Oper zu singen, klaglos verabschiedet. Den Druck, der auf diesen Profis lastet, könnten sich Außenstehende nicht vorstellen. "Ich habe mitbekommen, wie man sich da mit Ellbogen durchsetzen muss. Der Typ bin ich nicht." Es gäbe hervorragende Sängerinnen, absolute Profis, alles ist perfekt, "aber man hört, wenn das Herz nicht dabei ist". Sie will mit dem Herzen singen und andere Herzen berühren.

Seit einigen Jahren berührt sie die Menschen nicht nur mit ihrer Stimme. "Ich habe gemerkt, ich will mehr geben, mit meinen Händen den ganzen Körper anrühren." In ihrem Haus in Reichertshausen betreibt sie den "Raum der Ruhe", eine Praxis für "ganzheitliche Naturkosmetik und integrative Körperarbeit". Die positive Energie, die in jedem Menschen stecke, will sie wecken und stärken. "Ich kann Leuten helfen, denen es momentan nicht so gut geht; und dann bekomme ich das Feedback: Jetzt geht's mir gut. Das macht mich irrsinnig glücklich."

Ihr allergrößtes Glück? "Meine Familie. Heimzukommen." Und natürlich Weihnachten, "das merkt man mir an, oder?" Sie lacht. Eine überflüssige Frage. An Heiligabend werde dann "Stille Nacht" gesungen, mehr nicht. Denn die Begeisterung ihre beiden heranwachsenden Kinder für Weihnachtslieder sei begrenzt. Aber dieses eine Lied muss sein, "darauf bestehe ich." Und dann lacht sie wieder.

Albert Herchenbach

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