Ein Klassiker, der unter die Haut geht

Weihnachtsspiel "Heilige Nacht" nach Ludwig Thoma begeistert

20.12.2018 | Stand 02.12.2020, 14:59 Uhr
Der Erzähler Enrico de Paruta ist Herzstück und Motor des Weihnachtssingens. −Foto: Hammerl

Jubel und Ovationen: Enrico de Paruta begeistert das Publikum im Ingolstädter Festsaal mit dem stimmungsvollen symphonischen Weihnachtsspiel "Heilige Nacht" nach Ludwig Thoma.

Ingolstadt (DK) Ein Klassiker, der immer noch und immer wieder tief unter die Haut geht: Ludwig Thomas' unsterbliche Weihnachtsgeschichte, heuer mit der Entstehungsgeschichte des Liedes "Stille Nacht" als Vorgeschichte, schlägt die Konzertbesucher im restlos ausverkauften Festsaal des Ingolstädter Stadttheaters in Bann. Zweieinhalb Stunden ohne Pause verfliegen nur so, das Publikum lässt sich tief hineinziehen in eine ärmere, dunklere und kältere Welt, in der Kerzenschein und Laternen - wenn überhaupt - ihr spärliches Licht und kaum Wärme verbreiten. Beides aber, Licht wie Wärme, wohnt den Protagonisten des symphonischen Weihnachtsspiels inne.

Schon im Vorspiel springt der Funke über, leidet das Publikum mit dem Hilfsgeistlichen Joseph Mohr (Manuel Ried), der von seinem Vorgesetzten, dem Pfarrprovisor (Lutz Bembeneck) mit Argwohn betrachtet und verleumdet wird, sich aber weiter mit Herzblut für die Armen in seiner Pfarrei einsetzt und die Kirche füllt. Rieds frischer lyrischer Tenor, den er später dem Hirten Hansei leiht, begeistert mit Klangschönheit und Innigkeit. Ausdrucksstark und stimmgewaltig Bassbariton Clemens Joswig, der als Franz Xaver Gruber, Komponist des "Weynachts-Lieds" und Hirte Hias imponiert. Herausragend auch Bettina Baumgartner-Geltl, die mit klarem, klangschönen Sopran Schuberts "Ave Maria" anstimmt, Tenor Michael Birgmeier gibt einen strahlenden Verkündigungsengel.

Ganz besonders zu Herzen gehen natürlich die Engelsstimmen Charlotte Brödenfeld, Jonas Bücherl, Quirin Hellerbrand sowie die Zwillinge Katharina und Josef Hellerbrand, die heuer den DONAUKURIER-Sonderpreis gewonnen haben und von Geschäftsführerin Ivana Zang und Enrico de Paruta zu Beginn auf der Bühne ausgezeichnet werden. "Das hatten wir noch nie, dass sich Zwillinge beworben haben", sagt der Erzähler, Autor und künstlerische Leiter des Weihnachtssingens. Nachdem beide einzeln vorgesungen hatten, habe die Jury festgestellt, dass sie beide gut sängen und sich entschieden, sie noch einmal zusammen zu hören. "Sie haben so vollendet homogen gesungen, wie aus einer Kehle", begründet er die Entscheidung, Katharina - der "wesentlich älteren", sie ist genau 20 Minuten älter als ihr Zwillingsbruder - und Josef den mit 500 Euro dotierten Preis gemeinsam zuzuerkennen. Womit auch die andere Hälfte in der Familie bleibt, denn die beiden singen wie ihr älterer Bruder Quirin, Preisträger des Jahres 2016, im Kinderchor ihrer Mutter Vroni.

Die Engelsstimmen sind es, die das Publikum immer wieder aufatmen, sie für kurze, heitere Momente aus den ernsten und bewegenden Geschichten auftauchen lassen, um sich dann umso tiefer wieder einzufühlen in Mohr und Grubers Familie beziehungsweise Thomas "Heilige Nacht", dieses so einzigartige, feingesponnene und dank all der Untertöne und Hintersinnigkeiten des Bayerischen Dialekts höchst facettenreiche Werk. Da ist Josefs zunehmende Verzweiflung auf der Reise nach Bethlehem, Marias stille Kraft, die sie aus unerschütterlichem Glauben schöpft und die eine ungeheure Strahlkraft entwickelt. In den Archetypen, die den beiden unterwegs begegnen, vom Reichen, der in der Kutsche vorbeifährt, dem gutherzigen Hirten Hansei, der Josef hilft, Maria das letzte Stück des Weges zu tragen, bis zu den Wirten und Josefs hartherziger Verwandtschaft in Bethlehem, spiegelt sich Thomas Gesellschaftskritik, die in der letzten Frage des Erzählers gipfelt, ob es denn nichts zu bedeuten habe, "dass nur Arme das Christkind gesehen haben?".
Was heißt hier Erzähler! Enrico de Paruta ist viel mehr, ist Herzstück des Weihnachtssingens, Motor und begnadeter Schauspieler. Selbst wenn er "nur erzählt", so geschieht das mit einem Nachdruck, der den Wörtern ein Eigenleben zu verleihen scheint. Noch intensiver wirkt Parutas szenische Darstellung, Zwischenapplaus erhält er für die Attitüde der abweisenden ältlichen Base, faszinierend wie er den schweren Gang der hochschwangeren Maria imitiert. Stimmungsvolle Konzert- und Volksharfenklänge kommen von Caroline Schmidt-Polex, zu den Höhepunkten gehört auch Konzertgitarrist Perry Schacks "Stille Nacht" auf einer Replik der Mohr-Gitarre. Ein unvergessliches Vorweihnachtserlebnis, das mit Stehenden Ovationen belohnt wird.

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