Neuburg

Bitterböse Mediensatire

Schauspieler Thomas Darchinger blickt hinter die Fassade des Boulevardjournalismus

14.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:51 Uhr
Der Münchner Schauspieler Thomas Darchinger brilliert in der Rolle des schmierigen Boulevardjournalisten Marco. −Foto: Hammerl

Neuburg (ahl) Er lockt und schmeichelt, blufft, droht, ja erpresst sogar - Boulevardjournalist Marco tut alles für die Story auf Seite Eins seines Boulevardblattes.

Deren Wahrheitsgehalt spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Dem Münchner Schauspieler Thomas Darchinger nimmt das - möglicherweise wetterbedingt geschrumpfte - Publikum im Neuburger Stadttheater die Rolle des schmierigen Journalisten rundum ab. Zunächst aber macht er auf seriös, wirbt um Vertrauen: "Würden Sie mir einen Gebrauchtwagen abkaufen? " Wobei "man das ja heutzutage nicht mehr sagt". Vielleicht, weil Autos nun übers Internet verkauft werden? Nein, Marco hat da seine eigene These - das Wort "Gebrauchtwagen" sei kontaminiert, wie so viele mittlerweile altertümlich anmutende "unschuldige Wörter".

Ein Mann, ein Smartphone - mehr braucht es nicht für rund 100 Minuten beklemmender Einblicke ins zynische Geschäft des Boulevards, der es schafft, Menschen quasi über Nacht bekannt zu machen und in der nächsten unsanft abstürzen lässt. Die Risiken sind hinlänglich bekannt - auch der jungen Sängerin Lea, die zwar ihr neues Album promoten, sich dafür aber nicht mit Marco und Konsorten einlassen möchte. Eigentlich. Wie es ihm dennoch mit Zuckerbrot und Peitsche gelingt, Lea zur Kooperation zu bewegen, erzählt Autor Johannes Kram in seiner bitterbösen Mediensatire "Seite eins". Und teilt dabei zwar vorrangig, aber nicht nur Richtung Boulevard aus.

Das Ein-Personen-Stück ist vielschichtig angelegt, spielt auf mehreren Ebenen und lässt mitunter rätseln, ob es als ernsthafte Gesellschaftskritik verstanden werden will oder als krasse Überzeichnung eines bestimmten Missstandes. Wenn Marco sein Tun rechtfertigt, indem er seriösen Journalisten nachsagt, sie nähmen ihre Leser nicht ernst, sondern "wollen Ihnen sagen, dass die Welt anders ist als sie ist, anders als Sie sie ja selbst erleben. Sie wollen Ihnen Ihre Wahrheit nehmen". Er spricht von Pseudoberichterstattung in Rentenpolitik, Integration, Krankenversicherung und Energiepolitik.

Als konkretes Beispiel führt er an, dass Zeitungen bei Straftaten oft keine Nationalitäten der Täter benennen, "weil das angeblich zu Rassismus führt" und fragt, ob es nicht vielleicht andersherum sei? Hier erweist sich Kram als Prophet - er schrieb die Komödie 2014, also vor der verschärften "Lügenpresse"-Diskussion. Wer die Kommentare des Autors, der übrigens Guildo Horn promotet hat, nicht kennt, könnte geneigt sein, Marcos Gedankengang hier zu folgen. Ebenso wenn er vom "Meinungskartell der Gutmenschen", Gleichmacherei und dem "Staat als Selbstbedienungsladen" spricht, der alle durchfüttert und niemanden Konsequenzen tragen lässt. Oder davon, dass die Gesellschaft immer mehr einer Kita gleiche, weil "heute jeder gerne alles machen möchte, aber keiner die Verantwortung für irgendetwas übernimmt" und immer jemand da sei, der aufpasst, dass niemand an die heiße Herdplatte fasst. Erhofft sich der Autor Widerspruch, wenn er seinem Antihelden solche Dinge in den Mund legt? Oder ist nicht doch etwas dran?

Letztlich sitzen alle in einem Boot, ob Star oder Sternchen, Leser, Boulevard- oder "echter" Journalist - Marco zieht hier Vergleiche zum Schönheitschirurgen, der ebenso wenig als echter Chirurg gelte. Und natürlich gäbe es ohne Leser keine Seite-Eins-Geschichten. Wie sie zustandekommen, erlebt das Publikum hautnah mit. Marco versteht sein Geschäft.

"Mein Geschäft sind Menschen", sagt er und klickt im psychologisch richtigen Moment auf dem Smartphone ankommende Gespräche weg, horcht Eventmanager aus, lässt seine Beziehungen spielen, um (vermeintliches) Hintergrundwissen zu sammeln, mit dem sich Lea locken oder erpressen lässt. Heraus kommt eine ganz andere Story als sich die junge Sängerin erhofft und das Publikum erwartet. Lea ist es nicht gelungen, ihr Privatleben herauszuhalten, doch der Schuss geht auch für Marco unerwartet nach hinten los. Worauf er den Kopf aus der Schlinge zieht, indem er dann noch eins draufsetzt.

Darchinger gelingt es, mit Charisma und hoher Bühnenpräsenz zu fesseln, den Spannungsbogen durchweg hoch zu halten und ganz sicher auch zum Nachdenken anzuregen.

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