Ingolstadt

So spannend wie ein Krimi

Handschrift, Harmonie, Instrumente: Franz Hauk hat eine Mayr-Messe rekonstruiert - Konzert am Sonntag

21.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:29 Uhr
Notenblätter von Simon Mayr: Franz Hauk hat über ein Jahr an der Übertragung gearbeitet. Im Konzert am Sonntag singen auch Dorota Szczepanska (Sopran) und Thomas Stimmel (Bass). −Foto: Eberl, Hauk

Ingolstadt (DK) Am kommenden Sonntag dürfen sich die Besucher des Konzerts in der Asamkirche auf ein äußerst seltenes Erlebnis freuen: Sie werden ein Musikstück hören, das fast 200 Jahre lang nicht mehr erklungen ist - und dessen Wiederherstellung einem Krimi glich.

Die Missa e-Moll von Simon Mayr entstand im Jahr 1834 und zeigt den in Mendorf geborenen Komponisten am Höhepunkt seines durchaus ansehnlichen Schaffens, das unter anderem 15 Messen und an die 80 Opern umfasst.

Mehr als ein Jahr lang haben Fachleute an der Edition dieser Messe gearbeitet, erzählt Münsterorganist Franz Hauk: Die Manuskripte waren kaum lesbar. "Mayr hat ziemlich schlecht gesehen", weiß Hauk, was auch eine Operation nicht verbessert hat. Durch das jahrelange abendliche Komponieren beim Schein rußiger Petroleumlampen hatte er sich die Augen verdorben. Mayr benutzte schließlich riesiges, mehr als ein Meter hohes Notenpapier. Dennoch sind die Kompositionen, die an der späteren Wirkungsstätte Mayrs im italienischen Bergamo in der dortigen Bibliothek aufbewahrt werden, nur schwer zu entziffern.

Was die Sache aber wirklich anspruchsvoll macht, war die im 19. Jahrhundert in Italien übliche Form der Messe. Das Notenmaterial liegt in einzelnen Sätzen vor, die Messen sind gleichsam zum Zusammenstellen. Wie Hauk erläutert, hatten diese Musikstücke einen bestimmten Aufbau mit fest stehenden Bestandteilen. "Die Mittelsätze muss man sich aber erst erschließen", so Hauk. Das heißt, der Fachmann muss einen Fundus fertige Mayr-Kompositionen durchforsten und schauen, was daraus zu einer bestimmten Messe passen könnte und was nicht. "Man muss kombinieren", sagt Hauk. In erster Linie müssen natürlich die Harmonien stimmen. Aber auch die Instrumentierung gibt Hinweise. Kaum ein Komponist hätte sich damals den Luxus leisten können, bestimmte Instrumente nur in einem Satz zu verwenden und die übrige Zeit die Musiker unbeschäftigt rumsitzen zu lassen - allein schon aus Kostengründen. Auch die Handschrift gibt wichtige Hinweise. "Mayr hat in Bergamo anders geschrieben als zuvor in Venedig", weiß Hauk. Er selber kann nach langem Studium des Bestands Mayrs Handschrift auf fünf Jahre genau datieren - und lernt doch immer wieder dazu. Heuer erst hat Hauk die zeitliche Reihenfolge der Mayr-Messen einordnen können.

Wer jetzt neugierig geworden ist und am Sonntag die Wieder-Aufführung in der Maria de Victoria besuchen will, wird nicht nur ein gelöstes musikalisches Puzzle hören, das perfekt ineinander passt, sondern auch "ein bisschen Oper im geistlichen Gewand", so Hauk: "Die Musiksprache der Messe war damals nicht unerheblich von der Oper beeinflusst. " Die Trennung von Opernhaus und Kirche gab es seinerzeit in dieser Form nicht. So sei es nicht ungewöhnlich gewesen, dass Stücke von Verdi zuerst in der Oper und am nächsten Tag in der Kirche aufgeführt wurden - schließlich wollten die Menschen auch im Gottesdienst immer wieder aufs Neue etwas Schönes hören. So sind in den Messen von Mayr durchaus aus Arien dabei, die sich im Vergleich zur Oper kaum zurücknehmen. "Musik, die leicht klingt, aber nicht leichtfertig wird", sagt Hauk.

Was aber das Ganze spannend macht: Die Messe e-Moll von Mayr hat wurde fast 200 Jahre nicht mehr gespielt,da die nachfolgenden Kapellmeister natürlich ihre eigenen Stücke präsentieren wollten. Im Gegensatz zu Beethoven, Bach und anderen berühmten Komponisten hat die Mayr-Messe daher auch keine Interpretationsgeschichte. Weil aber ein klassisches Stück mehr ist als nur das Runterspielen von Noten, liege die Kunst darin, eine Idee für die Auslegung eines Stücks vorzuschlagen. Da gebe es bisweilen Diskussionen, und manchmal müssen die Musiker einfach auch mal was ausprobieren, räumt Hauk ein. Mayr war stets bemüht, die besten Sänger Italiens für die Aufführung seiner Werke zu gewinnen - eine Verpflichtung und ein Ansporn auch für unsere Zeit: Am Sonntag, 23. Juni, singen ab 12 Uhr in der Asamkirche Dorota Szczepanska (Sopran), die schon mit dem London Symphony Orchestra arbeitete und an der Nationaloper Warschau gastierte. Markus Schäfer  (Tenor) zählt zu den gefragten lyrischen Tenören unserer Zeit, arbeitet mit Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt, Jos van Immerseel, Frans Brüggen, Paul McCreesh, Philippe Herreweghe, Kent Nagano und  Kirill Petrenko zusammen und wirkt als Professor an der Hochschule für Musik, Medien und Theater in Hannover. Thomas Stimmel (Bass) gilt als einer der überragenden Sänger seiner Generation: Der Schüler von Thomas Quasthoff ist ein gefragter Interpret, dessen Repertoire vom Barock bis zur Moderne reicht.

Karten unter www. konzerte-ingolstadt. de oder bei der Touristen-Information, dem Ticket-Service im Westpark oder allen Donaukurier-Geschäftsstellen. Restkarten sind an der Tageskasse ab 11 Uhr erhältlich.

Bernhard Pehl

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