München

Viel Experten-Kritik an Ankerzentren für Flüchtlinge

26.09.2019 | Stand 02.12.2020, 12:58 Uhr
Ein Mann mit einem Fahrrad geht an einem Ankerzentrum. −Foto: Lino Mirgeler/Archivbild

Es war eine Idee der CSU und von Horst Seehofer: In Ankerzentren sollen Migranten in kürzerer Zeit Klarheit über ihre Perspektiven bekommen. Doch die Zentren bleiben umstritten. Auch im Landtag gab es am Donnerstag viel Experten-Kritik. Besonders im Fokus: Kinder.

Die Ankerzentren für Flüchtlinge sind umstritten - nun haben auch mehrere Experten im bayerischen Landtag viel Kritik an den Einrichtungen geübt. In einer Anhörung des Rechtsausschusses beklagten am Donnerstag mehrere Sachverständige eine unzureichende oder fehlende unabhängige Beratung der Asylbewerber, warnten vor einer zu langen Aufenthaltsdauer und kritisierten eine wenig bis gar nicht kindgerechte Unterbringung. Ein Kinder- und Jugendpsychiater sprach sogar von einer strukturellen Gefährdung des Kindeswohls.

Die Grünen forderten deshalb die Abschaffung der Ankerzentren. Der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Hans-Eckhard Sommer, verteidigte diese dagegen. Er argumentierte, genau wie die Regierung, dass Asylverfahren nun schneller und effektiver abliefen.

Anker steht für An(kunft), k(ommunale Verteilung), E(ntscheidung) und R(ückführung). Die Zentren sollen nach dem „Masterplan Migration“ von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Asylverfahren und damit auch eine Abschiebung derjenigen beschleunigen, die kein Bleiberecht bekommen. In den Einrichtungen sollen aus diesem Grund Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der Bundesagentur für Arbeit, der Jugendämter und Ausländerbehörden eng zusammenarbeiten.

Der Kinderpsychiater Daniel Drexler kritisierte, die Lebensumstände in den Ankerzentren machten die Kinder und Jugendlichen krank. Und auch die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege bekräftigte, Rechte von Kindern würden in den Ankerzentren nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Die Kinder lebten in einer „angstbesetzten Umgebung“, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme. Kinder- und familiengerechte Räume sowie eine ruhige Lernumgebung gebe es meist nicht - und Freizeitangebote nur in sehr geringem Maße. Der Anspruch auf den Besuch einer Kindertagesstätte, auf Bildung und Förderung im Vorschulalter werde „kaum umgesetzt“. Schulbildung finde vorwiegend isoliert in den Einrichtungen statt.

Die Wohlfahrtsverbände fordern deshalb wieder die Rückkehr zu kleineren Einrichtungen, ebenso der Bayerische Flüchtlingsrat. Der Verein Ärzte der Welt erklärte am Donnerstag sogar, sich aus der psychologischen und psychiatrischen Versorgung von Asylsuchenden im Ankerzentrum Manching/Ingolstadt zurückzuziehen. „Die krankmachenden Lebensbedingungen in der Anker-Einrichtung Manching/Ingolstadt verhindern eine erfolgreiche Behandlung“, sagte der Vorsitzende der Hilfsorganisation, Heinz-Jochen Zenker, laut Mitteilung. Ärzte der Welt könne unter diesen Bedingungen die Verantwortung für die Verfassung schwer psychisch Kranker nicht tragen. Der Verein hatte in dem Ankerzentrum zweimal im Monat eine Sprechstunde angeboten.

Die asylpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Gülseren Demirel, die die Anhörung angestoßen hatte, sagte, für sie sei endgültig klar: Die sogenannten Ankerzentrem seien inhuman und gehörten abgeschafft. „Wir dürfen zu uns geflüchtete Menschen nicht länger in diesen trostlosen Wartesälen des Lebens versauern lassen“, forderte sie.

Thomas Beyer, Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO), rief die Staatsregierung auf, auf die Experten zu hören und die Ankerzentren durch kleinere Einheiten zu ersetzen. „In Ankerzentren ist das Kindeswohl akut gefährdet und Erkrankungen verschlechtern sich oder entstehen erst“, sagte er.

Das bayerische Innenministerium dagegen hatte zuletzt erneut betont, man habe mit der Umwandlung von Erstaufnahmeeinrichtungen in Anker-Einrichtungen „beste Voraussetzungen geschaffen für schnelle und effiziente Asylverfahren“. Asylbewerber erhielten seitdem noch schneller Klarheit über den Ausgang ihrer jeweiligen Asylverfahren.

dpa

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