Ingolstadt

Leerräume und Denkräume

Mit Witz und Gehalt: Niko Eleftheriadis' Projekt über die Wohnungskrise

01.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:43 Uhr
Erforschen das Konzept "Zuhause": Andrea Frohn, Peter Rahmani und Karolina Nägele sind Besucher aus der Zukunft. −Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Vielleicht ist Heinz, der Mann im gelben Overall, der Letzte seiner Art.

Ein Modell-Mensch in einem Modell-Zuhause. Und somit Studienobjekt für die drei Besucher, die von einer fernen Zukunft oder von einem anderen Planeten kommen. Sie tragen weiße Schutzkleidung und Einweghandschuhe und blicken aus staunenden Augen auf diesen Raum, der nach Funktionen abgegrenzt ist: DAS INNERE und DAS ÄUSSERE steht da beispielsweise mit weißer Kreide auf dem Boden. Oder ARBEIT, GEMEINSCHAFT, KONTEMPLATION, KLÄRUNG. Dazu die entsprechende Möblierung: hier ein Schreibtisch, dort Sofas und Couchtische, eine Leinwand, Sanitärelemente. Alles in Weiß. Hier wohnt Heinz. Oder vielleicht auch: Hier demonstriert Heinz das Zuhausesein. Er pflanzt Basilikum in kleinen Erdtüten auf dem Estrich, er isst Toast am Tisch, er entspannt auf dem Sofa, er schläft im Bett. Und die drei Zeitreisenden beobachten ihn dabei, notieren, probieren, imitieren.

Aus den Lautsprechern tönen Texte über das Zuhause. Von Menschen im Ausnahmezustand. Sie stammen aus Ingrid Lausunds Monologband "Bin nebenan". Und ein Zitat aus dem Text "Fernseher" gibt dem neuen Downtown-Projekt des Stadttheaters Ingolstadt seinen Titel: "Warum laufen schon die Nachrichten von morgen? " Niko Eleftheriadis hat sich darin mit dem Thema Wohnen auseinandergesetzt. Und das auf äußerst ungewöhnliche, aber vor allem sehr unterhaltsame Weise.

Schon das Genre zu bezeichnen, fällt schwer. Denn zunächst wirkt der Raum im leerstehenden ehemaligen DK-Gebäude in der Donaustraße wie eine Installation. Zeit, Licht, Klang, Video, (Wohn-)Exponate und die Aktionen der Performer Andrea Frohn, Karolina Nägele, Peter Rahmani und Heinz Namysolo verschmelzen zu einem Werk. Das Publikum sitzt auch nicht auf festgelegten Plätzen, sondern bewegt sich wie in einem Museum von einem Ausstellungsstück zum nächsten, von einem Funktionsraum in den anderen, von der Küche zum Bad - immer auf den Spuren des seltsamen Forschungsteams und nach den Klängen von Ingrid Lausunds Monologen. Die geben Einblicke in Innenwelten: Da ist der Familienvater, dem die Schulden den Schlaf rauben. Da ist die Frau, die ihr Bad mittels DC-Fix-Klebefolie in eine Wohlfühloase verwandelt und später in ihren Gedankenstrudeln fast ertrinkt. Da ist die Frau, die das "nichts tun, sein, zuhause sein" nicht aushält und in hektische Betriebsamkeit verfällt. Das Zuhause verspricht bei Ingrid Lausund keine Sicherheit, keinen Schutz. Ihre Beispiele von Zuhause erzählen von Bedrohung, Auflösung, Gefahr, Verlorenheit.

Regisseur Niko Eleftheriadis hat dieser Innensicht auf das Zuhause den Blick von außen zugefügt. Ihm geht es um Wohnen aus gesellschaftlicher, politischer, sozialer Sicht. Um Wohnungsnot hier, dramatischen Leerstand dort. Um Mietwahnsinn und Spekulationsobjekte. Um Funktionalität und urbane Visionen. Dazu mischt er Auszüge aus der Charta von Athen, einem Manifest von 1933, das den Städtebau bis heute beeinflusst, mit Zeitungsartikeln von heute, die sich mit dem Baustopp am neuen Wohn- und Geschäftshaus gleich in der Nachbarschaft (nämlich Ecke Donau- und Münzbergstraße) befassen, und Statistiken aus der kleinen Großstadt Ingolstadt - Leerräume, Freiräume, Denkräume.

Was bedeutet Zuhause? Dieser Frage geht Niko Eleftheriadis mit seinem Ensemble nach. Sie tun das mit Witz, Gehalt und Leichtigkeit. Und ernten dafür nach 60 Minuten begeisterten Applaus. Wohnen betrifft uns alle - wenn auch in unterschiedlicher Brisanz.

ZUM STÜCK
Theater:
Downtown-Projekt des Stadttheaters Ingolstadt, ehemaliges DK-Gebäude, Donaustraße 11, warme Kleidung empfohlen
Regie und Ausstattung:
Niko Eleftheriadis
Weitere Termine:
3., 5., 9., 11. und 13. Dezember
Kartentelefon:
(0841) 30547200

Anja Witzke

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/leerraeume-und-denkraeume-2265660
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