"Die Jugend ist keineswegs narzisstischer geworden"

09.12.2019 | Stand 02.12.2020, 12:25 Uhr
Medienpsychologe Frank Schwab.t −Foto: Karl-Josef Hildenbrand (dpa)

Soziale Medien haben zwar unser Leben verändert, aber nicht nur zum Negativen. Das sagt der Würzburger Medienpsychologe Frank Schwab. Gefährlich können sie jedoch für Menschen mit bestimmen Veranlagungen werden.

Herr Schwab, rund die Hälfte der Menschen in Deutschland nutzt regelmäßig Netzwerke wie WhatsApp, Facebook und Instagram. Wie verändern Soziale Medien unser Leben?


Frank Schwab: Veränderungen gibt es gerade im Privaten, aber auch im Berufsleben. Man ist jetzt permanent online und rund um die Uhr erreichbar. Gleichzeitig wird auch alles Mögliche gespeichert und man wird eventuell mit Verfehlungen konfrontiert, die man vor zehn Jahren begangen hat. Außerdem ist Kommunikation durch Soziale Medien einfach und zumindest gefühlt billig. Wir müssen direkt kein Geld bezahlen und nicht auf einer Telefonscheibe wählen, wenn wir etwas loswerden wollen. So kommunizieren wir vielleicht auch ein bisschen zu viel und unbedacht.


Wo sehen Sie hier Gefahren?
Schwab: Es gibt diese Hate-Phänomene, irgendwo zwischen Flaming, Trolling Behaviour und Straftaten, wie etwa Gewaltandrohungen. Gemeint ist, dass die Leute ihren - meist aggressiven - Emotionen sofort freien Lauf lassen. Es wird unreflektiert alles rausgehauen und andere Nutzer werden unangemessen heftig angegangen. Bei Sozialen Medien sorgt auch die asynchrone Kommunikation immer wieder für Missverständnisse. Wenn der Andere nicht gleich antwortet, erleben das manche als soziale Kränkung, obwohl es so gar nicht gemeint ist.

Unter Jugendlichen sind die Nutzerzahlen noch deutlich höher. Wie beeinflussen Soziale Medien deren Entwicklung?
Schwab: Darüber weiß man noch nicht allzu viel, weil es diese Medien noch nicht so lange gibt. In der öffentlichen Diskussion sind gerade die Extreme präsent. Man redet immer von Internetsucht, dabei kann ein Großteil der Jugendlichen mit den Sozialen Medien relativ gut umgehen. Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass die jungen Leute das besser können, als die etwas älteren.

Sie haben die Sucht angesprochen. Können Soziale Medien krankmachen?
Schwab: Ich würde eher sagen, dass sie selten ursächlich sind, sondern Ausdruck oder Symptom einer zugrundeliegenden Problematik. Wenn jemand eine schwierige Persönlichkeitsneigung hat, kann sich diese auch bei der Mediennutzung bemerkbar machen. Wenn jemand etwa sozial ängstlich ist, nicht gerne mit anderen Menschen zu tun hat, flüchtet er eventuell in eine virtuelle Welt und spielt viel zu viel. Dann ist nicht das Spiel ursächlich, dass jemanden zu diesem Verhalten drängt.

Soziale Medien können also bestimmte Veranlagungen ins Negative verstärken?
Schwab: Genau, das kann der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Wie sieht es aus, wenn das Fass überläuft?
Schwab: Es gibt das Phänomen Fear-of-missing-out, man muss immer nachgucken: Ist was passiert, gibt's was Neues und denkt sich, hoffentlich verpass' ich nichts. Man hat Angst vor sozialer Ausgrenzung. Oder Risikoverhalten ist ein Thema. Gerade junge Männer neigen unter dem Einfluss von Testosteron zu riskantem Verhalten. Diese Neigung gab es schon immer, aber früher ist man halt die Mauer runter gehüpft. Heute nimmt man das mit dem Handy auf und macht noch größeren Blödsinn. Youtube und Insta-gram haben da einiges zu bieten.

Gerade Instagram ist immer wieder in der Kritik, ein Medium rein zur Selbstdarstellung zu sein. Wie sehen Sie das?
Schwab: Eine neue Studie zeigt, die Jugend ist keineswegs narzisstischer geworden. Es ist nicht so, dass Instagram den Selbstwert der Jugendlichen die ganze Zeit ins Unwirkliche treibt. Man muss aber auch sagen, Selbstdarstellung ist ein Merkmal unserer Spezies. Wir Menschen können über uns selbst nachdenken und darüber, wie andere uns sehen. Damit müssen und können wir umgehen.

Wie wirkt sich das auf uns aus, wenn wir durch Soziale Medien ständig mit der Selbstdarstellung anderer konfrontiert sind?
Schwab: Wir Psychologen nennen das sozialen Vergleich. Wir vergleichen uns als soziale Wesen gern mit anderen. Spätestens ab dem Alter von vier Jahren fangen wir damit an. Das machen wir schon immer. Nicht erst seit Erfindung der Medien. Heute haben wir aber das Phänomen, dass wir uns durch das Internet quasi mit allen Menschen weltweit vergleichen können. Wenn ich früher schnell laufen konnte, dann war ich der Schnellste im Dorf und der Held. Wenn ich heute schnell laufen kann, dann gibt es garantiert noch irgendwo jemanden auf diesem Globus, der noch schneller laufen kann. Also müssten wir alle eigentlich depressiv und niedergeschlagen sein, aber das ist nicht der Fall.

Wie haben Soziale Medien die Liebe verändert?
Schwab: Heute finden Menschen zunehmend online zueinander, nicht mehr ganz so wie früher, als sich Paare häufig am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis kennengelernt haben. Studien zeigen, das ist gar nicht unbedingt schlecht. Man kann durchaus eine gewisse Nähe durch einen Onlinekontakt entwickeln. Auch ist das öffentliche Vorurteil nicht zutreffend, dass etwa Tinder-Nutzer massenweise One-Night-Stands hätten. Das Internet hat nicht zu einem Verfall der Sitten bei der Partnerwahl geführt. Online ist man ähnlich kritisch wie in Face-to-Face-Situationen.

Sozialen Medien haben also auch Vorteile?
Schwab: Ja sehr viele. Durch sie ist etwa unser moralischer Horizont deutlich weiter geworden. Eine Bewegung wie Fridays for Future wäre ohne Soziale Medien nicht möglich gewesen.

Das Gespräch führte Bianca Hofmann.

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/die-jugend-ist-keineswegs-narzisstischer-geworden-2251659
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