"Kippelemente bedrohen unsere Zukunft"

Der Reichertshofener Diplomphysiker Michael Schaaf zeichnet eine dramatisch-düstere Vision von unserer Erde

02.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:50 Uhr

Langenbruck - Wie kann man Zuhörern erklären, in welchem Zustand sich neun Kippelemente im Klimasystem der Erde befinden und wie diese Klimazonen zusammen wirken?

Vor dieser spannenden Frage stand der Diplomphysiker Michael Schaaf, als er am Samstag im Gasthof Fröhlich seinen Klimavortrag hielt. Die Klimaaktivisten aus Reichertshofen hatten eingeladen.

Die arktische Meereisbedeckung spielt dabei eine Schlüsselrolle, weil sie für die Stabilität des Wettergeschehens auf der Nordhalbkugel maßgeblich verantwortlich ist. "Doch die Arktis hat sich drei Mal schneller erwärmt als jeder andere Ort auf der Erde. Das verursacht die Mäander im polaren Jetstream"" führte Schaaf aus.

Wie kam das Wettergeschehen am 22. Juli 2018 zu Stande, als Deutschland unter einer Hitzewelle ächzte? Die Antwort liefert der mäandernde Jetstream: Er saugte heiße Luft aus Nordafrika an und bescherte Europa einen extrem trockenen Sommer. "Wenn solche Ereignisse öfter auftreten und in einem einzigen Sommer sowohl in Europa, in China als auch in Nordamerika passieren, steht die Versorgungssicherheit der Menschheit mit Nahrungsmitteln auf dem Spiel", erklärte der Redner. Grund dafür ist die Instabilität der arktischen Meereisbedeckung. Dieses Kippelement befindet sich wenige Jahre vor seinem Kipppunkt und damit vor dem entscheidenden Zustandswechsel: "Wenn die Arktis im Sommer nicht mehr mit Meereis bedeckt ist, wird sie sich immer weiter erwärmen und das Klimasystem auf der Nordhalbkugel massiv stören", so der Klimaaktivist.

Schaaf: "Für die Korallenriffe kommt bereits jede Hilfe zu spät. " So hat sich das Meer an Australiens Küste bereits um ein Grad erwärmt und etwa 40 Prozent der Korallen vernichtet. Die Korallenbleiche tritt ein. Sie wird durch maritime Hitzewellen in Kombination mit der Versauerung des Meerwassers hervorgerufen. Das CO2 in der Luft wird vom Ozean aufgenommen und bildet Kohlensäure, die den ph-Wert absenkt und dadurch die Versauerung bewirkt.

Selbst dann, wenn die Menschheit das kaum noch realistische Ziel erreichen sollte, dass sich die Erde "nur" um 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau von 1850 erwärmt, werden 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe weltweit absterben. "Sollte die Menschheit das Klimaziel von zwei Grad erreichen - was als sehr ehrgeizig angesehen wird -, würde dies den Tod von 99 Prozent aller Korallenriffe bedeuten. "

Der Kipppunkt lag bereits bei einer Meerwassererwärmung von einem Grad", so der Redner. Doch dieser Kipppunkt ist überschritten. Da 25 Prozent aller Fischarten Korallenriffe benötigen, um sich fortzupflanzen, ist in der Zukunft mit einem schmerzlichen Verlust vieler Fischarten zu rechnen.

Ähnlich dramatisch wie bei den Korallenriffen steht es auch um die Westantarktis. Dort hat der Thwaites-Gletscher 2014 seinen Kipppunkt überschritten: Er zerfällt. 2018 konnte eine Expedition mit dem Tauchroboter Icefin den entscheidenden Beweis liefern. Videoaufnahmen beweisen, dass das Eisschild von warmem Meerwasser unterspült wird und dass sich das Eisgebirge deshalb vom felsigen Untergrund abtrennt. Eine Fläche zwei mal so groß wie Österreich und drei Kilometer dick würde dann aufschwimmen und in das offene Meer abdriften.

"Dieser Auflösungsprozess der Eismassen ist irreversibel. Keine Macht der Welt kann den Zerfall des Westantarktischen Eisschildes noch aufhalten", so Schaaf. Das vollständige Abtauen würde den Meeresspiegel um mindestens drei Meter anheben und viele Küstenstädte bedrohen. Außerdem haben Forscher unter dem Eisschild Vulkane entdeckt, die wieder aktiv werden könnten, wenn das Gewicht der Eismassen verschwindet. "Solche wieder erwachenden Vulkane haben wir auf Island erlebt. Wenn die Vulkane in der Westantarktis aktiv werden sollten, würden Lava und Asche den Abschmelzungsprozess beschleunigen und sogar das Ostantarktische Eisschild zum Kippen bringen. "

Den spannenden Vortragsabend besuchten rund 20 Zuhörer. "In Oberstimm und Hohenwart sind kaum Leute gekommen. Ich lasse mich aber von den positiven Rückmeldungen sehr sachkundiger Zuhörer motivieren und setze meine Vortragsreise fort. " Sieben Vorträge folgen noch, im Landkreisnorden unter anderem in Vohburg 5. März, 19 Uhr, Stadtcafé) und in Manching (10. März, 19 Uhr, Manchinger Hof).

DK

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