Hettenshausen

Ein Herz für Holz

Helmut Krpesch fertigt aus edlen Hölzern elegante Schreibgeräte

12.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:45 Uhr
Szenen aus der Werkstatt in Hettenshausen: Helmut Krpesch drechselt aus verschiedenen, größtenteils besonderen oder wertvollen Hölzern Stifte. −Foto: Herchenbach

Hettenshausen - Es gibt Menschen, die sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Zu denen gehört Helmut Krpesch: Er konzentriert sich auf das für ihn Wesentliche. Auf Spaziergängen mit seiner Frau hat er keinen Blick für die Landschaft - er schaut auf die Bäume, sucht herabgefallene Äste, krabbelt durchs Unterholz, "und dann hole ich mir die Filetstücke raus". Aus denen fertigt er edle Schreibgeräte, hochwertige Füller, elegante Kugelschreiber, exquisite Rollerballs, Druck- und Drehbleistifte. Jedes Stück ein Unikat, das eine Geschichte erzählen kann.

Der 57-Jährige hat kein Ladenlokal, seine Kunstwerke bietet er in seinem Online-Shop "SchreibMeister" an. Interessenten können ihn allerdings gern auch in seinem Haus in Hettenshausen besuchen. Im Keller ist sein Reich, dort hat er vor drei Jahren eine hoch professionelle Drechselwerkstatt eingerichtet mit allem, was dazugehört: Band- und Kreissäge, große Drechselbank, Abrichthobel- und Schleifmaschine, Fräsen, Absaugvorrichtung, Schneidemeißel, Stechbeitel ...

Beim Arbeiten schaut ihm von der Wand - in den Flower-Power-Farben der 60er Jahre - die Gitarristen-Legende Jimi Hendrix über die Schulter. Man ahnt es: Der Hausherr ist ein Fan der Swinging Sixties, mit seiner Cover-Band Pure Quill -zu Deutsch: reine Feder - spielt er als E-Gitarrist am liebsten harten Südstaaten-Rock.

Das Herz der Werkstatt ist ein zwei Meter hohes Regal, in dem Krpesch wie in einer offenen Schatzkiste Hölzer aufbewahrt, aus denen er seine Schreibgeräte fertigt. Die Aststücke, zum Teil schon zu Kanthölzern zurechtgesägt, sind weit gereist: Amaranth, wegen seiner purpurroten Farbe auch Purple Heart genannt, wächst im tropischen Südamerika. Black Palmira, schwarzes Palmenholz, kommt aus Indien und heißt wegen seiner durchgehenden Maserung auch Fischschwanz-Palme. Mit tiefroter Farbe besticht das Holz des Cocobolo-Baums, der in Mittelamerika entlang der Pazifikküste wächst.

Diese Hölzer gibt's nicht im Baumarkt und erst recht nicht in oberbayrischen Sägewerken. Krpesch hat sie seinem "Holz-Scout" Michael Schwarz zu verdanken. Der Pfaffenhofener Rentner verbringt gern seinen Urlaub in Ecuador und hat ebenfalls ein Faible für Hölzer. "Wo ich früher Landschaften gesehen habe", zitiert Krpesch seinen Freund, "da sehe ich heute nur Bäume und Holz."

"Unfassbare Schätze", freut sich der Hettenshausener, "hat er von seiner letzten Reise mitgebracht." Da hatte Schwarz am Rand eines Nationalparks die Hacienda La Cienega besucht, in der vor über 200 Jahren der Forschungsreisende Alexander von Humboldt lebte. Arbeiter waren gerade mit der Pflege der uralten Eukalyptusbäume beschäftigt, der Pfaffenhofener durfte sich mit Einverständnis des Rangers und einem Ausfuhr-Zertifikat vier abgesägte Äste mitnehmen. Krpesch zieht ein 30 Zentimeter langes Holzstück aus den Regal: "Ist doch unglaublich", begeistert er sich, "dieses Holz hat gesehen, wie Humboldt unter ihm durchgegangen ist."

Die Ausfuhrbestimmungen für exotische Hölzer sind sehr streng. Selbst ein umgestürzter entwurzelter Baum, den Arbeiter gerade von der Straße zerrten, darf nicht einfach so zerlegt werden. Der Scout durfte sich einen Ast von dem extrem seltenen Polylepis-Baum absägen, das Holz hat eine dekorative Schuppenmaserung.

Natürlich bringen im auch Kunden Hölzer vorbei mit der Bitte, die in einem Stift zu verewigen. Ein Paar aus dem Fränkischen brachte das Scheit eines Weichselbaums mit, in dessen Schatten die Kinder gespielt hätten. Oder ein Stück von einer Holztreppe. "Deren Knarren", verriet die Kundin, "verriet meinen Eltern, wenn ich nachts zu spät nach Hause kam." Und ein Stift aus Oliveschenholz erinnert jetzt seinen Besitzer an seinen Geburtsort Neapel.

Dass er einmal so begeistert handwerkeln würde, hat sich Krpesch sein Lebtag nicht vorstellen können. Eine Lehre in München als Büchsenmacher hat er nach drei Monaten abgebrochen. "Wenn mir noch eine dritte Hand wachsen würde", erklärte er damals entschuldigend seinem Meister, "dann wäre auch die eine linke." Nach einer Ausbildung als Schriftsetzer wechselte er in die Computerbranche, baute für große Unternehmen und Verlage IT-Plattformen auf; als Inhaber einer Marketing-Agentur organisiert er jetzt weltweit Schulungen für Computer und Betriebssysteme und begleitet die Digitalisierung an Schulen.

Das Drechseln entdeckte er eher zufällig. Eine Bekannte hatte ihn vor drei Jahren eingeladen, sie zu einem Kurs an der Volkshochschule zu begleiten. Deren Bruder war gestorben und hatte eine Hobbywerksatt hinterlassen. Die Schwester erschien nicht, aber um Krpesch war's geschehen: "Unglaublich", erinnert er sich, "nach dem Kurs bin ich mit einem funktionierenden Kugelschreiber nach Hause gegangen."

Das Innenleben seiner Stifte bezieht er im Set, für den "Körper" sägt er zwei Holzstücke zurecht und bohrt Löcher hinein. Das feine Sägemehl hebt er zum Verfüllen auf, sollte einmal das Holz reißen. Die viereckigen Holzhülsen werden dann auf Länge abgefräst, "dabei geht es im Zehntel Millimeter", so Krpesch. Der Rohling wird jetzt auf der Werkbank eingespannt und in Form gedrechselt. Eine weitere Herausforderung, Ebenholz zum Beispiel reiße leicht unter der Oberfläche.

Als Lack verwendet der Schreibmeister Cyanacrylat, eine chemische Verbindung, wie sie im Sekundenkleber vorkommt. Zehn, manchmal 15 hauchdünne Schichten trägt Krpesch auf, jede trocknet etwa eine halbe Stunde. Dann wird die Oberfläche in mehreren Arbeitsgängen geschliffen, zuerst mit 400er Körnung, am Schluss mit 12000er, "das ist so fein wie Zeitungspapier". Der Effekt: Die im Rohzustand stumpfe Farbe und Maserung des Holzes bekommt eine ungeahnte Leuchtkraft. Der Hettenshausener ist nicht unbescheiden: Die letzten Schritte in dem rund zehn Tage dauernden Arbeitsprozess machen den Unterschied zwischen gut und exzellent aus.

An die 500 Stifte (Preislage: zwischen 50 und rund 400 Euro) hat Krpesch bisher gebaut, auf Wunsch abgestimmt auf den Schreiber. Denn ob der Linkshänder sei oder vielleicht unter einer Arthrose in der Schreibhand leide, das habe Einfluss auf die Gewichtsverlagerung des Stiftes, die er beeinflussen kann. Individuelle Gravuren auf dem Stift? Nein, sagt Krpesch, das zerstöre "die heilige Einheit".

Hinterm Haus lagert er seine neuesten Schätze, die ihm vorbeigebracht worden sind: Ein 400 Jahre altes Stück Ulme "mit atemberaubend schönen Jahresringen", das ihm ein Baumgutachter nach dem Fällen überlassen hat, aber auch dicke Äste des Kirschlorbeers. "Der ist zu nichts gut, aber schauen Sie sich mal diese tolle Maserung an!"

Womit schreibt Krpesch selbst? "Mit meinen Leichen", sagt er, und holt einen Stift auf hervor, bei dem das Holz gerissen ist. Fühlen kann man's nicht, und man muss schon sehr genau hinschauen, um die Macke zu entdecken. Also zurück damit in die Sarg-Schublade.

PK

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