Hettenshausen

Kinderschutz in einer besonderen Zeit

Auch bei der Familienhilfe Ape läuft während der Coronakrise manches anders

17.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:31 Uhr
Das Familienhaus Alte Mühle in Waidhofen ist für einige junge Mütter und ihre kleinen Kinder ein Zuhause auf Zeit - auch während der derzeitigen Ausgangsbeschränkungen. −Foto: privat

Hettenshausen/Waidhofen - Ape betreut neben den jungen Müttern und Babys im Familienhaus Alte Mühle in Waidhofen auch rund 40 Familien in der Region und hat sogar eine Außenstelle in Italien.

Daniela Huber, eine der beiden Leiterinnen der Familienhilfe, sieht neben der wachsenden Sorge über steigendes Konfliktpotenzial in Familien aber auch positive Aspekte in dieser herausfordernden Zeit; sie merkt, wie gut es manche Familien, die eigentlich auf direkte pädagogische Betreuung und Hausbesuche angewiesen sind, doch schaffen, auf einmal vieles selbst zu regeln. Und auch in Italien, wo die Lage noch viel kritischer ist als hier in Deutschland und wo Ape eine Außenstelle betreibt, gehe die "Betreuungsarbeit auf Abstand" weiter, berichtet Huber. "In der Distanz", sagt die Pfaffenhofenerin, "zeigt sich, wie nahe wir uns sind. "

Ausgangsbeschränkungen und die Vermeidung direkter Kontakte bringen bei Ape wie bei vielen anderen Betreuungseinrichtungen enorme Veränderungen mit sich. Daniela Huber, die nach der Rückkehr aus Italien bis vor Kurzem noch in häuslicher Quarantäne war, und Claudia Daniel, mit der sie zusammen die Familienhilfe Ape leitet, müssen in diesen Zeiten täglich aufs Neue überlegen, wie sich das Team organisiert, wie Pädagogen und Therapeuten mit den hilfebedürftigen Familien und minderjährigen Schützlingen in enger Verbindung bleiben können.

Bei allen Familien, in denen Ape zum Einsatz kommt, hat das Jugendamt zuvor einen Hilfebedarf festgestellt, erklären Huber und Daniel. Das war schon vor Corona so und der wachsame Blick sei gerade in diesen Wochen der Einschränkungen auch weiterhin notwendig, damit das Kindeswohl nicht gefährdet wird. Ganz viel läuft nun virtuell, über Videotelefonate oder Nachrichten. Man wird kreativ, unterstützt sich gegenseitig, ist eng in Verbindung. Allerdings ist der direkte Kontakt, die persönliche Betreuung, manchmal nicht zu ersetzen. Und in den Heimen geht das Zusammenleben weiter, ist es doch ein Zuhause auf Zeit, ein sicherer Ort für Menschen, denen es oft von klein auf an Sicherheit gefehlt hat.

Wie zum Beispiel im Familienhaus Alte Mühle in Waidhofen, wo sechs Mütter, die meist noch sehr jung sind und aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen, in den ersten Monaten nach der Geburt mit ihren Babys wohnen und das Zusammenleben erst noch lernen müssen. Dafür brauchen sie erfahrene Pädagoginnen, die rund um die Uhr einen sicheren Ort für Mutter und Kind gewährleisten. Da haben sie bei Ape schon in Gedanken ein Worst-case-Szenario durchgespielt: Wie wird die Betreuung - und damit auch der Schutz der Babys - sichergestellt, wenn es einen Corona-Fall geben sollte? Man müsste dann eine Quarantäne-Situation für Mütter, Kinder und Mitarbeiter schaffen. Das würde viel von den Fachkräften abverlangen, hat doch jeder auch noch ein Privatleben, mancher hat zu Hause selbst Kinder oder auch einen Betreuungsfall. "Es ist ganz groß, was unsere Mitarbeiterinnen hier im Moment Tag für Tag leisten", betont Claudia Daniel. Ape habe auch Glück, meint Daniela Huber: "Bis jetzt ist es stabil und allen geht es gut. " Das Kindeswohl stehe immer an erster Stelle und es finde jeden Tag aufs Neue eine Abwägung von Gefährdungssituationen statt, so sehen Claudia Daniel und Daniela Huber ihre Verantwortung, die in diesen Zeiten nur gemeinsam, in einem engen und vertrauensvollen Austausch mit Kollegen und den zuständigen Jugendämtern so gut getragen werden könne.

Verantwortungsbewusstsein hat Daniela Huber auch dazu veranlasst, noch Anfang März nach Italien zu fahren. In Umbrien und in der Toskana hat Ape besondere Schutzstellen, in die Jugendliche oder Familien aus Deutschland über die Jugendämter vermittelt werden, um hier eine neue Chance zu bekommen. Auch hier geht es immer um den "sicheren Ort", sagt Huber, um Schutz und die engmaschige Begleitung und Betreuung von Menschen. Begleitung und Sicherheit für Menschen, die ihr Leben erst wieder in den Griff bekommen müssen und dazu erst mal ganz viel Abstand zu ihrem alten Leben brauchen.

Kaum war Daniela Huber in Italien eingetroffen, wurde die erste nationale Ausgangssperre verhängt. Die Familien waren nun verstärkt auf sich selbst gestellt. Das warf ganz neue Fragen auf: Kann man unter den aktuellen Bedingungen - vor allem auch in Italien - überhaupt ein Gefühl von Sicherheit geben? Wie geht es den Menschen in ihren Wohnungen und Plätzen, wo bis vor Kurzem noch eine engmaschige Face-to-Face-Betreuung stattgefunden hat?

Die Betreuten in Italien und auch die von Ape begleiteten Familien in Deutschland haben die Pädagoginnen überrascht. Denn es zeigte sich, dass manche der Familien mit der Ausnahmesituation besser zurechtkommen als gedacht, dass die Beziehungsarbeit, die die Ape-Mitarbeiter hier geleistet haben, tiefe Wurzeln getrieben hat: "Jetzt, wo alle gezwungen sind, zu Hause zu bleiben, sehen wir hier und da auch die Früchte unserer Arbeit - tragfähige Beziehungen können nun auch auf die Distanz wie ein Schutzschirm sein", so Daniela Huber. "Unsere Familien kennen das Gefühl von Krise und Unsicherheit ja sogar oft besser als wir Helfer", ergänzt Claudia Daniel. Die beiden Familientherapeutinnen sehen darin eine wichtige Ressource.

Mit Blick auf die Gesamtsituation aber lässt die Vorstellung, was sich wohl in diesen Zeiten oft auch hinter verschlossenen Türen abspielt, die Ape-Leiterinnen trotz ihrer positiven Grundhaltung plötzlich ernst und sorgenvoll werden. Es gebe so viele Familien, wo Streit und massive Konflikte den Alltag begleiten und Kinder dann in große emotionale Notlagen geraten. "Wir müssen nun alle gut aufeinander aufpassen und dürfen nichts übersehen", unterstreicht Daniel.

Was helfe in dieser Ausnahmesituation, sind Zusammenhalt und Solidarität auf allen Ebenen - was sich bei den unter der Corona-Krise so besonders schwer leidenden Italienern, wie aber auch in Deutschland zeige. Erstaunt registrierte Huber, wie ernst die Italiener die staatlichen Anordnungen von Anfang an nahmen, "dass sich alle vom einen Tag auf den anderen daran gehalten haben. Weil sie ihre Alten und Kranken schützen wollen. " Und weil die körperliche Nähe wegfiel, die alltäglichen Umarmungen, die den Italienern eigentlich so wichtig sind, wurde die Sprache umso emotionaler, liebevoller: "Im Supermarkt hörte man die Anrede cara oder caro - also Liebe oder Lieber - nun noch öfter als sonst. " Das sei dann schon wieder ganz nah an der "Herzenssprache", die sich in Italien auch in der Pädagogik wiederfinde und wegen der Ape damals auch die Außenstelle in Italien eröffnet habe.

Ein Zusammenrücken der Verantwortlichen in einer herausfordernden Zeit sei auch hier spürbar, bemerken die beiden Ape-Frauen. So sei es in diesen Wochen ganz besonders wichtig, dass Jugendämter und Träger eng zusammenwirken. "Professionelle Distanz hat neue Farben bekommen", bemerkt Claudia Daniel. Videotelefonate von zu Hause aus schaffen eine neue Nähe unter Betreuern, Betreuten und Ämtern. Bürokratie und persönliche Grenzen, die man aus normalen Arbeitsabläufen gewohnt ist, würden hier und da aufgeweicht - wenn es dem Schutz und dem Wohl der Kinder diene.

Deswegen sind Daniela Huber und Claudia Daniel bei aller Schwere, die diese Zeit mit sich bringt, auch voller Hoffnung für die Zukunft. Sie verweisen auf ein Zitat des 93-jährigen italienischen Soziologen Franco Ferrarotti, der für die Zeit nach Corona eine "unglaubliche Explosion an Lebensfreude" vorhersagt. "Da sind wir dann dabei", sagen die beiden unisono. Außerdem, so hoffen sie, werde der Gesellschaft in diesen Tagen stärker bewusst, was nicht nur Sozialpädagogen und Familientherapeuten, sondern alle, die mit der Betreuung und dem Schutz von Menschen zu tun haben, leisten. "Corona hat uns in eine neue Nähe zueinander gebracht, hat uns gleicher gemacht" - diesen Satz würden beide Ape-Leiterinnen unterschreiben.

PK

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