Große Pläne - große Sorgen

Kultur in Zeiten von Corona: Konzertveranstalter wie Andreas Schessl stehen gerade vor außerordentlichen Herausforderungen

28.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:27 Uhr
Andreas Schessl: "Wir werden froh sein, wenn wir aus diesem Biedermeierleben wieder raus- können." −Foto: Medve

München - Gerade hat der Konzertveranstalter München Musik sein Programm für die Saison 2020/2021 angekündigt, mit Stars wie Diana Damrau, Sol Gabetta, Daniel Barenboim, Jonas Kaufmann.

Nimmt man den Hochglanzprospekt zur Hand, scheint alles wie immer.

Doch in Zeiten von Corona balanciert jede Planung auf fragilen Füßen. Andreas Schessl (58) hat im Münchner, Stuttgarter, Nürnberger und Wiener Musikleben Anker geworfen. Allein das Münchner Konzertprogramm kostet etwa 18 Millionen Euro. Anders als städtische und staatliche Veranstalter kommt er ohne öffentliche Gelder aus, was sich auch preislich bemerkbar macht. In den besten Kategorien kosten Tickets dreistellige Summen, viele Kunden halten mehrere Abonnements - es geht auch für sie um eine Menge Geld. Schessls Verluste belaufen sich für 18 ausgefallene Abende bereits jetzt zwischen 20000 und 80000 Euro je Konzert. Dabei schützt ihn der Passus "Höhere Gewalt" davor, für Kosten gerade stehen zu müssen, die er nicht verantwortet. Jetzt aber, da Corona weidlich bekannt ist, müssen neue Regeln gefunden werden. Sich generell gegen Ausfälle zu versichern, wie es die Oberammergauer Passion geregelt hatte, ist für den Konzertveranstalter unrentabel. Zumal nicht klar ist, wann Konzertsäle wieder eröffnen, Orchester wieder Stuhl an Stuhl musizieren dürfen.

Dennoch läuft der Vorverkauf für Ende Oktober, so Schessl. "Der Zyklus Große Orchester ist dabei so etwas wie unser Flaggschiff. In der kommenden Saison wird vor allem spannend sein, welche internationalen Orchester überhaupt reisen dürfen. " Das Beethoven-Jahr soll ebenfalls noch glanzvoll ausklingen. Dazu Schessl: "Wir mussten den Beethoven-Zyklus mit Andris Nelsons und den Wiener Philharmonikern im März nach zwei Konzerten unterbrechen, das war schon sehr traurig. Das Orchester ist unglaublich eng getaktet und viel gefragt, da wird sich so ein großes Projekt, alle neun Symphonien an einem Stück aufführen zu können, so schnell nicht mehr realisieren lassen. " Veranstalter trifft die Krise ähnlich wie die Hotellerie, wo ja auch nicht demnächst jedes Bett mit zwei Personen belegt werden kann, um Verluste auszugleichen. "Die Säle können nicht doppelt vermietet werden, Künstler nicht häufiger musizieren, auch Zuschauer werden ihre Besuche nicht verdoppeln. Wir werden also nächstes Jahr nicht vermehrt spielen", so Schessl.

Der Geschäftsführer des Tickethändlers Eventim, Klaus-Peter Schulenberg, hat daher an die Regierung appelliert, eine Gutscheinlösung gesetzlich zu verankern. Damit würden bezahlte Tickets wie ein zinsloser Kredit bei den Veranstaltern verbleiben. Sie müssten dem Kunden erst 2022 sein Geld rückerstatten, sofern dieser kein anderes Konzert buchen wollte. Was aber, wenn ein Veranstalter die Krise nicht überlebt? Dann ist das Geld für den verpassten Konzertgenuss wohl endgültig verloren. "Diese Hilfe kostet Staat und Stadt nichts und den Einzelnen lediglich einen geringen Beitrag, der aber große Wirkung zeigt", findet Schessl und erzählt, dass viele seiner Kunden aufgeschlossen und großzügig reagieren. "Ansonsten haben wir natürlich Anspruch auf Kurzarbeit aus der Arbeitslosenversicherung. Von speziellen Hilfen für die privatwirtschaftliche Kultur höre ich jedoch bisher nichts. Wir werden alle kleinere Brötchen backen. " Wo sonst der Markt wie ein Uhrwerk schnurrt, hakt es jetzt, das merkt auch Schessl. "Wir planen meist zwei bis drei Jahre im Voraus, Großprojekte haben sogar vier bis fünf Jahre Vorlaufzeit. Doch die Gesetzmäßigkeiten funktionieren jetzt nicht mehr. Das ist vergleichbar, wenn bei Audi die Laufbänder stehen, weil ein Teil für die Produktion fehlt. Es wirkt sich übrigens auch auf andere Bereiche aus: Wir zahlen derzeit keine GEMA-Gebühren, so dass Komponisten weniger verdienen. Die Pausengastronomie fällt weg und auch das Einlasspersonal hat derzeit keine Einkünfte mehr. "

Jedenfalls hofft Schessl dringend, dass die große Maschine seines Konzertbetriebes mit mehr als 550 Konzerten im Jahr bald wieder schnurrt. Als Geschäftsmann, aber auch ganz privat: "Mein Leben spielt sich sonst zu großen Teilen am Abend im Konzert ab. Jetzt hätte ich zwar stattdessen Zeit für meine Freunde, aber kann sie ja nicht treffen. Die Freizeit, die einem jetzt plötzlich gegeben ist, hat keinen nachhaltigen Wert. Wir werden froh sein, wenn wir aus diesem Biedermeierleben wieder rauskönnen. "

DK

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