Riedenburg

"Riedenburg braucht eine soziale Partei"

Die SPD-Stadträtin Felicitas Wollschläger setzt sich für Menschen im gesellschaftlichen Abseits ein

20.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:43 Uhr
Erfreut über den Generationswechsel im Stadtrat: Felicitas Wollschläger. −Foto: Schabenberger

Riedenburg - Felicitas Wollschläger hat in ihrem Leben schon viele sehr unterschiedliche Aufgaben bewältigt. Die gelernte Friseurin war in einem Kelheimer Unternehmen in der Motorenprüfung tätig, sie arbeitete ein Jahr auf einer bewirtschafteten Berghütte in Berchtesgaden, wo es nicht einmal Strom gab, sie war Servicekraft auf einem Schiff der Weißen Flotte, betreute Besucher im Servicezentrum der Befreiungshalle und ist nun seit neun Jahren als Bestattungsberaterin tätig. Im Mai hat sie eine neue Herausforderung ereilt. Die 54-jährige Sozialdemokratin gehört seitdem dem Riedenburger Stadtrat an.

In dem Gremium hat sie gleich das Amt der Seniorenbeauftragten übernommen. Ihr Vorbild heißt Willy Brandt. Der Einsatz für Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich ist ihr schon seit dem Einstieg ins Berufsleben ein Anliegen. Dem Personalrat bei der Firma Heidolph gehörte sie schon in jungen Jahren an und sie engagierte sich bei der Gewerkschaft IG Metall. "Der Einsatz für die Belange der Kollegen war mir wichtig", erinnert sich die gebürtige Kelheimerin. Und sie wolle etwas für die Allgemeinheit leisten, sagt sie. Deshalb war sie bei den Anfängen des Kleiderladls dabei, arbeitete beim Roten Kreuz und im Helferkreis Asyl mit. Dort unterstützte sie die damalige Integrationsbeauftragte Maria Kaffl-Höng, die zudem Vorsitzende der Riedenburger SPD-Ortsgruppe war. So kam der Kontakt zur Sozialdemokratie zustande, denn der Partei hatte Wollschläger bis dahin nicht angehört. "Maria Kaffl-Höng leistete eine hervorragende Arbeit, aber es fehlte der Nachwuchs." Die Ortsgruppe der SPD sei damals am Scheideweg gestanden. "Aber Riedenburg braucht eine soziale Partei", betont sie. Deshalb sei sie sehr zufrieden mit dem Ausgang der Stadtratswahl, denn der neue junge Vorsitzende Eric Hock und sie selbst schafften den Sprung ins Gremium.

Felicitas Wollschläger glaubt, dass ihr gutes Ergebnis auch mit ihrer Tätigkeit als Bestattungsberaterin bei der Riedenburger Firma Adamczyk zusammenhängt. "Viele Bürger kennen mich durch meinen Beruf. Es war keine so große Überraschung, dass ich gewählt worden bin." Da sie nach Sterbefällen die Angehörigen berät, gewinnt sie Einblicke in die sozialen Verhältnisse vieler Familien, die anderen verborgen bleiben. "Das ist ein Rund-um-die-Uhr-Job, der mir zur Berufung geworden ist." Denn sie hat teilweise eine 24-Stunden-Bereitschaft und muss auch zu ungewöhnlichen Zeiten tätig werden.

Dabei steht der Verkauf von Särgen weit im Hintergrund. Viel wichtiger sei die bürokratische Bewältigung eines Sterbefalls, wie zum Beispiel die Beratung bei Rentenanträgen. Natürlich sei es extrem wichtig, den Hinterbliebenen als Ansprechpartner bei der Trauerarbeit Unterstützung zu leisten. Ihr Ziel sei, den Leuten das Gefühl zu geben, gut aufgehoben zu sein. "Dazu braucht man viel Feinfühligkeit." An durchschnittlich jedem Arbeitstag wird Felicitas Wollschläger mit einem neuen Trauerfall konfrontiert. Dabei erfahre sie viele positive Rückmeldungen von den Angehörigen. "Man bekommt zurück, was man gibt - das ist unbezahlbar." Wollschläger plagt dabei nicht die Furcht, von der vielen Trauer um sie herum erdrückt zu werden. "Ich bin ein gefestigter Mensch." Bei der Aufarbeitung der Geschehnisse sei auch ihre Familie wichtig, berichtet die verheiratete Mutter zweier erwachsener Kinder.

Die Allgegenwart des Todes in ihrem Berufsleben hat Wollschläger eine Erkenntnis nahegebracht: "Die Welt kann von einem Tag auf den anderen sehr klein sein." Deshalb sei es entscheidend, im Leben etwas voranzubringen, sich dabei aber selbst nicht so wichtig zu nehmen. Die verborgene Armut in der eigentlich wohlhabenden Region Altmühltal sei mehr eine soziale als eine materielle. Natürlich sei die Grundversorgung der Menschen zumeist gesichert. Aber vor allem ältere Leute würden nach dem Tod eines Partners schnell ins soziale Abseits geraten, denn die Kinder würden häufig weit verstreut leben. Die Vereinsamung der Menschen könne dabei bis zur Verwahrlosung führen. "Viele Leute bei uns kriegen das nicht mit, man blickt nicht hinter die Kulissen." Deshalb ist Wollschläger ihre Arbeit als Seniorenbeauftragte umso wichtiger. Ihr ist zwar bewusst, dass es schwierig wird, hier Abhilfe zu schaffen: "Denn viele dieser Menschen leben sehr zurückgezogen." Umso wichtiger ist es ihr, an diejenigen Senioren heranzukommen, die immobil und nicht mehr in die Gesellschaft integriert sind.

Am Herzen liegt Felicitas Wollschläger deshalb auch die Schaffung eines Bürgerbüros im Rathaus. Das sei ein Wahlkampfziel der SPD gewesen: "Wir brauchen eine Anlaufstelle für unbürokratische Behördengänge." Natürlich steht die Stadträtin aus dem Ortsteil Prunn auch im Mittelpunkt der Debatten um das neue Baugebiet "Prunn West II". Der Dorfrat sei in der Frage sehr aktiv, berichtet sie. Bei den Diskussionen gehe es darum, das Areal mit 33 Parzellen "liebenswerter, lebenswerter und persönlicher" zu machen. Zudem müsse die Verbindung mit dem Altdorf gewährleistet sein. Von einer Verhinderung des Baugebiets sei nie die Rede gewesen.

Bei dieser Vermittlerrolle ist ihr die Unterstützung der anderen Mitglieder des Stadtrats gewiss. Die Atmosphäre im Gremium verbessere sich, "die Wogen haben sich geglättet". Es herrsche inzwischen ein Klima der konstruktiven Zusammenarbeit, die anfängliche Hitzköpfigkeit sei geschwunden. Auch der Generationswechsel mit insgesamt neun neuen Stadträten tue der Arbeit gut. "Die jungen Stadträte bringen frischen Wind hinein." Im Gremium säßen vernünftige Leute, sie würden die Ziele der Stadt nicht aus den Augen verlieren. Die Unterstützung für den neuen Bürgermeister Thomas Zehetbauer (CWG) sei gesichert. Man werde die notwendigen Projekte angehen, dabei aber "einen kritischen Blick auf die Kasse werfen." Mit sparsamem Wirtschaften werde es möglich sein, den Haushalt während der sechsjährigen Wahlperiode wieder in Ordnung zu bringen. "Das ist nötig, damit wir wieder investieren können."

rat



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