Rückführung ins Kulturamt

Städtische Veranstaltungsgesellschaft soll aufgelöst werden

Geschäftsführer Klein als Amtsleiter im Gespräch

14.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:45 Uhr
Veränderungen stehen an: Kulturreferent Gabriel Engert (l.) und Tobias Klein, der Geschäftsführer der 2016 gegründeten städtischen Veranstaltungsgesellschaft, bei einem Gespräch 2019. −Foto: Eberl

Ingolstadt - Es ist eine Nachricht mit großer politischer Brisanz, aber sie gelangte eher beiläufig in die Öffentlichkeit: Am Dienstag verteilte das Presseamt der Stadt an Journalisten ein Schreiben mit Änderungen im Jahressitzungsplan. Darin wird eine Sondersitzung des Kultur- und Schulausschusses angekündigt: am Freitag, 23. Oktober, direkt vor der Vollversammlung des Stadtrats. Einziger Punkt: „Rückführung der Veranstaltungs gGmbH“.

 

Rückführung bedeutet Auflösung. Die Gesellschaft im Besitz der Stadt Ingolstadt – seit ihrer Gründung 2016 sehr  umstritten – soll bis 30. April 2021 abgewickelt werden. Die rund 20  Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereits  informiert, alle hätten das Angebot erhalten, zur Stadt Ingolstadt zu wechseln, berichtete Kulturreferent Gabriel Engert   am Mittwoch auf Anfrage. Die  Aufgaben der Gesellschaft – sie organisiert nahezu alle  Veranstaltungen vom Afrikafest über die Literaturtage bis hin zu Märkten und Volksfesten – kehren ins Kulturamt zurück, und damit  auch in den unmittelbaren  Zuständigkeitsbereich des       Stadtrats, so wie es die ehemalige  Opposition im   Stadtrat seit Jahren fordert.

Das Thema „städtische Beteiligungsgesellschaften“ hat in den vergangenen beiden Wahlperioden regelmäßig erbitterte Konflikte ausgelöst. Auch unter den Oberbürgermeistern Alfred Lehmann und Christian Lösel (beide CSU) wurden  viele kommunale Aufgaben in städtische GmbHs  ausgelagert. Die Opposition beklagte die „Selbstentmachtung des Stadtrats“ und warf der CSU „Konzerndenken“ vor. 
Stadträte gehören zwar den  Aufsichtsräten der GmbHs an, dürfen aber  ihren Fraktionskollegen nichts aus den Sitzungen berichten.  Der  Dauerstreit um  die Kontrolle kommunaler Entscheidungen und deren Transparenz  stand Anfang 2016 während einer dramatischen Stadtratsdebatte über die von OB Lösel forcierte Gründung der Veranstaltungsgesellschaft knapp vor der Eskalation. CSU und FW setzten sich durch. Die zankerfüllte Vorgeschichte der GmbH  ist den Beteiligten unvergessen. Sie schwingt in  den Diskussionen  über die städtischen Gesellschaften immer mit.  

Christian Scharpf knüpfte im  Wahlprogramm der SPD daran an: Dort  heißt es: „Die Beteiligungsstrukturen müssen  überprüft werden, und wo es sinnvoll ist, soll die Aufgabenerledigung wieder raus aus den Gesellschaften und zurück in den Hoheitsbereich überführt werden, damit der demokratisch legitimierte Stadtrat wieder die volle Entscheidungskontrolle erlangt.“  Jetzt, als Oberbürgermeister,   fängt er bei der Veranstaltungsgesellschaft damit an. Sollte er erfolgreich sein, wäre es die erste Auflösung einer Gesellschaft im Besitz der Stadt. 

Die Rückführung der GmbH in die Verwaltung erfolge „nicht eins zu eins“, sagte Engert. „Es wird nicht alles einfach auf den Stand von 2016 zurückgedreht.“ Vielmehr kämen die Zuständigkeiten der Gesellschaft in der Form eines „optimierten Regiebetriebs“ ins Kulturamt zurück. Das bedeute unter anderem, dass strukturelle Vorteile einer GmbH  auch unter dem Dach einer Behörde  weiterwirken. „Dieser Bereich wird nicht als  Haushalt abgerechnet, sondern es  wird mit kaufmännischer Buchführung ein eigener Wirtschaftsplan aufgestellt, der als Sondervermögen im Haushalt ausgewiesen wird“, sagte Engert. Die Gründung der GmbH     sei also „nicht umsonst gewesen“. Auch mit deren Geschäftsführer Tobias Klein  habe er „gut zusammengearbeitet“, sagte der  Kulturreferent. Er fügte aber  an: „Ich freue mich, dass der Veranstaltungsbereich wieder näher an mein Referat heranrückt.“ Der OB „steht eindeutig dahinter“.
Christian Scharpf sagte auf Anfrage: „Ich habe schon bei meinem Amtsantritt das städtische Beteiligungsmanagement gebeten, alle Beteiligungsstrukturen zu prüfen.“ Bis zum Ende des Jahres soll ein internes Papier   vorliegen, auf dessen Basis in der Sache „städtische Gesellschaften“ über das weitere Vorgehen entschieden werde. „Wir machen das in zwei Schritten. Erst den Grundsatzbeschluss, dann schauen  wir,  wie wir die Verwaltung organisatorisch aufstellen.“ Die CSU gehe  mit, sagte Scharpf. „Gabriel Engert hat das vorbildlich kommuniziert.  Aber natürlich gab es intensive Diskussionen.“ Und wie der Kulturreferent  hob der OB hervor, dass  alle Mitarbeiter der Gesellschaft das  Angebot erhalten  haben, zur Stadt zu wechseln. „Das ist mir sehr wichtig.“

Scharpf verweist auf das Wahlprogramm der SPD. „Ich bin jetzt im Amt und packe das an, was ich mir vorgenommen habe.“ Es sei eine grundsätzliche Frage, städtische GmbHs zu gründen. „Bei den Stadtwerken oder den Kommunalbetrieben ergibt es Sinn,   bestimmte Aufgaben nicht in der Hoheitsverwaltung zu haben, sondern weiter weg bei einer Geschäftsführung.“ Aber  Kulturveranstaltungen, Märkte und Feste?  „Da ist es sinnvoll, das näher am Rathaus zu haben. Das will der Stadtrat nicht aus den Händen geben, das spürt man     auch im  Veranstaltungsausschuss deutlich, das treibt die Leute um“, so Scharpf. Man könne natürlich für Feste   eine GmbH  gründen, „aber ich sehe das anders“.  Er erinnert an eine der bekanntesten Veranstaltungen der Welt: „Das Oktoberfest wird auch von einer Stadtverwaltung organisiert. Und es funktioniert.“

Tobias Klein hat diese Entwicklung nicht überrascht. „Die Pläne sind ja schon  schon länger bekannt“, sagte er auf Nachfrage des DONAUKURIER. Er habe deswegen auf eine rasche Entscheidung gedrängt und sei von Anfang an in enger Absprache mit Engert und Oberbürgermeister Scharpf gewesen.  Vor allem wollte er Klarheit für seine Mitarbeiter, so Klein. „Mir war es auch wichtig, dass die Dinge, die wir als Stärken und neuen Ideen in der GmbH hatten, in den neuen Strukturen erhalten bleiben.“  Klein meint damit nicht zuletzt  das gut funktionierende Team. Ein „wilder Haufen“ engagierter Mitarbeiter, die  unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, aber sich alle engagiert für das Kulturleben einsetzten, lobt er.  Da nun ein Konzept gefunden sei, das auch die Strukturen erhält, um weiter gute Arbeit zu leisten, sei er wegen der aktuellen Entwicklung „alles andere als enttäuscht“. Dass die Kulturarbeit wieder näher an das Referat und den OB rücke „kann durchaus Vorteile haben.“

Klein räumt ein, dass der Start seiner Amtszeit vor vier Jahren „schwierig“ war.   Manch einer hatte der CSU-geführten Verwaltung Mauschelei vorgeworfen, war doch  Kleins Frau Patricia  damals schon CSU-Stadträtin und wenig später Fraktionsvorsitzende. „Es mag sein, dass ich die Ausmaße der Diskussionen damals  unterschätzt habe“, sagt er heute. Dass die Kritik an der Entscheidung nicht immer sachlich und mitunter auch gegen ihn persönlich gerichtet worden sei, habe ihn „manchmal schon getroffen“, sagt Klein. 
Was den Start 2016 auch erschwert habe, seien steuerrechtliche Veränderungen gewesen, die manchen Veranstalter in Harnisch brachten. „Das hatte aber nichts mit der gerade gegründeten GmbH und nichts mit mir zu tun. Die wären so oder so gekommen, manche haben die Schuld daran aber der Gesellschaft gegeben“, berichtet Klein. 

Heute sei viel Kritik verstummt. Das Verhältnis zu den Veranstaltern sei gut, und mittlerweile hätten auch die Skeptiker gemerkt, „dass es doch eigentlich ganz gut funktioniert hat“. Deswegen sei er angesichts der aktuellen Entwicklung nicht verbittert, sondern eher motiviert, sich weiter für das kulturelle Leben der Stadt einzusetzen. Warum nicht als Leiter des Kulturamtes? Erste Gespräche habe es bereits gegeben. „Mir ist wichtig, dass wir unsere Arbeit so weiterführen können wie bisher,  weil das auch irrsinnig viel Spaß macht – egal in welcher  Rechtsform.“ 

Am Donnerstag, 22. Oktober, ist die „Rückgliederung der Veranstaltungs gGmbH“ Thema  im Ausschuss für Sport, Veranstaltungen und Freizeit (Beginn um 16 Uhr), am Tag darauf kommt um 13.30 Uhr der Kulturausschuss in dieser Sache  im Festsaal des Stadttheaters zu einer Sondersitzung zusammen – direkt vor der Stadtratssitzung, die um 15 Uhr beginnt.  

REAKTIONEN

Alfred Grob, Vorsitzender der CSU-Stadtratsfraktion, erklärte am Mittwoch auf Anfrage: „Uns ist wichtig, dass die Errungenschaften, die in der GmbH erreicht worden sind, weitergeführt werden.“ Er nennt  die Doppelte Buchführung, einen Wirtschaftsplan, das Jährlichkeitsprinzip und eine enge Zusammenarbeit mit dem Finanzamt. „Es hat ja damals sehr gute Gründe für eine GmbH gegeben.“ Sollten diese Neuerungen künftig auch in dem angestrebten so genannten „optimierten Regiebetrieb“ im  Kulturamt beibehalten werden, sei es „im Grunde genommen egal“, ob die Organisationsform eine GmbH sei oder nicht. 
Auf Tobias Klein angesprochen, betont Grob, er könne sich den aktuellen Geschäftsführer der  Veranstaltungsgesellschaft auch gut als Kulturamtschef vorstellen. „An dieser Position muss man vertrauensvoll mit dem Kulturreferenten zusammenarbeiten können – und ich denke, dass Klein und Engert ein gutes Tandem wären.“ 

BGI-Chef Christian Lange schrieb   in einer Stellungnahmen: „Bereits bei der Gründung dieser Gesellschaft hat sich die damalige BGI-Fraktion gegen diesen Schritt ausgesprochen, weil uns  von Anfang  an klar war, dass die  Versprechungen und Ankündigungen rund um angebliche Steuerersparnisse und Synergieeffekte nicht stimmen können. Die Realität hat es dann sehr schnell gezeigt: Inzwischen arbeiten doppelt so viele Menschen in dieser Gesellschaft als früher im Kulturamt. Die Kosten sind mit 2,4 Millionen Euro deutlich höher, als wir seinerzeit befürchtet haben. Statt Einsparungen und Effizienzsteigerungen war das Ergebnis  Geldverschwendung und Missmanagement. Das hat leider auch noch dazu geführt, dass kulturelle Veranstaltungen mit viel Tradition in diesen vier Jahren gestorben sind. Eine höchst ärgerliche Entwicklung, deren einziger Grund aus meiner Sicht in der Vetternwirtschaft der damaligen Stadtspitze zu suchen ist.“ jhh

KOMMENTAR

Wenig hat im  alten Stadtrat   die Stimmung noch stärker vergiftet als der ständige Streit um die  GmbHs der Stadt. Für den von Effizienzenthusiasmus beseelten OB Christian Lösel war das nicht nur  eine Machtfrage, sondern  auch eine Glaubenssache. Die Auslagerung   kommunaler Aufgaben in städtische Gesellschaften charakterisierte  den mana-gementorientierten Politikstil  des studierten Betriebswirts.
  
Auf der Gegenseite  beklagten Oppositionspolitiker, der   Stadtrat beraube sich seiner   Kernkompetenzen, wenn er   Aufgaben wie die Sanierung von Baudenkmälern (INKo Bau)   oder eben  die Organisation von Kulturleben und Fes-ten in der Stadt  aus der Hand gebe   wie im Fall der Veranstaltungsgesellschaft. 
Es gibt auch Argumente für GmbHs in kommunalem Besitz. Keiner kann heute sagen, ob es nun besser  ist, wenn ein Volksfest von einer Behörde oder einer Gesellschaft organisiert wird, zumal das Personal im Wesentlichen das gleiche bleiben wird. Aber vermutlich ist diese Frage noch nachrangig. Jetzt geht es weniger um  Pragmatismus und Effizienz, sondern zuallererst um Politik. Also um Macht.
Christian Scharpf (SPD) hat  im Wahlkampf angekündigt,   Gesellschaften zurück in die Verwaltung zu holen, sollte er gewinnen. Dass er damit  vor allem die von seinem Vorgänger durchgesetzte      Veranstaltungs GmbH  meinte,  war zu erwarten.  Jetzt, als OB, fackelt er nicht lange und sendet ein   unmissverständliches Signal: Lösels Politikstil ist passé.
  
 Dieser Weg ist der richtige. Der Stadtrat muss das Zentrum der Entscheidungen bleiben. Eine Kommune  ist ein Gemeinwesen, kein Konzern. Fragen von öffentlichem Interesse müssen öffentlich diskutiert  werden, nicht hinter   geschlossenen Vorstandstüren, von denen es in Ingolstadt zu viele gibt. - Von Christian Silvester


 

Johannes Hauser, Christian Silvester

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