7 Quadratmeter ohne Wasser und Strom

Im Kunstprojekt "Obdach" befasst sich das Staatstheater Augsburg mit dem Menschenrecht auf Wohnen

27.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:43 Uhr
  −Foto: Jan-Pieter Fuhr

Augsburg - Normalerweise wohnt Nicola Bremer in Dresden, in einer 35 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung im Erdgeschoss mit zwei großen Fenstern auf eine ruhige Straße.

 

Das wichtigste darin, sagt er, sind seine Bücher und die Bilder seines Großvaters Claus Bremer, der in den 70er Jahren auch durch seine konkrete Poesie bekannt wurde.

Nächste Woche zieht der Theatermacher um - in das Haus 0 auf dem Gaswerk-Areal in Augsburg in unmittelbarer Nähe zur Brechtbühne. Das kleine, rote Haus wurde in den Werkstätten der Schreinerei des Staatstheaters Augsburg gefertigt, verfügt gerade mal über 7 Quadratmeter, ist 3,20 Meter hoch und möbliert mit Bett, Regal, Tisch und zwei Sitzplätzen. Es gibt keinen Strom, keine Heizung und kein fließend Wasser. Drei Tage will Nicola Bremer darin wohnen - und die nächste Folge seiner Theaterserie "W - Eine Stadt sucht ihre Wohnung" schreiben, die er derzeit für das Staatstheater Augsburg entwickelt. Über die Spielzeit verteilt sollen fünf Folgen entstehen und der Entwicklungsprozess in Echtzeit in die Welt gesendet werden.

 

In der Serie geht es um die Architektin Laura, die engagiert wird, um in der (fiktiven) Stadt Adelma ein denkmalgeschütztes Viertel in Wohnhäuser umzubauen. Doch in ihrer Naivität gerät sie mitten hinein in Machtspiele zwischen Politikern, Immobilienspekulanten und der Aktivistenszene. Und dann wird dieses Denkmalviertel abgerissen. "Der Plot ist ein bisschen wie eine Netflix-Serie geschrieben", sagt Nicola Bremer, der das Stück derzeit mit Schauspielern des Augsburger Theaters als neues Live-Digital-Projekt auf Twitch inszeniert. "Aber es dreht sich auch um die Frage: Haben wir ein Recht auf Wohnen? "

Wenn Nicola Bremer am 1. Dezember das Haus 0 drei Tage bezieht, dann vermischen sich damit zwei künstlerische Projekte. Denn eigentlich ist das Haus 0 eine Art Forschungsstation im Rahmen von "Obdach", ein Kunstprojekt an der Schnittstelle zum sozial-gesellschaftlichen Engagement. Das Staatstheater Augsburg beleuchtet in dieser Spielzeit unter dem Motto "EigenSein" auch das Thema Wohnen: Wie leben wir heute und wie prägen unsere Wohn- bzw. Lebensumstände unser Bewusstsein? Konkret geht es um die Situation von Menschen, die über keinen festen Wohnsitz verfügen. In Haus 0 kann jeder für einen bestimmten Zeitraum wohnen und sich Gedanken machen über Behaustheit, Geborgenheit, Obdachlosigkeit und darüber, wie eine soziale Utopie des Wohnens für alle aussehen könnte, erklärt Projektleiterin Maria Trump. Gemeinsam mit Utopia Toolbox, einem internationalen Kunstprojekt von Menschen verschiedenster Berufsfelder, die interdisziplinär zusammenarbeiten, haben die Theatermacher das Haus 0 konzipiert. Bis Juli 2021 soll es auf dem Gaswerk-Areal bleiben. Danach wird das Haus 0 an Sozialverbände übergeben und zusammen mit weiteren Häusern dieser Bauart im Rahmen eines einjährigen Pilotprojekts an zentralen Orten in Augsburg aufgestellt - damit Obdachlose ein sicheres Dach über dem Kopf haben, statt unter freiem Himmel übernachten zu müssen.

 

Nicola Bremer verspricht sich von der Zeit in Haus 0 "Inspiration" für seine Serie: "Das ist ein komplett neuer und künstlicher Ort, ich glaube schon, dass ich mich dort wohlfühlen werde. " Mitnehmen wird er neben Notizbuch und Kugelschreibern natürlich seinen Laptop und ein Buch, das ihn zu seiner Serie inspiriert hat: Italo Calvinos Roman "Die unsichtbaren Städte". Täglich wird er auf Instagram oder Twitch mit dem Publikum interagieren, nämlich am 1. und 2. Dezember jeweils von 18 bis 19 Uhr auf dem Instagram-Live-Kanal @staatstheater_augsburg und am 3. Dezember von 16 bis 20 Uhr auf www. twitch. tv/ staatstheateraugsburg.

Wer selbst einmal das Wohnen in Haus 0 ausprobieren will (maximal eine Woche lang) kann sich mit der Projektleiterin (maria. trump@staatstheater-augsburg. de) in Verbindung setzen. Bewohner dürfen die sanitären Einrichtungen im Portalgebäude auf dem Gaswerk-Areal mit benutzen. Der Supermarkt um die Ecke garantiert Selbstversorgung. Einzige Auflage ist, den Aufenthalt im Haus 0 auf irgendeine Weise zu dokumentieren. Am Ende steht eine Ausstellung des Staatstheaters, in der das Projekt umfassend präsentiert werden soll.

DK

 

Anja Witzke

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