Thema Nachhaltigkeit

"Nicht zu viel auf einmal vornehmen"

Professorin Anja Achtziger über den Weg zu nachhaltigem Leben, den Drei-Tages-Trick und Gruppennormen

18.12.2020 | Stand 27.12.2020, 3:33 Uhr
Wer häufiger mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs ist, kann einiges für die Umwelt und sich selbst machen. −Foto: Scholz, dpa

 

Frau Achtziger, eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ist bereit, ihr Einkaufsverhalten zugunsten von Umwelt und Klima zu reduzieren und Verhaltensweisen zu ändern. Das zumindest ergeben regelmäßige Umfragen zum Thema. Die Praxis allerdings sieht häufig anders aus. Warum tun sich die Bürger, wenn es um nachhaltigen Konsum geht, so schwer, die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu schließen?

Anja Achtziger: Das ist nicht überraschend: Denn dieses Phänomen betrifft nicht nur das Thema Nachhaltigkeit, sondern es betrifft unser ganzes Verhalten, wenn es um Dinge geht, die uns schwerfallen, die nicht so einfach umzusetzen sind oder wo man merkt, dass es bei der Umsetzung unangenehm wird. Der Forschungsbereich "Intention-Behaviour-Gap" beschreibt genau dieses: Wir haben gute Absichten, möchten Dinge ändern, aber wenn es darum geht, die Vorstellungen tatsächlich in den Alltag und das direkte Verhalten zu übertragen, dann merkt man, das das nicht unbedingt angenehm ist, dass es vielleicht teuer ist oder mehr Zeit kostet. Und dann schreckt man davor zurück.

Haben Sie ein Beispiel?

Achtziger: Ein gutes Beispiel ist hier die E-Mobilität. Viele finden Elektrofahrzeuge zunächst toll, doch wenn man Hintergründe recherchiert, findet man kritischere Stimmen - etwa zur Erzeugung oder der Entsorgung der Batterien. Wenn jemand nicht richtig motiviert ist, versandet der Vorsatz dadurch häufig. Es wäre zum Beispiel auch interessant, bei "Fridays for Future"-Anhängern zu gucken, wie viele bei Fast-Fashion-Händler einkaufen. Beides - also die Einstellung wie die schicken Klamotten - gehören zur Jugendidentität. Und oftmals ist das Verhalten nicht völlig durchdacht und zum Teil spürt man plötzlich den Verzicht, den man nicht leisten möchten.

Wie kann man es schaffen, nachhaltiger zu leben?

Achtziger: Am einfachsten gelingt es wahrscheinlich, wenn man sich nicht zu viel auf einmal vornimmt, sondern sich einen bestimmten Bereich heraussucht. Das könnte zum Beispiel der Verkehr sein: Man geht dann häufiger zu Fuß, ist mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmittel unterwegs und lässt das Auto stehen. Es kann der Lebensmitteleinkauf sein, indem man darauf achtet, wie die Produkte angebaut oder hergestellt wurden und welche Transportwege zurückgelegt wurden. Oder es ist der Bereich Kleidung, indem man hinterfragt, was man wirklich braucht und wie nachhaltig das gewünschte Teil hergestellt ist.

Ich sehe einen neuen Pullover, der mir gefällt - dabei ist der Kleiderschrank gut gefüllt. Wie kann ich widerstehen?

Achtziger: Gerade was den Kauf von Kleidung betrifft, gibt es den bekannten Drei-Tages-Trick. Wenn einem spontan etwas gefällt, setzt man sich die Regel, bis zum möglichen Kauf drei Tage zu warten. Wenn man dann immer noch das Gefühl hat, es zu brauchen, kann man es sich holen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass diese Taktik den Kauf bei gut 60 bis 70 Prozent der Menschen erledigt. Das spart einen Haufen Geld und schont die Umwelt. Denn gerade bei Kleidung neigen wir sehr zu Spontankäufen.

 

Inwieweit wird das Verhalten des Einzelnen denn von der Gruppe beeinflusst?

Achtziger: Sehr stark. Zum einen durch die Medien und zum anderen noch viel stärker durch das, was wir als Peer-Group bezeichnen. Also von Leuten im gleich Alter, die einem vielleicht ähnlich sind, von der Nachbarschaft, dem Freundeskreis oder von Vereinen, mit denen man sich verbunden fühlt. Die Gruppennormen, die dort mitschwingen, stehen im Raum und werden bewertet. Und die Menschen gehen bei sozialen Normen mit - manchmal auch unbewusst. Macht einer vielleicht Bekleidungs-Detoxing - also den Verzicht auf neue Kleidung -, inspiriert das natürlich und regt zum Nachdenken an. Umgekehrt ist es allerdings genauso: Wenn man sich in einem Umfeld befindet, das zum Beispiel den Klimawandel leugnet, beeinflusst das in die andere Richtung. Es kommt also darauf an, wie die eigene Bezugsgruppe unterwegs ist.

Glauben Sie, dass die Menschen im Zuge von "Fridays for Future" mehr über klimafreundliches Reisen nachdenken, bevor sie eine Entscheidung treffen, oder schiebt man den Gedanken an den Klimawandel doch weg?

Achtziger: Ich glaube schon, dass es einen gewissen Einfluss hat. Es verändert die Einstellung und man betrachtet das Thema bewusster. Aber viele Menschen ändern ihr Verhalten dann doch nicht. Wir können den möglichen Einfluss in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie natürlich nur schwer messen. Doch wir wissen in der Psychologie, dass es hilft, wenn sich die Einstellung von großen Gruppen zum Positiven ändert. Allerdings hat man nie sofort den großen Umbruch, sondern es dauert eine gewisse Zeit. Wir stehen unter Zeitdruck, sind mit mehreren Sachen gleichzeitig beschäftigt. Da fallen viele Aspekte hinten runter.

Durch das Coronavirus sind die Probleme infolge des Klimawandels aus der Wahrnehmung der Menschen verschwunden. Können wir uns nur auf ein großes Thema konzentrieren?

Achtziger: Es ist im Moment extrem schwierig, weil das Corona-Thema alles überlagert, sodass andere Themen in den Hintergrund geraten. Man muss die Priorisierung verstehen. Es ist aber wichtig, dass man schnell wieder durchstartet, wenn die Corona-Krise vorbei ist. Denn das Problem Klimawandel existiert ja immer noch, auch wenn es im Moment schwierig ist, dafür Gehör zu finden.

Ist Nachhaltigkeit eigentlich ein zu abstrakter Begriff?

Achtziger: Das Problem ist, dass jeder ein bisschen was anderes darunter versteht. Ich sitze in einigen politischen Gremien, da merkt man das immer wieder. Und wenn sich Menschen schon mit der Bedeutung des Begriffes schwertun, brauchen wir nicht die großen Verhaltensänderungen erwarten. Vielleicht müssten Experten den Begriff klar definieren und für den Alltag griffige Beispiele liefern, an denen sich jeder orientieren kann. Ich würde sagen, dass es bedeutet, Produkte möglichst klimaneutral zu schaffen. Nachhaltigkeit bedeutet, die Umwelt nicht weiter zu beeinträchtigen und sie somit zu erhalten. Das System muss in Balance bleiben und wenn man etwas entnimmt, muss man wieder etwas zurückgeben, dass es nicht in Schieflage gerät.

DKDie Fragen stellteSandra Mönius.

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