Fachkunde mit Idealismus

06.04.2021 | Stand 10.06.2021, 3:34 Uhr

Zum Artikel "Drei Fachleute, zwei Ansichten" (WZ vom 8. März) und zum Leserbrief "Fachkunde statt Idealismus" von Alan Whittaker (PK vom 16. März):Danke für die Aufbereitung meines Leserbriefes in der gegenüberstellenden Form, so kann sich jeder eine Meinung bilden.

 

In seinem Totholz-Plädoyer gebe ich Herrn Fehringer recht, der seine Baumkontrollprüfung ein halbes Jahr vor mir absolvierte. Doch warne ich vor Beschönigungen wie "der Ahorn bekommt eine neue Aufgabe", "erhält sein Gnadenbrot", sogar "ein neues Leben" (Karin Trouboukis). Und eine optische Erhaltung des Ahorns in Form des Totholzstücks oder dass dieses mehr Nutzen hätte als der lebende Baum (Fehringer sinngemäß) sollten wohl ebenfalls mehr trösten als wahrheitsgemäß informieren.

Frau Geyer erinnert an gesetzliche Grenzen für Bauämter. Wer kennt einen Fall, wo ein deutsches Bauamt wegen des Eingriffs in die Natur belangt wurde?

Mein Eindruck: Solange es Sachzwänge gibt, ist der Weg zur Fällung frei. Wurde ein Alternativplan für den Wolnzacher Kreisel gezeichnet? Oder ließ man sich bereits im Vorfeld von "Zwangspunkten" (Geyer) abschrecken? Nach einer Rodung läuft es immer auf das Trostpflaster der Ersatzpflanzung hinaus, die "mittel- bis langfristig die verlorenen Funktionen für Naturhaushalt und Klima" (Geyer) übernähme. Mittelfristig, in bis zu fünf Jahren, wird von den Krönchen der 16 Minibäume leider nichts Nennenswertes übernommen. Langfristig sind Jahrzehnte - aber wer will das schon offen zugeben?

Der Forst wird die für den Klimawandel dringend benötigten großen Laubwaldkronen nicht liefern: Ziel eines Wirtschaftswaldes sind astfreie Stämme mit kleinen Kronen. Außerdem hat Bayern gemäß Bundeswaldinventur 75 Prozent Nadelwald - der bringt fürs Klima wenig. Fazit: Bestehende, großkronige Stadtbäume wiegen schwer.

Warum gelingt ihr Erhalt so selten? Weil keine der 19 Kommunen in unserem Landkreis eine Baumschutzverordnung hat, anders als München, Augsburg, Gröbenzell.

Fehlt diese Grundlage, sind die Ämter auf die freiwillige Meldung von Fällungsabsichten oder Mitsprache bei Bebauungsplänen angewiesen. Und wenn doch mal Anzahl, Art oder Standort der Bäume eine fachliche Einschätzung nahelegen, wählt nach unserem Rechtssystem der Bau- beziehungsweise Fällungswillige den Gutachter und bezahlt ihn auch. Wie wird wohl ein Großteil dieser Gutachten ausfallen? Deswegen hilft es dem Baumschutz, sich auch mit Systemen und ihren Fehlern zu befassen. Für manche Systemelemente bin ich Bedrohung, für andere willkommener Impuls.

17 "krankgeschriebene" Bäume motivierten mich 2018, nach Jahren des Privatinteresses selber eine baumkundliche Ausbildung zu durchlaufen. Mein erstes berufliches Standbein gibt mir wirtschaftliche Unabhängigkeit und mehr Hintergrund als nur das Baumwissen allein. Ich werbe für den hohen Wert der Bäume, fungiere als Naturschutz-Außendienst und stelle kritische Fragen. Dabei stehe ich mit Namen persönlich für etwas ein und erwarte meinerseits Aufrichtigkeit: Anonymen Hinweisen gehe ich nicht nach.

Ich kann verkehrssichere Bäume von kranken unterscheiden und bin für alle da, die sich für grüne Riesen einsetzen - Ämter, Baumbesitzende, BürgerInnen und Kommunen.

Fortschritt bedeutet für mich, Baum und Bau kreativ unter einen Hut zu bringen: Fachkunde mit Idealismus.
Annette Hartmann

Geisenfeld

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