Kaktus glasiert

Im Münchner Gärtnerplatztheater feiert "Der Barbier von Sevilla" eine überdrehte Premiere

09.07.2021 | Stand 19.07.2021, 3:33 Uhr
Verwirrung und Verkleidung, Tür auf - Tür zu: Im Gärtnerplatztheater lassen die Solisten des Abends (von links: Anna Agathonos, Gyula Rab, Jennifer O'Loughlin, Timos Sirlantzis, Matija Mei und Levente Páll) es krachen. −Foto: Zach

München - Manchmal küssen sich Theater und Leben - so nach diesem Premierenabend.

Hatte es eben auf der Bühne noch geregnet und gestürmt, bevor sich Verwirrung und Täuschung in ein Happy End auflösen durften, blitzt und donnert es jetzt vor der Tür schon wieder. Nur macht dieser Regen wirklich nass, und die eilig nach Hause strebenden Premierengäste werfen mitleidige Blicke auf die armen Menschen, die in den Nischen des Platzes ihre Nachtlager aufgeschlagen haben.

Staatsintendant Josef Köpplinger hat es als Regisseur des Abends gewaltig krachen lassen, und wer seinen Stil kennt und einen Blick auf die Besetzung und das Team geworfen hat, hätte das auch so erwartet: Tür auf - Tür zu, perfekt organisiertes Durcheinander, bonbonbunt, handwerklich auf dem Punkt inszeniert.

Gioachino Rossini berichtete, seine Oper in nur zwölf oder dreizehn Tagen geschrieben zu haben und die Eile des damals noch jugendlichen Komponisten, der von Stadt zu Stadt, von Erfolg zu Erfolg eilte, scheint noch immer in dem Werk zu stecken und raus zu wollen. Nicht etwa, dass diese flott zusammengezimmerte Opera buffa es etwa an Qualität fehlen lassen würde: Sie ist ein funkelnder Diamant, reiht Hit an Hit, birst vor Melodik und Wendungen. Aber sie treibt eben auch die Sänger zu immer noch schnellerem Sprechen, noch exaltierteren Koloraturen, sie stimuliert die Regie zum wilden Aktionismus und verführt das Ausstattungsteam zum ungehemmten Wühlen in den Wunderkisten.

Auf der zuckerbunten Bühne (Johannes Leiacker), welche die als Kaktus verkleidete Drehbühne dominiert, zeigen in München Statistengrüppchen parallel zur Handlung des Librettos pointierte Nebenhandlungen und demontieren dabei lustvoll die Selbstdarstellungs-Fassaden der Hauptrollen: Hier posieren ein paar Prostituierte, dort dehnen Handwerker trainierte Brustkörbe, eine ledige Mutter rennt dem Tenor wegen der Alimente nach und all das dreht sich. Dabei wird ausnehmend fein gesungen, angefangen vom titelgebenden Barbier Figaro (Matija Mei), der das volle Volumen, aber auch die notwendige Agilität für diese Partie mitbringt, über den diabolisch augenrollenden Basilio (Timos Sirlantzis), den stimmlich etwas matteren, aber enorm spiel- und verwandlungsfreudigen Almaviva (Gyula Rab) bis hin zu den beiden souveränen Stars des Premierenabends: Jennifer O'Loughlin als selbstbewusste und in allen Lagen unfehlbare Rosina und dem stupend wandlungsfähigen Bass Levente Páll als Bartolo, der sich auch für keinen Stunt zu schade ist. Die Dramaturgie gibt mit flotten Übertiteln dem Affen noch ein bisschen Zucker. Außer bei der Ouvertüre, die oft schon mitinszeniert wird, hier aber bei geschlossenem Vorhang spielt, ist man an diesem Abend nie wieder allein mit der Musik. Immer plärrt und winkt das Bühnengeschehen dazwischen. So ist es schwer, sich die Leistung von Dirigent Michael Brandstätter und den Staatsorchester nach diesem Abend in Erinnerung zu rufen - war da was? Es ging ja alles so schnell.

DK


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