"Ich habe mich nie als Oberguru empfunden"

Judo-Olympiasieger Udo Quellmalz über seinen Empfang in Ingolstadt vor exakt 25 Jahren, die Tokio-Spiele und seinen Ex-Schüler Sebastian Seidl

05.08.2021 | Stand 14.08.2021, 3:33 Uhr
1996 mit Goldmedaille und 2021 als Schiedsrichter-Supervisor: Udo Quellmalz bei Olympia. −Foto: Imago Images/dpa

Ingolstadt - An diesem Freitag vor 25 Jahren haben die Ingolstädter ihren bislang einzigen Olympiasieger hochleben lassen: Mehrere hundert Menschen bereiteten MTV-Judoka Udo Quellmalz, der bei den Spielen in Atlanta 1996 die Goldmedaille in der Halbleichtgewichtsklasse errungen hatte, auf dem Rathausplatz einen großen Empfang.

In Tokio war der mittlerweile 54-Jährige als Supervisor der Schiedsrichter im Einsatz und bekam die drei deutschen Judo-Medaillen hautnah mit.

Herr Quellmalz, wie haben Sie die Wettkämpfe im legendären Nippon Budokan erlebt? Wer oder was hat Sie besonders begeistert?
Udo Quellmalz: Der Nippon Budokan ist eine ganz besondere Halle. Dort habe ich 1987 selber zum ersten Mal gekämpft. Die Wettkampffläche ist einen Meter erhöht, dort liegen die Tatami-Matten. Besonders begeistert hat mich das Teamevent, das zum ersten Mal olympisch war. Aus deutscher Sicht ist es mit der Bronzemedaille auch noch hervorragend gelaufen. Man muss sogar sagen, dass im Viertelfinale gegen Japan noch mehr drin gewesen wäre. Nach den ersten beiden Kämpfen stand es 2:0 für Deutschland, und das gegen zwei amtierende Olympiasieger. Ganz besonders freut mich dieser Erfolg für Sebastian Seidl, den ich als jungen Burschen damals an der Realschule in Abensberg unterrichtet habe. Es ist toll, dass sich so der Kreis schließt. Für den gesamten Deutschen Judo-Bund waren es sehr erfolgreiche Spiele. Ich bin auch mit den deutschen Judoka zurückgeflogen.

Eine Party über den Wolken?
Quellmalz: (lacht) Eher ein Schlafen über den Wolken. Man darf nicht vergessen, dass die Wettbewerbe sehr viel Kraft gekostet haben. Theresa Stoll zum Beispiel hat im Teamwettbewerb vier Kämpfe an einem Tag bestritten. Außerdem fällt die ganze Anspannung ab, und dann schlägt die Erschöpfung durch. Die Party fand wohl schon vorher im Olympischen Dorf statt.

Vor exakt 25 Jahren standen Sie selbst ganz oben: In Atlanta bezwangen Sie nach fünf fast perfekten Kämpfen den Japaner Yukimasa Nakamura und gewannen Gold. Was war damals anders im Vergleich zu heute?
Quellmalz: Sportlich hat sich nicht so viel verändert. Ein Olympiasieg ist das Größte für einen Sportler, damals wie heute. Die Qualifikation ist allerdings sehr viel schwieriger geworden, zumal die letzten Spiele in Rio schon fünf Jahre her sind. In Atlanta war das Drumherum anders. Ich bin nach meinem Wettkampf noch eine Woche Olympia-Tourist gewesen, habe mir Ringen, Gewichtheben und andere Disziplinen angeschaut, für die wir Sportler ein Ticketkontingent bekommen haben. Diesmal mussten die Athleten ja nach ihren Wettkämpfen innerhalb von 48 Stunden abreisen.

2016 waren die einzigen Spiele seit 1988, bei denen Sie nicht als Sportler, Trainer oder Funktionär dabei waren. Waren die Tokio-Spiele die atmosphärisch kältesten, weil coronabedingt keine Zuschauer dabei waren?
Quellmalz: Kälteste Spiele weiß ich nicht. In Japan war die Ablehnung der Spiele groß, bis zu 70 Prozent der Menschen haben sich vor dem Beginn für eine Absage ausgesprochen. Von daher hätte es durchaus sein können, dass das Ganze noch kurzfristig gecancelt wird. Doch die Japaner sind extreme Perfektionisten, alles war toll organisiert. Sicher ist es schade, dass im Mekka des Judosports keine Zuschauer erlaubt waren. Wenn der Nippon Budokan voll gewesen wäre, hätte dort eine fantastische Stimmung geherrscht. Aber die Athletinnen und Athleten sind froh, dass die Spiele überhaupt stattgefunden haben. Und die Emotionalität der Spiele ist ungebrochen. Ich bin ein kleines "Cry Baby", wenn es um die Medaillenvergabe geht. Da muss ich zugeben, dass ich die eine oder andere Träne verdrückt habe.

Ihr Empfang auf dem Rathausplatz wurde erst 2014 von den Eishockey-Meistern des ERC Ingolstadt und 2015 von den Fußball-Aufsteigern des FC Ingolstadt getoppt. Wie haben Sie Ihre Feier in Erinnerung?
Quellmalz: Mit diesem Empfang hatte ich überhaupt nicht gerechnet, der hat mich megamäßig umgeworfen. Das ging ja schon am Flughafen München los, wo ich von einigen MTV-Judoka empfangen wurde. Dann ging es mit einem Audi-Cabrio nach Ingolstadt. Sogar mein allererster Trainer war da, dazu viele Schüler der Wirtschaftsschule, an der ich damals unterrichtet habe. Das hat mich riesig gefreut, das war sehr emotional.

Der damalige Ingolstädter Oberbürgermeister Peter Schnell bezeichnete Sie als "Kaiser des Judosports", eine Nachrichtenagentur schrieb vom "Boris Becker des Judosports". Welche Bezeichnung gefällt Ihnen besser?
Quellmalz: Das sind natürlich große Fußstapfen. Ganz nett, aber so sehe ich mich nicht. Ich bin immer eher bescheiden geblieben. Mit meiner aktiven Karriere bin ich sehr zufrieden. Ich habe es nach einem Erfolg aber immer so gehalten: Genießen, aber dann auch abhaken und neu anfangen. Damit bin ich gut gefahren. Ich habe mich nie als Oberguru empfunden.

In den 90er-Jahren starteten Sie für den MTV Ingolstadt in der Bundesliga. Haben Sie noch Kontakt zu den alten Kollegen?
Quellmalz: Nachdem ich längere Zeit im Ausland war, ist der Kontakt nur noch sporadisch. Vor allem mit Eduard Grams und Alexander Hamm, den beiden Ingolstädtern, telefoniere ich ab und zu noch. Auch mit dem damaligen Abteilungsleiter Armin Ruda und Sepp Merkl besteht hin und wieder noch Kontakt.

Nach Stationen in der ganzen Judo-Welt sind Sie nun als Trainer zurück in Ihrer Heimat Leipzig. Wie steht es um den Judo-Nachwuchs?
Quellmalz: Es gibt einige Talente, die zu Hoffnungen berechtigen. Vielleicht motivieren ja auch die olympischen Erfolge der Deutschen den einen oder anderen. Wobei man mit Prognosen vorsichtig sein muss. Nur die wenigsten werden Judo auch als Leistungssport betreiben, schließlich muss man dafür viel opfern. Aber wenn sie dem Judo als Breitensportler erhalten bleiben, ist das ja auch viel wert.

Die Spiele 1996 in der Coca-Cola-Stadt Atlanta markierten für viele den Beginn der völligen Kommerzialisierung im Sport. Das geht so weit, dass Olympische Spiele in Deutschland momentan schwer vorstellbar scheinen, weil große Bevölkerungsgruppen die enormen Kosten und das Diktat des IOC sowie der Sponsoren ablehnen. Bedroht das die Zukunft kleinerer Sportarten in Deutschland, weil denen die ganz große Bühne fehlt?
Quellmalz: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Ohne Sponsoren ist Olympia nicht mehr denkbar, die braucht man einfach. Und ums Judo ist mir nicht bange. Unser Sport hat es geschafft, zu den sieben traditionellen Gewichtsklassen bei Männern und Frauen mit dem Teamevent einen neuen Wettbewerb ins olympische Programm zu bringen. Judo wird weiter eine gute Rolle spielen.

DK


Das Gespräch führte
Alexander Petri.


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