Swimrun-WM

"Finishen war das Motto"

Drei Athleten des MTV Pfaffenhofen starten in Schweden bei der Swimrun-Weltmeisterschaft

21.09.2021 | Stand 23.09.2023, 20:54 Uhr
Erhard Wallenäffer
Glücklich, trotz der enormen Strapazen: (von links) der Hofer Dennis Jährlich sowie die Pfaffenhofener Kerstin Wagner, Sabine und Norbert Höschel. −Foto: privat

Stockholm - Alle bis Ütö! Da denkt man vielleicht an ein Regal aus dem Sortiment eines schwedischen Einrichtungskonzerns, jedoch ist das eine kleine Insel vor Stockholm. Bei der Ötillö-Swimrun-Weltmeisterschaft, einem der härtesten Eintages-Wettbewerbe der Welt, war hier der Zielbogen aufgebaut. Mit dabei waren erstmals Kerstin Wagner sowie Sabine und Norbert Höschel, vom MTV Pfaffenhofen. Vor der Ankunft auf Ütö mussten sie 75 Kilometer zurücklegen, über 24 Inseln laufen und zwischen Trailrunning und Freiwasserschwimmen hin und her wechseln. Ein unvergesslicher Tag.

S300 / R19700 / 18:00 / S1030 / R6500 - diese Kürzel hat sich Sabine Höschel auf eines ihrer Schwimmpaddels geschrieben. Was sich wie eine rätselhafte Geheimschrift liest, war für die MTV-Athletin kürzlich sehr bedeutsam: Spätestens um 18 Uhr mussten sie und Kerstin Wagner an der letzten Verpflegungsstation erscheinen. Das Ende eines aufreibenden Tages rückte schon näher, und die Stärkung war herbeigesehnt. Gerade nämlich wurde eine fast 20 Kilometer lange Laufstrecke bewältigt, nachdem zuvor Schwimmen angesagt war - zum 22. Mal an diesem Montag. Zwischen zwei Inseln waren es diesmal "nur" 300 Meter und auch nach dem letzten Energie-Nachschub sollte es noch einmal ungemütlich werden: Einen Kilometer Abendschwimmen im 15 Grad kalten Wasser der Ostsee gefällig?

Es waren die letzten Kennzahlen, die auf dem Stück Kunststoff zwischen Sabine Höschels Fingern notiert waren, wobei die Damen vom MTV gar keine Wahl hatten: Sie mussten sich durchkämpfen, die Strapazen ertragen, denn bei einer Aufgabe hätte man sie so schnell nicht abholen können. Geschafft haben Höschel/Wagner es dann tatsächlich, als einziges deutsches Damen-Duo finishten sie bei der Swimrun-WM vor Stockholm. Mit Platz 23 zwar nicht auf den vorderen Plätzen aber: "Durchkommen war hier alles", stellt Sabine Höschels Ehemann Norbert klar und ergänzt: "Finishen war das Motto."

Norbert Höschel kann sich so äußern, weil er mit seinem Partner Dennis Jährlich (Hof) selbst im wilden Schärengarten am Start war. Wie seine Frau Sabine musste er sich erst für das WM-Rennen qualifizieren, wohingegen die erfreuliche E-Mail mit der Starterlaubnis mehr oder weniger in letzter Minute über das Display des eigenen Notebooks flimmerte. "Sabine und Kerstin waren schon lange qualifiziert, aber Dennis und ich hatten dieses Rennen überhaupt nicht auf der Uhr", sagt der 55-Jährige.

Die nötigen Punkte mussten bei Wettkämpfen der Ötillö-Rennserie gesammelt werden, und als die gute Nachricht ankam, war die Teilnahme keine Frage mehr, wie Norbert Höschel betont: "Mehr als WM geht nicht." Wenn er dann über seine knapp zwölf Stunden Rennzeit (Platz 117) nachdenkt, so fällt schnell diese Floskel: "Kontrollierte Panik." In der Tat könnten die Höschels ein Buch schreiben, so viel haben sie auf den 65 Kilometern zu Lande und den zehn Kilometern zu Wasser erlebt. So habe die Fortbewegung auf den Inseln selten etwas mit "normalem Laufen zu tun gehabt", berichtet Sabine Höschel: "Das war dann oft kraxeln, krabbeln, hüpfen und rutschen."

Besonders problematisch: die Einstiege ins Wasser und die Ausstiege. "Du schwimmst an die Insel heran, und dann ist da ein nasser Fels, der mit Algen belegt ist", erklärt Norbert Höschel. Seine Frau Sabine berichtet gar von Fehlversuchen, wenn es darum ging, das Ufer hinter sich zu lassen: "Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als auf allen Vieren hochzukraxeln. Dann rutscht man ab, und schon ist man wieder im Wasser." Für die Rückkehr ins Meer hatten die Pfaffenhofener Damen aber irgendwann die Lösung gefunden: "Wir haben uns auf den Hosenboden gesetzt und - husch - sind wir ins Wasser gerutscht", erzählt Sabine Höschel lachend.

Oft gelangen derartige Aktionen nur mit gegenseitiger Unterstützung, wobei sich auch teamübergreifend geholfen wurde, wie Norbert Höschel unbedingt herausstellen will: "Wir haben einmal zwei Jungs aus Frankreich eingeholt, die beide vor Schmerzen kaum noch auftreten konnten. Die wären ohne unsere Hilfe gar nicht mehr ins Wasser gekommen, wir haben sie praktisch ins Meer gehoben, und später haben auch sie gefinisht." Es sind genau diese Momente, von denen die Höschels so gerne erzählen. Die Eheleute sind sich einig, dass es selbstverständlich war, anderen zu helfen - und nicht nur auf die eigene Zeit zu schauen.

"Mit ständiger Verbissenheit kommt man nicht durch diese extrem lange Renndistanz", sagt Norbert Höschel. Auch den einen oder anderen Witz hätten sich er und sein Partner Dennis zwischendurch erzählt, um sich die nötige Lockerheit zu bewahren. Von den Streckenposten habe er auch immer mal wieder ein Bier verlangt, aber bekommen hätte er nie eines. Freilich spielte der rechtzeitige und ausreichende Nachschub an Kalorien eine entscheidende Rolle, wie Norbert Höschel erklärt: "Bei so einem Wettkampf verbraucht der Körper an die 6000 Kalorien, das entspricht zwölf Tafeln Schokolade. Da denkt so mancher: Wie geil! Aber ein Dutzend Tafeln Schokolade bekommst du nie und nimmer in deinen Magen." Viele Beutel mit konsumfertigen Gels hätten sie sich daher unter die Neopren-Haut geschoben, wie Sabine Höschel anfügt.

Die optimale Energiezufuhr während einer derart langen Belastung will trainiert sein, denn: "Wenn dir irgendwann schlecht wird und du deshalb nichts mehr zu dir nimmst, dann ist nach spätestens einer Stunde der Ofen aus", versichert Norbert Höschel. Seine Frau Sabine und deren Partnerin Kerstin Wagner hatten gegen Wettkampfende andere Probleme: "Unsere Finger waren wegen der Kälte richtig geschwollen. Wir kamen an die Energie-Gels gar nicht mehr ran, weil wir die Reißverschlüsse unserer Anzüge nicht mehr packen konnten." Schafe am Wegesrand brachten die Krankenschwester dann auf eine Idee: "Jetzt die Hände in der flauschigen Wolle versenken - das würde helfen, sagte ich zu Kerstin." Sabine Höschel lacht, als sie von dieser Szene berichtet. Da war es nicht mehr weit bis zum Ziel: Um 19.52 Uhr blieb auch für die Pfaffenhofener Damen die Wettkampf-Zeit stehen, noch unter 14 Stunden. Hinter der Zeitnahme bekam Norbert Höschel dann auch sein so sehnlich erwartetes Bier: "Man wollte mir wieder ein Zuckergetränk reichen, das habe ich abgelehnt und gesagt: Nix da - jetzt will ich was Gescheites trinken!"

PK

Erhard Wallenäffer

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