Abo-Konzert#09

Charismatische Klangfarben

Talia Or und das Georgische Kammerorchester

27.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:21 Uhr
Roland Dippel

Sopranistin Talia Or gestaltete zusammen mit dem GKO einen gelungenen Konzertabend. Am Pult: Ariel Zuckermann. Foto: Schaffer

Am gleichen Abend wie das Abo #09 war die Präsentation der kommenden Konzert-Spielzeit 2023/24 des Georgischen Kammerorchesters. Ob man will oder nicht: Ein solcher Termin bedeutet immer Rück- und Ausblick, künstlerische Inventur und aufgefrischte Zielvereinbarungen. Das alles boten die vier Werke und auch deren Besetzung im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt.

Zusammenfanden der relativ frische Chefdirigent Ariel Zuckermann und die dem Ensemble musikalisch schon lange verbundene Sopranistin Talia Or. Diesmal gab es kein Werk aus der langen Romantik, stattdessen programmatische Zeichen und mit Olivier Truans „A bout de souffle“ eine rasante Zugabe. Auch in Zukunft steht in fast jedem Konzert mindestens ein Stück aus dem 20. oder 21. Jahrhundert auf dem Programm. Zudem macht Zuckermann damit Ernst, das Georgische Kammerorchester Richtung Fachkompetenz und historisch informierte Aufführungspraxis zu noch besserer internationaler Konkurrenzfähigkeit aufzupolieren.

„CPE“ steht etwas salopp im Programmflyer für die Vornamen des zweiten Sohnes von Thomaskantor Johann Sebastian Bach und die beiden Rahmenstücke. Was das Ensemble aus Carl Philipp Emanuels Sinfonien G-Dur 183/4 und D-Dur 183/1 herausholt, klingt überhaupt nicht nonchalant und sogar ziemlich abgründig. In der Mitte des 18. Jahrhunderts war die Sinfonie mit noch eher kurzen Zeit- und Formstrecken keineswegs eine etablierte Gattung. Hier besann sich das Georgische Kammerorchester auf seine frühere, typisch abgedunkelte Klanggrundierung. Aber nur, um diese energisch aufzureißen. Da ergeben sich zwischen den Stimmen weiße Löcher, nur weniges wirkt lieblich. Hörbar wird dadurch, wie die Aufklärung um 1750 Geist, Sinne und Gefühle erhitzte.

Man versteht dank Zuckermanns bewegtem Drängen auch, warum kurze Sinfonien für den kompositorischen Anspruch nach 1770 nicht mehr genügen konnten und dass CPE Bachs Kreativexplosionen den Durchbruch ausgedehnterer Formen von Gluck, Mozart und Haydn vorwegnahmen. Analog zur „schwarzen Romantik“ lässt sich bei einer derart geschärften Lesart ohne weiteres vom „schwarzen Rokoko“ sprechen.

Bei beiden Mittelstücken ging es – heute nicht mehr ganz nachvollziehbar – um das betörende und trügerische Potenzial hoher Stimme. Zuckermann greift für Wolfgang Amadeus Mozarts Flötenkonzert G-Dur KV 313 als Solist zu dem Instrument, das er in München vor dem Dirigieren studierte. Dieses Opus ist durch seine höchstwahrscheinliche Entstehung im Umfeld der Mannheimer Hofkapelle für das Orchester tückisch und für Solisten kompliziert. Zuckermann versenkt die Flötenstimme an passenden Stellen gerne im Gesamtklang, was dem Werk mehr überraschende Wendungen gibt. Wenn Zuckermann sich zum Publikum wendet und das Georgische Kammerorchester deshalb nicht im Blick hat, offenbart sich die einzige Nachlässigkeit, die diesem zum perfekten und historisch versierten Ensemble noch fehlt. Ohne dirigentische Direktive sinkt die Spannung minimal. Das individuell mitdenkende Einzelgängertum mit gleichzeitiger Gruppendynamik ist das einzige, was dem Ensemble in Hinblick auf Alte-Musik-Spitzenniveau noch nicht immer gelingt.

Dafür sitzen die Klangfarben des von Benjamin Britten 1939 in die Vereinigten Staaten mitgenommenen Zyklus „Les Illuminations“ op. 18 für hohe Stimme und kleines Orchester besonders charismatisch. Talia Or schwelgt in der Gebrochenheit von Arthur Rimbauds Versen und allen Wirkungspotenzialen des Stimmenverstehers Britten: Koloraturen, hauchfeine Glissandi und betörende Melodien über einem filigranen, kristallinen, schwebend virtuosen Orchesterspiel. Trotz schwerer Zeit schien Britten, der in seinen Opern ein realistisches Orts- und Zeit-Kolorit meistens vermied, sich hier an die Belle Époque und deren musikalische Intimitäten zu erinnern. In deren Idealen igelte Britten sich hier mit ganz hoher Kennerschaft ein. Es lag am überaus lebhaft gestaltenden Zuckermann und der warmen Helligkeit Talia Ors, dass aus der Preziosität kein Kunstgewerbe wurde. So rundete sich ein schöner und mit feiner Programmfolge auf 2023/24 Lust machender Konzertabend.

Die Abo-Konzerte der Saison 2023/24

1. Abo-Konzert am 21. September 2023: Mats Larsson Gothe: Symphony No. 2, The Apotheosis of the Dance; Ludwig van Beethoven: 7. Sinfonie A-Dur op. 92; Sergei Rachmaninow: 3. Klavierkonzert op. 30 in d-Moll; Ariel Zuckermann, Leitung, Boris Giltburg, Klavier

2. Abo-Konzert am 19. Oktober 2023: Einojuhani Rautavaara: Ballade für Harfe und Streichorchester; Maurice Ravel: Introduction und Allegro; Nikoloz Rachveli: „The Rest is Silence” für Mezzosopran und Kammerorchester; Giya Kancheli: 7 Miniaturen für Klavier und Kammerorchester; mit Alexander Boldachev, Natalia Kutateladze und Nikoloz Rachveli, Leitung

3. Abo-Konzert am 5. November 2023: Georg Friedrich Händel „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ als Kooperation mit dem Stadttheater Ingolstadt, Großes Haus, Leitung: Ariel Zuckermann

4. Abo-Konzert am 7. Dezember 2023: Peteris Vasks: Cellokonzert Nr. 2 „Presence“;
Béla Bartók: Rumänische Volkstänze; Leoš Janáček: Suite für Streichorchester; mit Alexey Stadler, Violoncello, Leitung: Paweł Kapuła

5. Abo-Konzert am 18. Januar 2024: Bohuslav Martinů:
Double Concerto for two string orchestras, Piano and Timpani, Aaron Copland: Quiet City for English horn, trumpet and string, Charles Chaynes: Trompetenkonzert; Béla Bartók: Divertimento für Streichorchester; Killian Farrell, Leitung, Matilda Llloyd, Trompete

6. Abo-Konzert am 22. Februar 2024: Edward Elgar: Serenade e-Moll op. 20; Benjamin Britten: Serenade für Tenor, Horn und Streichorchester; Joseph Haydn: Sinfonie A-Dur Nr. 59 (Feuersinfonie); Leitung: Paul McCreesh, Robert Murray, Tenor

7. Abo-Konzert am 14. März 2024: Carl Philipp Emanuel Bach: Symphonie B-Dur; Georg Philipp Telemann: Konzert für Flöte, Viola da Gamba in a-Moll; Carl Philipp Emanuel Bach: Flötenkonzert G-Dur; Carl Philipp Emanuel Bach: Cellokonzert A-Dur; Johann Sebastian Bach: Brandenburgisches Konzert Nr. 5; Sergey Malov, Violine & Viola da Spalla, Ariel Zuckermann, Flöte und Leitung

8. Abo-Konzert am 18. April 2024: Béla Bartók: Music For Strings, Percussion & Celesta; Ludwig van Beethoven: Violinkonzert D-Dur op. 61; Ariel Zuckermann, Leitung, Stella Chen, Violine
9. Abo-Konzert am 16. Mai 2024: Joseph Haydn: Symphonie Nr. 44 „Trauer“; Wolfgang Amadeus Mozart: „Rondo Concertante“; Joseph Haydn: Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur; Benjamin Britten: Young Apollo; Wolfgang Amadeus Mozart: Symphonie Nr. 29 KV 201; mit Dejan Lazic, Klavier, Leitung: Ariel Zuckermann

10. Abo-Konzert am 13. Juni 2024: Antonio Vivaldi: Konzert für Flöte F-Dur „La Tempesta di mare“; Jean-Féry Rebel: Les Élémens; Michel Blavet: Flötenkonzert a-Moll; Jean-Philippe Rameau: Suite aus „Les Boréades“; Ariel Zuckermann, Flöte und Leitung

Infos zum Programm unter https://georgisches-kammer- orchester.de; Abonnentenservice im Kamerariat: Telefon (0841) 305 28 22. Vorverkauf über ticket-regional.de und an der Tourist-Info.

DK




URL: https://www.donaukurier.de/lokales/ingolstadt/charismatische-klangfarben-11275703
© 2024 Donaukurier.de