Konzertkritik

Liederabend von erschütternder Intensität: Andrè Schuen sang beim Konzertverein Ingolstadt

17.01.2023 | Stand 17.09.2023, 5:19 Uhr

Eine Jahrhundertbegabung: Andrè Schuen singt die „Dichterliebe“ und den „Liederkreis“ von Robert Schumann im Festsaal. Foto: Schaffer

Zögerlich, traumverloren mit unendlich schönem Anschlag tastet sich der Pianist Daniel Heide an die ersten Takte der „Dichterliebe“ heran. Töne, die merkwürdig zwischen Dur und Moll schillern: „Im wunderschönen Monat Mai“ – so der Titel des Liedes – entwickelt sich zwischen aufspringenden Knospen und singenden Vögeln eine verhängnisvolle Liebe.

Bei denen noch nicht entschieden ist, ob diese Geschichte fabelhaft oder furchtbar enden wird. Und auch Andrè Schuen singt dieses Lied nach einem Gedicht von Heinrich Heine, das den berühmten Liedzyklus von Robert Schumann eröffnet mit schier unbegreiflicher Schönheit, Ruhe, Weichheit. Wie ein harmloses Volkslied. Und doch, es zeichnet sich etwas ab. Die Klavierbegleitung hat etwas Manisches, Krankhaftes, die wenigen Klaviertöne fließen immer wieder zum Ausgangspunkt zurück und wiederholen sich wie eine irre Idee, wie ein unerträglicher Ohrwurm, von dem man nicht mehr loskommt. Wie diese haltlose Liebe, die hier geschildert wird und die am Ende den Helden der Geschichte in die Verzweiflung treibt, um den Schlaf bringt und fast um den Verstand. Bis er sie – die „alten bösen Lieder“ – pathetisch und symbolisch in einem großen Sarg im Meer versenkt.

Man muss ein großer Sänger sein, um die Zwischentöne, die Tragik und die Ironie, die alles bricht, die Leidenschaft bis zur Selbstaufgabe und die Distanz dazu mit Tönen schildern zu können. Aber Andrè Schuen ist ein großer Liedsänger, sicher einer der besten unserer Zeit. Denn ihm gelingt all dies. In den ersten Liedern beginnt er die innere Tragödie fast zu entspannt zu schildern. Wie eine Ruhe vor dem Sturm.

Aber Schuen kann mehr als Schönklang. Spätestens wenn sich abzeichnet, dass der lyrische Held der Geschichte seine Liebste nicht bekommen wird, beginnt er musikalisch zu explodieren. „Ich grolle nicht“, singt er, als er merkt, dass sich das Mädchen einem anderen zuwendet. Aber man spürt, das ist nicht die Wahrheit, dem Helden bricht das Herz, und Schuen schreit das so laut heraus, dass der Festsaal zu beben scheint.

Noch schlimmer wird es, wenn Schumanns Held die Hochzeit „seines“ Mädchens beobachten muss: „Es ist ein Flöten und Geigen“ ist der Liedtitel – aber das klingt eher nach Katastrophenmusik. Schuen verfügt über einen fantastischen Bassbariton, er kann mit einer Dichte und Intensität die Trompetenklänge, die Flöten und Geigen nachmachen, dass man vor Schreck erschauert. Da verwandeln sich die hochzeitlichen Freudestöne zu stechenden Schmerzen.

Schuen kann, ähnlich wie die ganz großen Sänger, etwa wie Fritz Wunderlich, sängerisch einfach alles. Seine Stimme ist wendig, sie spricht immer und in jeder Lage mühelos an. Manchmal singt er so leise, dass er eigentlich fast hauchen müsste. Aber er haucht nicht, sein Ton hat immer noch unfassbare Substanz. Dann bäumt er sich mit einer vokalen Urgewalt auf, posaunt seine Not, seine Entrüstung heraus und auch hier klingt nichts forciert.

Vor der „Dichterliebe“ sang Schuen noch weitere Schumann-Lieder, die andere Facetten seines Könnens zeigen. Etwa der „Schatzgräber“ (Eichendorff), wo das Klavier die rollenden Steine imitiert. Oder die wunderbar zarten, träumerischen Lieder aus dem Eichendorff-Liederkreis. Etwa „Mondnacht“, das Heide und Schuen mit beeindruckender zarter Poesie deuteten. Wie immer mit einem Minimum an Vibrato, das den träumerischen Fluss der Melodie keinen Augenblick dominiert oder stört. Eichendorffs poetische Zeilen werden so mit einer magischen Macht des Ausdrucks erfüllt.

Wenn man sie denn wirklich mitbekommen würde. Sicher, Schuen singt mit großer Textverständlichkeit. Aber das reicht kaum aus. Heute bietet fast jedes Opernhaus die Möglichkeit an, das Libretto projiziert an der Wand während der Aufführung mitlesen zu können, selbst wenn auf Deutsch gesungen wird. Der Konzertverein projiziert nichts, druckt die Gedichte nicht ab, verzichtet teilweise sogar auf die Liedtitel. So macht man es dem Publikum schwerer als nötig wäre. Die Auseinandersetzung mit dem Text ist bei Kunstliedern noch wichtiger als bei Opern, weil die Töne mit größter Präzision zu jedem dichterischen Wort gesetzt sind. Hier will man vielleicht in der Pause noch einmal etwas nachlesen. Denn Lieder sind die schönste Ehe, die die Sprache mit der Musik eingegangen ist.

DK


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