Nahverkehr in der Luft

11.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:16 Uhr
Seit 1909 wurde Oberwiesenfeld im Norden Münchens als Flugplatz genutzt. 1931 wurde ein neu errichtetes Abfertigungs- und Verwaltungsgebäude eingeweiht. −Foto: Deutsches Museum

In den 1920er-Jahren erlebte die zivile Luftfahrt in Bayern einen massiven Aufschwung. Allerdings war das Konzept noch ein ganz anderes, als wir es heute gewohnt sind. Der Historiker Stefan Lülf hat diese spannende Zeit untersucht. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten.

Bayern fliegt: Im Freistaat arbeiten nach Angaben des Wirtschaftsministeriums mehr als 60 000 Personen in der Luft- und Raumfahrt. Sie erwirtschaften ein jährliches Umsatzvolumen von rund sieben Milliarden Euro. Der Bereich ist also ein großer Faktor in der bayerischen Wirtschaft. Und natürlich tragen auch die Flughäfen, allen voran der Münchner, erheblich zum Wirtschaftsleben bei. Der Münchner Stefan Lülf hat sich nun auf die Spuren des Luftverkehrs in Bayern in früheren Zeiten begeben. In seiner Dissertation „London – Regensburg – Indien. Die Einbindung bayerischer Städte in den Luftverkehr 1919–1933“ erforscht er den bayerischen Luftverkehr während der Weimarer Republik. Anlässlich der Veröffentlichung des Buches haben wir uns mit Stefan Lülf über das Thema seiner Untersuchung unterhalten.

 
Herr Lülf, Sie haben zu den Anfängen des Luftverkehrs in Bayern in den 1920er-Jahren geforscht. Wenn man die damaligen Visionen, Planungen betrachtet: Was sind die großen Unterschiede zum heutigen Luftverkehr?

Stefan Lülf: Man hat damals natürlich nicht so genau gewusst, wie sich der Luftverkehr letztendlich entwickelt. So hatten damals die Flieger ultrakurze Reichweiten. Anfang der 1920er zum Beispiel mussten die Flieger auf der Strecke München–Berlin zwischenlanden, weil nachgetankt werden musste. Vor diesem Hintergrund gab es zwei große Ideen: Zum einen gab es damals schon Leute, die sagten, Flugverkehr wird nur für lange Strecken funktionieren, nur da wird er sich rechnen. Es gab aber auch eine andere Strömung, die der Meinung war: So wie es bei der Bahn lange Strecken und kurze Strecken gibt, so wird es auch beim Flugverkehr Fernverkehr und Nahverkehr geben. Also wird man beispielsweise mit dem Flugzeug von Ingolstadt nach München fliegen und dort umsteigen, um dann nach Bochum oder Berlin zu fliegen.

 
Dementsprechend waren es damals die Kommunen und Städte, die den Luftverkehr vorantreiben sollten
und wollten.


Lülf: Beides. Erst einmal wurden die Rahmenbedingungen geschaffen, ohne dass man genau vorhersehen konnte, was passieren würde. Das Reich wollte nur die großen Linien finanzieren und nur einzelne Flughäfen; letztendlich war das Berlin, und für München wurde ein kleiner Zuschuss gegeben. Die bayerische Staatsregierung hat gesagt: „Wir geben auch was, wir wollen das auch vorantreiben.“ Aber letztendlich hat die Staatsregierung versucht, die finanzielle Last nach unten zu drücken. Dabei hat sich ein Modus entwickelt, bei dem die Kommunen nicht nur die Bodeninfrastruktur gestellt haben, sondern auch die Linien mitsubventioniert haben. Der Luftverkehr war schließlich hoch subventioniert. Wenn Sie beispielsweise die Strecke München–Reichenhall betrachten: Da hat München was dazugetan, Reichenhall was dazugetan, die bayerische Staatsregierung was dazugetan, und für die weiten Strecken hat das Reich noch etwas dazugetan. Und so ist in Bayern ein dichtes Netz mit neun Städten entstanden, die 1927 angeflogen wurden.

 
Können Sie diese neun Städte nennen?

Lülf: Natürlich München und Nürnberg – wobei Nürnberg eigentlich nicht Nürnberg war, sondern Fürth. Dazu kamen Bad Reichenhall und Regensburg. Und dann gab es noch relativ viele Flughäfen im fränkischen Raum. Dort hatte sich eine eigene Fluggesellschaft etabliert, die Nordbayerische Verkehrsflug, die damals sogar der Lufthansa Konkurrenz gemacht hat. Die Lufthansa ist 1926 entstanden als Zwangsvereinigung von vielen kleinen Fluggesellschaften, mit dem Ziel, ein Monopol zu haben. Dieses Quasi-Monopol hat tatsächlich die Nordbayerische Verkehrsflug mithilfe kommunaler Finanzierung herausgefordert. So gab es noch Flughäfen in Schweinfurt, Hof, Bayreuth, Bamberg und Coburg.

 
Da muss ich natürlich fragen: Wie sah es mit Ingolstadt aus?


Lülf: In Ingolstadt ist die Quellenlage leider etwas dürftig, deshalb weiß man nicht so viel. Was man weiß: Es gab bei der bayerischen Staatsregierung die Idee, eine übergreifende bayerische Flughafengesellschaft zu gründen, die die gesamte Infrastruktur für den Luftverkehr finanzieren sollte. Mit der Idee ist das Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe an die Städte herangetreten, ob diese sich nicht daran beteiligen wollen. Das war ein schwieriges Unterfangen, weil viele Städte befürchtet haben, dass sich die Gesellschaft erst einmal auf München und Nürnberg konzentrieren würde und damit würden die anderen Städte den Münchner und Nürnberger Flughafen mitfinanzieren. So sind viele Städte abgesprungen und die Idee wurde nicht realisiert. In diesem Zusammenhang wurde auch Ingolstadt angesprochen und Ingolstadt hat sich bereiterklärt, sich mit einer kleinen Summe zu beteiligen. Letztendlich ist aber diese Gesellschaft nicht zustande gekommen und die Stadt Ingolstadt hat sich auch nicht bereiterklärt, die Kosten für einen Landeplatz zu tragen.

 
Wie muss man sich denn den damaligen Flugplan vorstellen? Wie oft wurde da geflogen – täglich, wöchentlich?

Lülf: Die meisten Linien sind täglich einmal in die eine Richtung geflogen und dann einmal wieder zurück. Wenn Sie beispielsweise die Strecke von Nürnberg über Bayreuth und Hof nach Leipzig nehmen: Die sind morgens losgeflogen, haben die einzelnen Punkte der Strecke abgeklappert, ein Passagier raus, ein Passagier rein – es gab ja nur vier Sitze – und am Nachmittag sind sie wieder die Strecke zurückgeflogen und haben diese einzelnen Flughäfen wieder angeflogen. Wobei der korrekte Ausdruck nicht „Flughäfen“ ist, sondern Verkehrslandeplätze. Das waren eigentlich nur Wiesen, maximal mit einer kleinen Hütte oder Baracke, wo man die Passagierabfertigung macht. Die einzigen Flughäfen, die herausstechen, sind München und Nürnberg. In München, der Flughafen wird 1931 eröffnet, hat man sogar schon ein richtiges Terminal. „Lufthof“ wird das genannt, analog zum Bahnhof.
 

Sie sagen, es gab nur Platz für vier Passagiere. Das war dann wohl auch ein teures Vergnügen?

Lülf: Wie man es nimmt. Die Preise waren für die meisten Menschen nicht erschwinglich. Aber man hat auch nicht den vollen Preis auf die Passagiere umgelegt, sonst wäre es überhaupt nicht bezahlbar gewesen. Das war zu 80 Prozent subventioniert. Den Preis für die Kunden hat man nicht über die Kosten festgesetzt, sondern sich an einer Bahnfahrt erster Klasse Schlafwagen orientiert und da noch einen kleinen Aufschlag draufgelegt. Es wurden also die Kunden angesprochen, die in der Bahn Erster Klasse Schlafwagen gefahren sind – das waren längst nicht alle, sondern das war eine kleine Oberschicht. Die konnte sich das aber durchaus leisten.

 
In den 1930er-Jahren ist dieses Flugsystem relativ schnell zugrunde gegangen. War das politisch motiviert oder hatte das andere Gründe?

Lülf: Es gab zwei Knackpunkte: Zum einen die Weltwirtschaftskrise, die Anfang der 1930er-Jahre total auf die kommunalen Finanzen durchgeschlagen hat. Die Ausgaben für die Arbeitslosenfürsorge schnellen in die Höhe, die Steuereinnahmen gehen herunter. Das heißt, die Kommunen streichen alle Ausgaben zusammen, die nicht unbedingt notwendig sind. Da dünnt sich das Luftverkehrsangebot in Bayern schon sehr stark aus. Der zweite Schlag kommt dann im Zuge der NS-Herrschaft ab 1933. Da wird die Zentralisierung und Militarisierung der Luftfahrt sehr stark vorangetrieben; die Lufthansa wird ganz klar zur einzigen Fluglinie gemacht. Aber bereits vorher ist dieses enge Netz bereits zusammengekommen.

 
Wenn man nun in die Zukunft blickt: Derzeit wird ja wieder viel über Lufttaxis spekuliert. Gibt es da noch Strukturen von damals, die man wieder aufleben lassen könnte?

Lülf: Strukturen gibt es natürlich nicht mehr. Aber die Ideen waren da. So gab es beispielsweise aus Augsburg heraus gegründet eine schwäbisch-bayerische Luftfahrtgesellschaft, die gesagt hat: Wir machen keine Linienflüge, sondern Charterflüge. Man hat sich das so vorgestellt, dass man es wirklich mit einem Taxameter macht und nach Distanz abrechnet. Die Ideen waren da, sie haben sich aber – noch – nicht durchgesetzt.

 
Das Gespräch führte Markus Schwarz.
 

 
DAS BUCH

Stefan Lülf: London – Regensburg – Indien. Die Einbindung bayerischer Städte in den Luftverkehr 1919–1933, Verlag Michael Laßleben, 448 Seiten.