Kampf um gefragtes Personal: Wendigkeit ist Trumpf

Der Fachkräftemangel trifft vor allem den Mittelstand hart. Gegenüber großen Konzernen haben die kleinen und mittleren Unternehmen aber auch Vorteile, die sie ausspielen können.

11.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:16 Uhr
Laptop statt Schraubenschlüssel: In der Kfz-Werkstatt wird längst nicht mehr nur geschraubt. Die Technologisierung trägt aber auch zum Mangel an geeigneten Bewerbern bei (oben). Angebote wie eine betriebliche Altersvorsorge sind für viele Bewerber inzwischen ein Muss. −Foto: Eberl, Stefan, Ingolstadt

Noch kann Christian Heinzlmair recht entspannt auf die Situation blicken. „Wir sind noch in einer komfortablen Lage“, sagt der Inhaber eines Autohauses in Pfaffenhofen. Aber dass es schwieriger werden wird, künftig geeignetes Personal zu finden, das deutet sich auch bei ihm bereits an. „Die Bewerbungen werden weniger“, sagt Heinzlmair, der in der Kfz-Innung München-Oberbayern im Vorstand sitzt. Vor wenigen Jahren hätten sich noch 30 bis 40 junge Menschen auf die Ausbildungsstellen in seinem Betrieb beworben, inzwischen seien es vielleicht noch 15. Wenn man dann noch die abziehe, die nicht die notwendigen Voraussetzungen mitbringen, bleibe nicht mehr viel Auswahl.

60 Prozent der Unternehmen in Deutschland sehen nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages im Fachkräftemangel ein Geschäftsrisiko. 2010 hatten dieser These lediglich 16 Prozent der Unternehmen zugestimmt. Dem IHK-Fachkräftereport 2017 zufolge sind schon heute im Bereich Maschinenbau und Betriebstechnik zwölf Prozent der Stellen nicht besetzt. Bei Ingenieursberufen ist der Engpass mit 18 Prozent sogar noch größer. Vor allem das Handwerk und Mittelständler trifft der Mangel an geeignetem Personal hart. „Nur 39 Prozent der Handwerksbetriebe in Oberbayern konnten alle ihre Stellen besetzen“, sagt die Vizepräsidentin der Handwerkskammer München-Oberbayern, Carola Greiner-Bezdeka. Einfach an der Gehaltsschraube zu drehen, ist für kleine und mittlere Betriebe aber schwierig. „Das Handwerk bildet sehr fundiert und breit gefächert aus, der Betrieb investiert je nach Ausbildungsberuf bis zu 40 000 Euro in einen Azubi. Leider verlieren wir dann unsere jungen Fachkräfte häufig an die Industrie“, sagt Greiner-Bezdeka, die in Lichtenau einen Fachbetrieb für Gebäudetechnik leitet und selbst derzeit noch auf der Suche nach einem Monteur ist. Gerade in der Region gebe es mit Audi einen starken Konkurrenten, der für junge Menschen, die vor allem Geld verdienen wollten, attraktiv sei. Hinzu komme, dass auch die Handwerksberufe durch den technischen Fortschritt immer anspruchsvoller werden. „In der Regel braucht man Bewerber, die mittlere Reife haben“, sagt Greiner-Bezdeka. Statt einer Lehre streben die inzwischen aber oft das Abitur und ein Studium an.

Dass die Mittelständler ihre gut ausgebildeten Fachkräfte kampflos an die große Konkurrenz verlieren, muss aber nicht sein, wie der Ingolstädter Unternehmensberater Daniel Woisch betont. Denn gerade die geringere Größe biete nicht nur Handicaps, sondern auch jede Menge Vorteile im Kampf um das Personal. Für die heutige Generation komme es auf die Klassiker wie Geld, Handy oder Dienstwagen nicht mehr so an, sagt er: „Sozialleistungen sind in.“ Für betriebliche Altersvorsorge, Krankenzusatzversicherungen oder Sportangebote könnten auch kleinere Unternehmen attraktive Rahmenverträge abschließen. Immer wichtiger für die Generation X und die Generation Y würden aber weiche Faktoren – und hier können Mittelständler mit ihrer Wendigkeit einen besonderen Trumpf ausspielen. „Der klassische Nine-to-five-Job ist out“, sagt Woisch. Stattdessen legten Arbeitnehmer heute Wert auf flexible Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle. „Ob man gerade in Berlin oder Ingolstadt ist, ist in vielen Berufen egal“, sagt Woisch. Auch Jobsharing, Zeitwertkonten, die das Ansparen von Arbeitszeit und mehrmonatige Auszeiten erlauben, oder flache Hierarchien ließen sich in kleineren Unternehmen leichter umsetzen, als bei einem „dicken Schiff“. Auch Greiner-Bezdeka sieht in solchen „Zuckerln“ die Chance für Handwerksbetriebe, den Arbeitnehmern die Stelle schmackhaft zu machen. Anders als im anonymen Großbetrieb gebe es bei den kleinen „eine familiäre Bindung, sehr viel Abwechslung im Arbeitsalltag, kurze Arbeitswege oder eine flexible Urlaubsgestaltung. Man versucht eben, Rücksicht aufeinander zu nehmen.“

Auch Kfz-Meister Christian Heinzlmair setzt auf solche „kleinen Extrawürste, die wir für jeden Mitarbeiter braten“. Einem seiner Angestellten sei es etwa wichtig, jeden Tag um 17 Uhr mit seiner Familie zu Abend zu essen. Der fange dafür früher an. Ein anderer arbeite jeden Tag eine Stunde länger, damit er Freitagnachmittag frei habe. „Das geht am Fließband natürlich nicht“, sagt Heinzlmair. Zudem gehe es in kleinen Betrieben kollegialer zu, dann komme es vielen auch nicht mehr auf den letzten Euro an.

Unternehmensberater Daniel Woisch rät auch kleinen Unternehmen, zu versuchen, sich als Marke zu etablieren – vor allem online. „Jeder googelt heute erst mal, bevor er sich bewirbt“, sagt er. Positive Beurteilungen auf Bewertungsportalen seien daher wichtig für Arbeitgeber – und zufriedene eigene Mitarbeiter die besten Botschafter. Damit das gelingt, müssen sich die Angestellten in der Firma aber auch heimisch fühlen. Einen Trend sollten die Betriebe daher beachten: Flache Hierarchien gehen heute immer öfter mit einer Wohlfühlatmosphäre einher. Es gebe neue Ansprüche an den Arbeitsplatz, sagt Woisch. Es gehe weniger steif zu und der Trend gehe dahin, dass Büros weniger wie Büros aussehen, sondern mehr wie Wohnzimmer. Ein Kicker oder eine Theke, an der man sich trifft und einen Kaffee trinkt, sorgen nicht nur für eine angenehme Atmosphäre, sondern erleichtern auch den Austausch untereinander.