Über Umwege nach Eichstätt

10.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:16 Uhr
Da Eichstätt nicht an der Strecke zwischen München und Nürnberg lag, wurde es später erst mit einer Schmalspurbahn (oben links) zwischen Eichstätt-Bahnhof und Eichstätt-Stadt angebunden. Für den Abschnitt zwischen Ingolstadt und Treuchtlingen wurden fünf Varianten erarbeitet (oben rechts), zwei davon allerdings von vorneherein als nicht praktikabel ausgeschlossen. Gewählt wurde dann zwischen den Varianten III, IV und V. −Foto: L. Bergsteiner

Es geht voran - tschuk-tschuk-tschuk: Keine Erfindung hat die Entwicklung der industriellen Revolution und damit auch unsere moderne Gesellschaft so nachhaltig befördert und geprägt wie die Eisenbahn.

1804 entwickelte der britische Ingenieur Richard Trevithick die ersten funktionsfähigen Dampflokomotiven; und 1903 erreicht eine AEG-Lok mit Elektroantrieb erstmals eine Geschwindigkeit von über 200 Stundenkilometern. Dazwischen lag ein Jahrhundert, in dem sich nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Gestaltung des Lebens fast aller Menschen zumindest in Westeuropa radikaler änderte als in den 15 Jahrhunderten davor.

Im damaligen Deutschen Bund stand Bayern an der Spitze der Entwicklung: Am 7. Dezember 1835 ging auf der Strecke Nürnberg - Fürth die erste deutsche dampfbetriebene Eisenbahn in Betrieb.

Schon damals war allerdings klar, dass ein funktionierender Eisenbahnbetrieb nicht als Stückwerk einzelner Strecken funktioniert, sondern dass dem Schienenverkehr ein System zugrunde gelegt werden muss. Der württembergische Nationalökonom Friedrich List stellte bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Überlegungen an, welche Gestalt ein gesamtdeutsches Eisenbahnnetz annehmen sollte. In Bayern hatte bereits vor ihm der Ingenieur Joseph von Baader ähnliche Ideen. Auf dessen bereits 1815 gemachten Vorschlag ging im Übrigen die Bahnlinie Nürnberg - Fürth zurück.
Dass der Ausbau des Eisenbahnnetzes immer wieder ins Stocken geriet, lag auch daran, dass es bereits damals schon immer wieder Diskussionen gab, ob der Eisenbahnbau und -betrieb in staatlichen oder privaten Händen besser aufgehoben ist. So erklärte der damalige bayerische Innenminister Karl von Abel im Jahr 1845 kategorisch: "Nie wird die Regierung die Bahnen in ihren Hauptrichtungen in private Hände geben, nie und unter keinen Bedingungen. " Ein Jahrzehnt später hatten diese Worte keine Gültigkeit mehr. Nach dem Willen der bayerischen Staatsregierung sollten ab 1855 wieder private Träger den Eisenbahnbau voranbringen. Kommunale Stellen wollten sich mit diesem staatlichen Rückzieher jedoch nicht zufrieden geben und bombardierten die Staatsregierung mit Gesuchen nach einem Anschluss ihrer Region an das Eisenbahnnetz, das im Jahr 1854 in Bayern bereits rund 1000 Streckenkilometer umfasste, auf denen jährlich rund zwei Millionen Personen und acht Millionen Frachtsendungen befördert wurden.

Zu einem Wortführer einer dieser kommunalen "pressure groups" schwang sich der damalige Eichstätter Bürgermeister Georg Fehlner auf. Er brachte im März 1858 die Bürgermeisterkollegen unter anderem von Freising, Pfaffenhofen, Ingolstadt und Weißenburg an einen Tisch, was zu einer Petition an die Staatsregierung führte: Darin forderten die Unterzeichner den Bau einer Bahnlinie zwischen München und Nürnberg entlang einer Linie zwischen ihren Städten. Der Ingolstädter Autor Leonhard Bergsteiner, Verfasser vieler Bücher und Artikel zur Eisenbahngeschichte, ist voll des Lobes für den damaligen ersten Bürger Eichstätts: "Fehlner war ein sehr weitsichtiger Kopf. Mit seinen Plänen war er seiner Zeit weit voraus, auch im Ministerium in München war man überrascht von den kühnen Ideen des Eichstätters. "
Aber auch dort drehte sich der Wind, und im September 1861 wurde ein Gesetz verabschiedet, das einen weiteren Eisenbahnausbau unter staatlicher Regie vorsah. Der Eichstätter Bürgermeister Fehlner dürfte diese Entwicklung aber nicht nur froh verfolgt haben, denn der "Oberingenieur" Heinrich Balbier, der den geplanten Streckenverlauf auskundschaftete, war von der geografischen Lage Eichstätts alles andere als begeistert. Bergsteiner, der diese Ereignisse für sein Buch "Eisenbahnen im Altmühltal" (Verlag Kenning, nur noch antiquarisch) erforscht hat, erzählt: "Als Balbier bei seiner Vermessungsreise nach Eichstätt kam und dort im Gasthaus zur Post Mittagspause machte, meinte er: ,Man kommt nach Eichstätt nicht hinein und nicht heraus. '"

Als im September 1863 der Landtag den Bau einer Eisenbahnstrecke München - Ingolstadt - Gunzenhausen/Pleinfeld verabschiedete, war die Freude in Eichstätt groß. Der Eichstätter Kurier berichtete: "Sofort versammelte sich eine große Anzahl von Bürgern und unter Musikbegleitung durchzog man die Stadt bis vor die Wohnung des Bürgermeisters und brachte diesem eine Ovation und Hochs dar. Bei gutem Bier in der Baptistbrauerei verbrachte man den Abend bis zum frühen Morgen, kreuzfidel und lustig. " Der Kater blieb für die Eichstätter allerdings nicht aus. Bergsteiner erklärt: "Bei aller Freude hat man wohl übersehen, dass nur eine Trassenrichtung beschlossen war, nicht aber die genaue Streckenführung. Dass man bei den geplanten immensen Kosten von 19 Millionen Gulden genau rechnen und planen musste, versteht sich von selbst. "

So kristallisierten sich bei den Planungen des Streckenabschnitts von Ingolstadt nach Treuchtlingen drei machbare Varianten heraus: Die erste über Eitensheim, Pfünz, Eichstätt und Dollnstein, die zweite über Adelschlag, Wasserzell und Dollnstein und die dritte über Gaimersheim, Nassenfels, Wellheim und Dollnstein. Die Kosten für die erste Variante lagen den Berechnungen zufolge um rund 50 Prozent höher als die der beiden anderen. Kein Wunder, dass die Eisenbahndirektion der dritten Variante den Vorzug gab.

Georg Fehlner aber gab nicht auf: Unterstützt vom damaligen Eichstätter Bischof Georg von Oettl suchte er den Kontakt zum damaligen König, dem "Märchenkini" Ludwig II. Er erhielt sogar im Januar des Jahres 1866 eine Privataudienz, um nachdrücklich für einen Eisenbahnanschluss Eichstätts zu werben. Beim Monarchen hinterließ das Eindruck. Er schrieb an sein Kabinett: "Das der Stadt Eichstätt drohende Schicksal geht mir in der Tat sehr zu Herzen", und ordnete die nochmalige genaue Prüfung der Streckenführung an. "So kam es", berichtet Leonhard Bergsteiner, "dass schließlich die Variante über Wasserzell, später ,Eichstätt Bahnhof' gebaut wurde und Eichstätt nicht völlig abgehängt war. Dennoch wird in Eichstätt im Gegensatz etwa zu Ingolstadt und Dollnstein überhaupt nicht gefeiert, als die Strecke schließlich am 12. April 1870 in Betrieb genommen wird. "