Kulturerbe neu gedacht

<?Uni SchriftFarbe="Vollfarbe CMYK1,000000 0,000000 0,000000 0,000000 -1 1,000000" Kapitaelchen="100ru" SchriftGroesse="10,5dp" SchriftStil="0" SchriftArt="ITC Franklin Gothic Demi" Spationierung="1ru"> Innovation<?_Uni> Der Bierkonsum sinkt. In Bayern nicht ganz so stark wie anderswo. Dank kreativer Brauer, die mit dem Gerstensaft experimentieren und ihn auf Grundlage des Reinheitsgebotes immer wieder neu erfinden.

18.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:39 Uhr
In Bayern gehört das Bier zum guten Lebensgefühl einfach dazu, deshalb ist der Pro-Kopf-Verbrauch von 140 Litern pro Jahr auch absolute Spitze in Deutschland. Weltweit eilt dem bayerischen Bier ein exzellenter Ruf voraus - vor allem wegen der hohen Braukompetenz. −Foto: Bayerischer Brauerbund

Bayern und Bier gehören zusammen. Denn hier ist das Volksgetränk nicht nur ein Symbol für Genuss und Lebensgefühl, sondern zugleich Heimat, Tradition und immaterielles Kulturerbe. Und doch sinkt auch im Freistaat der Konsum.

"Wir spüren den demografischen Wandel", sagt Georg Schneider, Präsident des Bayerischen Brauerbundes und Inhaber der privaten Weißbierbrauerei Schneider und Söhne in Kelheim. "Die Arbeits- und Lebenswelten haben sich verändert. Die Menschen werden älter und trinken mit zunehmendem Alter weniger Alkohol. Stammtische gibt es kaum mehr, kleine Wirtschaften sterben. " Zudem gehöre zu einem modernen Lebensstil oft auch der bewusste Verzicht auf Alkohol. Und selbst die zunehmend differenzierte ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung bedinge eine sinkende Affinität zu Bier.

Tradition als Exportschlager

Trotzdem verzeichnen die bayerischen Brauer im Vergleich zu ihren Kollegen außerhalb der weiß-blauen Landesgrenze noch immer einen relativ stabilen Bierabsatz. "Der vor allem aus Exporterfolgen gespeist wird", erklärt Georg Schneider. So exportierte Bayern zur Jahrtausendwende 1,6 Millionen Hektoliter Bier, im vergangenen Jahr waren es schon 5,6 Millionen. "Wir verkaufen mit unserem Bier ein Stück bayerisches Lebensgefühl. Wir profitieren gleich in mehrfacher Hinsicht: Einerseits vom positiven Image, das der Freistaat in der Welt genießt. Andererseits vom exzellenten Ruf, der bayerischem Bier vorauseilt, von der hohen Braukompetenz, die Bayern zugeschrieben wird - nicht umsonst ist unsere Brautradition nach dem Reinheitsgebot als bayerisches immaterielles Kulturgut anerkannt. Und schließlich von einem weltweit zu spürenden Trend zu authentischen Bierspezialitäten", erklärt Schneider den Erfolg.

Doch der deutsche Binnenmarkt bleibt problematisch. Zwar trinkt der Bayer mit bis zu 140 Litern pro Jahr weitaus mehr Bier als der Durchschnittsdeutsche (104 l) - am Ende aus Sicht der Brauer aber trotzdem zu wenig. Dafür ist die Nachfrage nach alkoholfreien Bieren gestiegen. "Dieses relativ junge Segment verleiht dem bayerischen Brauwesen wertvolle Impulse", schätzt Georg Schneider ein. Der Absatz alkoholfreier Biere stieg im ersten Halbjahr 2018 auf ein Rekordniveau von mehr als einer Million Hektoliter, während 2017 insgesamt 1,93 Millionen Hektoliter verkauft wurden.

Aus Trends entstehen neue Biere

Mittelständische Brauereien experimentieren: Neue Hopfensorten werden ausprobiert, alte Getreidesorten eingebraut, Biere in Barrique-Fässern gelagert oder in kleinen, handwerklichen Brauereien - sogenannten Craft Breweries - gebraut. Und so wird die traditionelle Palette erweitert: um Biermixgetränke und alkoholfreie Mischungen, um leichte Biere und Spezialitäten. Die Brauer reagieren auf Trends, den anspruchsvolleren Geschmack der Verbraucher, die Bier seltener, dafür aber bewusster genießen.

Herrnbräu stupste den stagnierenden Markt im Frühjahr mit dem "Altbairisch Hell" an. "Wir haben auf ein altes Rezept zurückgegriffen, um ein mildes, sanft gehopftes Vollbier zu brauen und kommen damit bei jungen Leuten sehr gut an", beschreibt Braumeister Josef Pfaller die jüngste Kreation der Ingolstädter. Auch der Trend zu naturbelassenen Produkten spiegelt sich in der Herrnbräu-Palette wider. Das traditionelle Radler wurde um ein Natur-Radler ergänzt, dessen Limonade auf natürlichem Zitronensaft basiert. "Der Markt ist gesättigt, also muss man Nischen finden", sagt Pfaller. Und deshalb brauen die Ingolstädter als Dienstleister auch Regionalmarken und individuelle Rezepturen.

Barrique-Lagerung fürs Bier

Georg Schneider ist Spezialist für Weißbier, die typisch bayerische, obergärige Bierspezialität, die anders als alle anderen Biersorten, seit Jahren an Absatz gewinnt. Schneider ist ständig auf der Suche nach neuen Kreationen, nach kulinarischer Ganzheitlichkeit, dem passenden Weißbier zu jedem Gericht, ganz egal ob süß oder deftig. Er kombiniert den Hallertauer Hopfen mit neuen Sorten aus Neuseeland zum "Nelson Sauvin" - einem in der Flasche vergorenen Weissbier mit einer Note von Sauvignon Blanc. Er experimentiert mit der Lagerung in Barrique-Fässern und entwickelt so zu den traditionellen Sorten der Schneider Weisse immer wieder neue Biere. "Es gibt viele Spielarten, den Geschmack des Weißbieres zu beeinflussen", sagt Schneider und lagert Aventinus und Aventinus Eisbock in vier verschiedenen Barriques, bevor er sie zu einem Cuvée vereinigt, in der Flaschengärung veredelt und seinen Kunden als "Cuvée Barrique" anbietet.

Innovation sichert Überleben

In Riedenburg wurden die Weichen für besondere Biere in den 80er-Jahren gestellt. "Mit dem Aufkommen der Brauindustrie und den Monomarken veränderten sich die Rahmenbedingungen für kleine mittelständische Brauereien. Viele gaben auf. Meine Eltern - Braumeister Michael und Martha Krieger - entwickelten ein Unternehmenskonzept, das den Fortbestand unseres Betriebes sicherte", berichtet Maximi-lian Krieger, der die Riedenburger Brauerei - eine der ersten Ökobrauereien Deutschlands - heute gemeinsam mit seinem Vater in achter Generation führt. Seit 1992 wird in Riedenburg Bier aus ökologisch angebautem Hopfen und alten Getreidesorten wie Emmer, Dinkel und Einkorn gebraut. Das macht Riedenburger einmalig. Und doch ruhen sich die Brauer auf ihrem Alleinstellungsmerkmal nicht aus. "Brauen ist Innovation", betont Braumeister Maximilian Krieger, der immer an neuen Spezialitäten tüftelt - "an ganz eigenen Bieren". Wie alkoholfreies "Dinkel" und "Radler " oder die neuen Doldenbiere, die - mit ausgewählten Aroma-Hopfensorten gebraut und in den Lagertanks zusätzlich kaltgehopft - ein besonders fruchtiges Hopfenaroma aufweisen.

Craft-Beer-Aktivist in der Hallertau

Mit bayerischen Wurzeln, dem Know-how eines Weihenstephaner Braumeisters und original amerikanischen Craft-Beer-Erfahrungen in seiner Urban Chestnut Brewing Company in Saint Louis, Missouri, übernahm Flo-rian Kuplent 2015 das ehemalige Bürgerbräu in Wolnzach. Mit einem kleinen Team braut er in der Hallertau Biere für den lokalen Markt. Kuplent setzt auf handwerkliche Herstellung, Regionalität und hochwertige Rohstoffe. Er experimentiert in den USA mit ungewöhnlichen Zutaten wie Kastanien, Früchten und Gewürzen, die der Maische und dem Bier zugegeben werden, aber auch mit verschiedenen Hefen und Hopfensorten. Und er belebt traditionelle Rezepturen. "Wir möchten Bier brauen, das den Menschen in der Region schmeckt", betont der Braumeister. In Amerika ist das gerade Sour Beer - also braut er dort eine traditionelle Gose, ein Sauerbier mit Koriander und Kochsalz. "In Wolnzach arbeiten wir im Moment an einem Grünhopfenbier, bei dem der Hopfen unmittelbar nach der Ernte in die Sudpfanne kommt und dem Bier einen besonders fruchtigen Geschmack verleiht. "

Bier ist ein Stück Lebensgefühl. Vor allem in Bayern. Hier sind die Menschen mit ihren regionalen Brauereien eng verbunden. Die Brauer pflegen einen intensiven Kontakt zu ihren Gemeinden, und für jedes Volksfest wird ein Festbier gebraut. Dadurch bleiben traditionelle Biere erhalten, aber auch Neulinge bekommen eine Chance. So wie das Festbier von Florian Kuplent und seiner Crew - ein traditionelles Märzen. "Es war erstaunlich, wie schnell die Menschen hinter uns standen", blickt er auf drei Jahre in Wolnzach zurück. "Aber Bier ist eben ein emotionales Getränk. " Und so hat er mit einem Augenzwinkern ein amerikanisch-bayrisches Pale Ale mit fruchtigen Noten aus Grapefruit und Ananas kreiert und ein "Zuagroastes" zum absoluten Renner gemacht.