Entschleunigt durchs Bayernland

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14.06.2019 | Stand 02.12.2020, 13:44 Uhr
Motorradfahren erlebt eine Renaissance. Gerade in Bayern finden sich wunderbare Landschaften für entspannte Ausritte, so wie hier am Jochbergpass bei Bad Hindelang. Aber auch das Altmühltal ist ein Motorradfahrer-Eldorado. Bei den Maschinen ist der Retro-Trend ungebremst. −Foto: Hildenbrand/dpa

Die Motorradbranche jubelt über die neue Begeisterung für Maschinen mit nostalgischem Design. Es ist ein echter Boom. Gerade der Freistaat ist ein Paradies für Biker: Nirgendwo werden pro Maschine mehr Kilometer gefahren als hierzulande.

Von Richard Auer

Der Sommer ist da - und damit ist die Zeit der Motorräder gekommen: Gerade in einer so schönen Gegend wie dem Land rund um Ingolstadt haben Biker ihren Spaß: von der hügeligen Holledau bis zum Altmühltal. Letzteres ist für Motorradbesitzer ein wahres Eldorado, vor allem für jene, die ihren Ausritt gerne entspannt angehen. Aber welche Rolle spielen Motorräder überhaupt im Sommer 2019? Was sind die Trends bei Maschinen und Zubehör?

Eins stellt Achim Martin, der Sprecher des Industrieverbands Motorrad Deutschland e.V. (IVM), gleich zu Beginn fest: Regionale Unterschiede bei Marken und Ausstattung lassen sich nicht feststellen. In Bayern werden keine anderen Maschinen gefahren wie etwa in Essen, dem Sitz des Industrieverbands. Allerdings gibt es, was das Fahren selbst angeht, deutliche Unterschiede: "Das aktive Fahren steht in Bayern deutlich mehr im Vordergrund als zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen." Marten klingt etwas neidisch wenn er feststellt, im Freistaat locke die schöne Landschaft direkt vor der Haustüre die Biker ganz eindeutig stärker aus der Reserve als anderswo. "Mehr Kilometer pro Motorradfahrer als in Bayern wird man nirgendwo finden."

Unübersehbares Statement

Und welche Motorräder sind in diesem Jahr im Trend? Da ist der Hang zum Retro-Design anscheinend nicht aufzuhalten. Es ist unverkennbar, dass viele Biker der Optik legendärer Maschinen aus den 1970er-Jahren oder auch noch früher nachtrauern und nun ihre helle Freude daran haben, dass die Industrie diesen nostalgischen Anwandlungen nachkommt. Über ausreichende Motorisierung muss man sich keine Gedanken machen, auch nicht über den Einbau der modernsten Technik, die man sich nur denken kann - aber dennoch sind diese Maschinen ein unübersehbares Statement der Entschleunigung in einer Szene, in der die Maschinen über Jahrzehnte immer noch sportlicher und aggressiver daherkommen sollten.

Die Retro-Maschinen sind die, die auch Motorrad-Laien beim Spaziergang ein Lächeln aufs Gesicht zaubern können. Das gab es schon lange nicht mehr. Das könnte zum Beispiel bei der Moto Guzzi V85 TT passieren, die vom italienischen Hersteller als "Classic Enduro" angepriesen wird. Der englische Hersteller Triumph setzt mit seinem Modell "Scrambler 1200 XC" auf die Optik der 60er-Jahre. Man sieht förmlich Steve McQueen vor sich, wie er im berühmten Kriegsfilm "Gesprengte Ketten" mit einem ähnlich wirkenden Motorrad vor den Nazi-Schergen flüchtet - und leider bei einem legendären Sprung über einen Stacheldrahtzaun scheitert.

Entspanntes Cruisen

Alter Wein in neuen Schläuchen: Das gibt es in dieser Saison auch von Royal Enfield, einer englischen Traditionsmarke, die längst in indischer Hand ist. Die Inder bringen mit der Continental GT 650 und dem Interceptor 650 zwei klassische Modelle auf technisch neuestem Stand auf den Markt - Maschinen für entspanntes Cruisen. Husqvarna ging mit der Rennmaschine 701 an den Start, Suzuki hat seine legendäre Katana wiederbelebt und Honda ist mit der CB 650 R angetreten. Spannende Zeiten also für Nostalgiker.

Vielfach wird übrigens unterschätzt, welche gesamtwirtschaftliche Bedeutung die Motorradwirtschaft in Deutschland hat. Zur Motorradwirschaft im engeren Sinne gehören neben den Herstellern auch der Handel mit den Fahrzeugen, Teilen und Zubehör sowie der ganze Bereich der Reparatur. Hier ergibt sich nach einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschungs "Economica" in Wien in der Bundesrepublik ein Umsatz in Höhe von 7,3 Milliarden Euro im Jahr - und 28600 Arbeitsplätze. Das Institut hat auch noch verschiedene andere Parameter (Tankstellenbetrieb/Versicherungen) mit aufgenommen und resümiert: "Demzufolge ist jeder 400. in Deutschland erwirtschaftete Euro entweder unmittelbar oder mittelbar der Motorradwirtschaft zuzuschreiben." Eine weitere Aussage: "Die Motorradwirtschaft im weiteren Sinn sichert insgesamt so viele Arbeitsplätze, wie Ingolstadt oder Regensburg an Einwohnern hat."

Die Branche sieht den Retro-Trend mit Freude. Laut Verbands-Sprecher Achim Marten hat diese Entwicklung der vergangenen Jahre den gesamten deutschen Motorradmarkt beflügelt. "Dieser Trend hat einen großen Push in die Branche gebracht." Die Maschinen seien natürlich absolut auf dem Stand der Technik, aber die klassischen Formen hätten in den letzten Jahren "sehr, sehr viele Käufer angesprochen". Und: "Dieser Trend hält sich mit Sicherheit - er ist stärker geworden. Wenn man zurzeit unterwegs ist, sieht man viele, viele Motorräder dieser Bauart." Kurios: Lange hatte die Branche nicht recht auf diesen Retro-Trend und dessen Tragfähigkeit vertraut. Es waren private "Schrauber", die sich moderne Motorräder umbauten und ihnen einen "Customizing-Look" verpassten. Aber seit 2016 wurde auch dem Letzten klar, was die Stunde geschlagen hatte: Da stieg zum ersten Mal eine der großen Weltleitmessen auf diesen Trend ein und stellte eine ganze Halle zur Verfügung.

Bestseller von BMW

Das meistverkaufte Motorrad Deutschlands, der Bestseller, ist die BMW 1250 GS. Sie führt seit Jahren die Top 10 an, in den vergangenen 20 Jahren wurde diese Siegesreihe nur ein einziges Mal unterbrochen durch ein Modell aus dem Hause Honda. Die GS, geländegängig und relativ hochbeinig, dabei mit allem High Tech ausgestattet, gilt unter Bikern als das klassische Reisemotorrad, eine Vielzweck-Maschine, die Marten auch mal die "eierlegende Wollmilchsau" bezeichnet. "Die gibt einem das Gefühl, direkt nach dem Frühstück zu einer Weltumrundung aufbrechen zu können - auch wenn man's nicht tut." Es ist eben wie so oft im Leben: Die Freiheit liegt in der Möglichkeit, etwas zu tun - ganz unabhängig von der Umsetzung. Die meisten dieser Maschinen werden denn auch - Gelände hin oder her - mit simpler Straßenbereifung verkauft.

Apropos: Was tut sich beim Zubehör? "Das hat qualitativ in den letzten Jahren immer zugelegt", sagt man beim Industrieverband dazu. Ein neuer und höchst erfreulicher Trend der letzten Zeit ist der Fahrer-Airbag. Der wird wie eine Weste umgehängt und mit einem Kabel mit dem Motorrad verbunden. Sobald der Fahrer unfreiwillig von seiner Maschine "absteigt", bläst sich der Airbag auf - und der Biker ist von einem großen Kunststoffschlauch umgeben. "Das wird sich durchsetzen", ist Marten überzeugt. Zumal es die Airbags inzwischen auch fix und fertig in Motorradjacken integriert im Handel gibt.