"Defizite gemeinsam überwinden"

10.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:16 Uhr
  −Foto: Karmann/dpa, Gärtner

Herr Gärtner, Wirtschaftsförderung ist nicht unumstritten - ist sie aus Ihrer Sicht dennoch notwendig?

Stefan Gärtner: Als Wissenschaftler kann ich das natürlich nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Ich würde aber sagen: In der Regel schon. Man kann sich dann natürlich beispielsweise fragen, ob man Wirtschaftsförderung auf Kreisebene braucht oder auf kommunaler Ebene? Die Frage des Gebietsgrößenzuschnitts hängt sicherlich auch davon ab, ob man über kleinere Städte beziehungsweise Dörfer oder Großstädte redet.

Wann ist Wirtschaftsförderung denn sinnvoll?

Gärtner: Wirtschaftsförderung sollte auf jeden Fall nicht den Zweck haben, die Wirtschaft zu fördern, ohne dass es den Menschen etwas bringt. Es kommt auf die Ziele an. Schauen Sie zum Beispiel mal nach Wien: Da ist ein Ziel der Stadtentwicklung, durch Wirtschaftsförderung eine soziale Industriepolitik zu machen. Das bedeutet zum Beispiel, die Schaffung von hinreichend bezahlten Arbeitsplätzen für nicht so gut ausgebildete Menschen. Solche Betriebe versucht man in der Stadt zu halten und weiterzuentwickeln. Das ist natürlich ein völlig anderes Ziel als auf Teufel komm raus irgendwelche Gewerbegrundstücke zu veräußern.

Würden Sie sagen, es ist ein Trend, dass bei der Wirtschaftsförderung auf so einen sozialen Gesichtspunkt Wert gelegt wird?

Gärtner: Das gibt es hier und da - ist aber immer noch etwas Ungewöhnliches. Aus meiner Sicht wird  in der Wirtschaftsförderung viel zu stark auf Technologieunternehmen gesetzt. Alle hoffen, den Jackpot zu gewinnen - und Google Deutschland anzusiedeln. Am Ende landen sie dann beim Logistikunternehmen. Aber dazwischen passiert  wenig.   Das ist ein Problem. Auch Sozialunternehmen, die ein wenig eine andere Zielsetzung haben, werden meist nicht beachtet, obwohl sie ja nicht nur einen wirtschaftlichen Mehrwert generieren, sondern auch noch einen sozialen. Alle wollen das klassische Hochtechnologieunternehmen oder die wissensbasierte Dienstleistung.

Müsste man das Geld aus Ihrer Sicht also anders verteilen?

Gärtner: Gute Wirtschaftsförderung besteht nicht aus Geldverteilen.   Gute Wirtschaftsförderung macht vor allem strategische Konzepte und versucht die Unternehmen zu vernetzen und zu entwickeln.

Wie soll das konkret aussehen?

Gärtner: Ich verstehe unter guter Wirtschaftsförderung vor allem eine strategische Komponente: Dass in der Kommune, im Kreis oder in welcher Gebietseinheit auch immer, Menschen sitzen, die die Region kennen, die Kompetenzen, die Unternehmen - aber auch die Defizite der Region. Und dass man gemeinsam versucht, die Defizite zu  überwinden und am Ende für bessere Wettbewerbsbedingungen in der Region sorgt.

Wo funktioniert denn die Vernetzung aus Ihrer Sicht besonders gut?

Gärtner: Sogenannte Cluster - werden mittlerweile   landauf, landab initiiert beziehungsweise gemanaged. Meistens klappt es in den Regionen, in denen es eine etablierte Kooperationskultur gibt, besser als in altindustriellen Regionen, die eher großbetrieblich strukturiert sind.   Aber auch in manchen altindustriellen Regionen - zum Beispiel in Nürnberg oder Dortmund - hat die kommunale Wirtschaftsförderung zu einer Vernetzung der Unternehmen und einer strategischen Ausrichtung beigetragen.

Wie lässt sich der Erfolg von Wirtschaftsförderung messen?

Gärtner: Genau das ist das größte Problem. Gerade im Bereich der Regionalökonomie kann man viele Dinge nur plausibel annehmen - messen lässt sich der Erfolg nicht. Selbst wenn sich eine altindustrielle Region mit  einer strategischen Wirtschaftsförderung über 15, 20 Jahre  besser entwickelt, können sie am Ende nicht mit Gewissheit sagen, dass das nicht möglicherweise auch ohne die strategische Förderung hätte passieren können. Da müssten sie ja zweimal exakt dieselbe Stadt haben, um das zu vergleichen - und das geht natürlich nicht.

Welche Probleme kann es bei einer Wirtschaftsförderung geben?

Gärtner: Oft ist das Problem bei kommunaler Wirtschaftsförderung, dass viel zu sehr darüber nachgedacht wird, welche Rechtsform man sich gibt. Diese permanente Umstrukturierung verhindert eigentlich, dass man sich inhaltlich strategisch ausrichtet.

Vielerorts versucht man durch regionale Gewerbeschauen und Messen die Wirtschaft zu fördern. Ist das noch zeitgemäß oder sollte man eher auf Digitales setzen?

Gärtner: Man sollte auf beides setzen. Ich glaube, wir sind als nicht digitale Menschen sozialisiert. Die Leute, die Entscheidungen treffen, leben von persönlichen Begegnungen und Kontakten - so entsteht Vertrauen und Wissen. Eine Messe muss keine lahme Veranstaltung sein, aber andererseits auch gut, weil Leute zusammengebracht werden, die in einer Region produzieren - so können auch Kooperationen entstehen.

Die Fragen stellte Sebastian Oppenheimer.

ZUR PERSON

Stefan Gärtner ist Direktor des Forschungsschwerpunktes Raumkapital am Institut Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem Wirtschaftsförderung und Regionalentwicklung.