Ingolstadt
Gespanntes Warten auf Erklärungen

21.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:17 Uhr

Wie geht es mit uns weiter? Die Audi-Belegschaft - hier ein Bild von einer Betriebsversammlung aus früheren Jahren - setzt darauf, von der Führung bald informiert zu werden. ‹ŒArch - foto: Audi

Ingolstadt (DK) Die Diesel-Affäre und andere Widrigkeiten spalten die Belegschaft bei Audi. Viele Beschäftigte geben sich optimistisch, aber vor allem in der Produktion herrscht Verunsicherung. "Wir wollen Aufklärung", heißt es.

Am Dienstag gab es im Audi-Werk Großartiges zu feiern. Die Ingolstädter Autobauer hatten zur Einweihung ihrer neuen Lackierei eingeladen. Ein riesiges Gebäude mit 12 000 Quadratmetern Fläche, wo ab sofort auf drei Stockwerken bis zu 900 Karosserien am Tag ihr Farbkleid erhalten. Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur digitalen Fertigung, betont das Unternehmen, und "ein Bekenntnis zum Auto-Leitwerk Ingolstadt", ergänzt der Betriebsrat. Ein Grund zur Freude allemal, aber vielen Beschäftigten ist in diesen Tagen nicht danach zumute.

Die Diesel-Abgas-Affäre liegt wie eine tonnenschwere Last auf dem Unternehmen, dann die Vorwürfe gegen Audi-Chef Rupert Stadler und Entwicklungsvorstand Stefan Knirsch, sie hätten schon lange von den Manipulationen gewusst. Gestern nun Berichte darüber, dass Audi "die Mutter des Betrugs" sein soll. "Ganz ohne Bescheißen" werde man es nicht schaffen, die strengen US-Abgas-Normen einzuhalten, soll ein Audi-Ingenieur schon 2007 per E-Mail mehreren Managern des Unternehmens mitgeteilt haben.

Am Stammsitz des Autoherstellers in Ingolstadt geht nicht erst seit dieser Woche die Angst um. Nicht bei allen, aber die Zahl derjenigen, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen, steigt stetig. "Viele von uns sind schwer enttäuscht, auch weil wir nichts erfahren, außer, was in der Zeitung steht", sagt ein langjähriger Mitarbeiter, Anfang 50. Er, früher überzeugter "Audianer", hat "schon länger Angst, dass es den Bach hinuntergeht". Auch was technische Neuerungen betrifft, da sei Audi einmal führend gewesen. "Was ist denn mit der E-Mobilität? Wo stehen wir da? Da erfährt man ebenso wenig wie in der Diesel-Geschichte. Dabei haben wir haben so viel Potenzial und Wissen in der Firma."

Andere halten dagegen. "Leider gibt es immer welche, die alles schlechtreden", stellt ein Beschäftigter aus der Technischen Entwicklung (TE) fest. "Es gibt für alles eine Lösung, deshalb bleibe ich optimistisch." Ähnlich sieht es eine Mittvierzigerin im Vertrieb, macht aber klar: "Beschiss, das geht gar nicht! Die da oben haben eine Verantwortung, den Laden am Laufen zu halten. Wenn da was gemauschelt wurde, muss es Konsequenzen geben, und dann geht es weiter", sagt sie. "Ich weiß aber auch, dass Audi so gesund ist, das zu überstehen." Vieles, was an Vorwürfen im Raum steht, sei dem Zeitgeist geschuldet. "Es muss immer nur alles schnell gehen, so ist das heute. Die Entscheidungsträger müssten nur den Mumm haben, neue Entwicklungen erst freizugeben, wenn sie wirklich durchgetestet sind."

Die Audi-Führung verweigert jeglichen Kommentar zu den Vorwürfen. Verständlich aus der Sicht des Vorstands, das ist wie vor Gericht. Jede unbedarfte Äußerung könnte einem zum Strick gedreht werden, im laufenden Verfahren zu schweigen ist da zunächst die bessere Strategie. Die Zurückhaltung ist nicht zuletzt Auflagen der US-amerikanischen Behörden geschuldet, nichts nach außen zu geben. In den höheren Etagen stehen viele offenbar zu diesem Kurs. "Es passiert auf unserer Ebene auch sehr viel, um Audi für die Zukunft voranzubringen", sagt ein junger Angestellter aus dem technischen Vertrieb. Deshalb seien viele in seinem Umfeld zuversichtlich. "Das Problem ist, dass die Leute auf den unteren Ebenen nicht sehen, was wir voranbringen. In der Produktion gibt es daher große Verunsicherung."

Die Ängste sind nicht unbegründet. Denn neben dem Diesel-Abgas-Skandal gibt es andere Sorgen. Das Modell Q 5, bisher in Ingolstadt hergestellt, wird nun in Mexiko produziert. Da fehlte es gerade noch, dass der auf demselben Band gebaute A 4 - "unser absolutes Butter-und-Brot-Auto", wie ein Audianer es formuliert - dem Vernehmen nach nicht mehr so gut läuft. Die Bestellungen sollen rückläufig sein, sodass eines der drei Bänder in der Nachtschicht bald wegfallen könnte.

"Die Stimmung bei uns ist schlecht", sagt ein Mittfünfziger, der jeden Abend um 22 Uhr ins Werk einrückt. Manche seiner Kollegen verdrängen das Thema, andere sprechen sich Mut zu. Wird die dritte Produktionslinie tatsächlich aufgelöst, wie es die Führung angeblich plant? "So erzählt man es sich zumindest, aber niemand klärt uns auf. Man fühlt sich ganz schön betrogen von denen da oben. Die bauen solchen Mist, und wir baden das Ganze aus."

Zurück bleiben verunsicherte Mitarbeiter, konkret beschlossen ist aber nichts. Die Betroffenen können nur darauf setzen, dass IG Metall und Betriebsrat ihnen beistehen. Ein Beschäftigungspakt sichert ihre Stellen bis 2018. Wer aber aus der Nachtschicht fällt, muss mit deutlichen Lohneinbußen rechnen, die Zuschläge betragen bis zu 38 Prozent. "Da schaust du ganz schön blöd aus der Wäsche, wenn du gebaut hast und mit dem Geld rechnest", sagt einer der zirka 5000 Arbeiter an den Nachtbändern.

Der früher oft beschworene Audi-Geist scheint manchen abhandengekommen zu sein. In den Chefetagen mag man das bestreiten, aber die Basis sieht das anders. "Ich hab' zum Glück nur noch wenige Jahre, der Rest ist mir wurscht", sagt ein resignierter Bandarbeiter aus dem Umland. Vielleicht war das Wachstum einfach zu schnell, die Ingolstädter Belegschaft stieg in den vergangenen zehn Jahren rasant von etwa 28 000 auf rund 43 000 Beschäftigte an. Audi-Werker aus der Produktion klagen darüber, dass "die Führung mittlerweile viel zu weit weg von uns ist". Dabei betonen die meisten Befragten bei aller Kritik, dass sie ihren Chef Rupert Stadler eigentlich sehr mögen. "Er ist doch einer von uns aus der Region. Es wäre bedauerlich, wenn er gehen müsste. Aber er sollte uns wieder eine Perspektive geben." Gelegenheit dazu bestünde schon bald. Am 5. Oktober ist Stadler als Redner auf der Audi-Betriebsversammlung angekündigt.