"Wandel muss ganz oben beginnen"

17.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:11 Uhr

Personal-Experte Kai Anderson

An der Digitalisierung führt für Unternehmen kein Weg vorbei. Doch bei Mitarbeitern lösen Veränderungen häufig Ängste aus. Der Personal-Experte Kai Anderson erklärt, wie Firmen der Wandel in die neue Zeit dennoch erfolgreich gelingen kann.

Herr Anderson, in dem Buch, das Sie gemeinsam mit Lufthansa-Personalvorstand Bettina Volkens geschrieben haben, fordern Sie eine "humane Digitalisierung". Was ist das - und vor allem: Warum brauchen wir das?

Kai Anderson: Digitalisierung ist ein Thema, das sehr kontrovers diskutiert wird - sowohl öffentlich als auch innerhalb von Unternehmen. Für mich war es erstaunlich zu sehen, wie schnell wir über die Risiken der Digitalisierung diskutieren und wie wenig wir über die Chancen sprechen. Für uns als Buchautoren ist Digitalisierung zunächst mal ein Kulturthema. Sie stellt eine sehr große Veränderung dar - und das löst natürlich Ängste aus. Mit diesen Ängsten müssen wir lernen umzugehen. Wir müssen es schaffen, die Menschen mitzunehmen.

 

Welche Ängste plagen denn die Mitarbeiter?

Anderson: Meist ist der Gedanke: Digitalisierung ist Automatisierung. Und Automatisierung ist Rationalisierung. Und Rationalisierung bedeutet Arbeitsplatzverlust. Dieser Gedankengang findet erstaunlicherweise sogar in Technologieunternehmen statt. Wenn zwei neue Roboter angeschafft werden, macht sich Angst breit. Es heißt: "Das sind die Roboter, die uns jetzt die Arbeitsplätze wegnehmen." Und eben nicht: "Das sind die Roboter, die einen Teil unserer neuen Produkte und Dienstleistungen ausmachen."

 

Und wie kann man den Mitarbeitern diese Angst nehmen?

Anderson: Viele Unternehmen entwickeln inzwischen Digitalstrategien. Das ist gut. Was zu wenig passiert, ist, dass darüber ein vernünftiger Dialog mit den Mitarbeitern geführt wird. Vor zwanzig Jahren war Strategieentwicklung noch so geheim, dass nicht einmal die Mitarbeiter wissen durften, wohin die Reise geht. Da sind wir heute ein Stück weit davon weggekommen. Das reicht aber nicht aus. Man muss darüber mit den Mitarbeitern diskutieren. Und das erleben wir noch zu selten.

 

Wie können Sie Menschen aufmuntern, die Angst haben, dass Ihnen Computer und Roboter die Arbeitsplätze wegnehmen? Worin sind wir Menschen den Maschinen überlegen?

Anderson: Was eine Maschine nicht kann, ist Kreativität. Gestalten. Alles zwischenmenschliche. Empathie ist nichts, was eine Maschine je lernen kann. Das sind die Dinge, die uns immer vorbehalten bleiben.

 

Immer wieder hört man, dass es bei Mitarbeitern heute vor allem auf eine Eigenschaft ankomme: Sie sollen sich permanent verändern können. Ist das nicht etwas, was ein Mensch von Hausaus ungern macht?

Anderson: Ja und nein. Wir wären nicht da, wo wir sind, wenn wir es nicht immer wieder schaffen würden, Dinge auszuprobieren und zu erfinden. Das ist Evolution. Mit dem, was der Mensch an Erfindungen hervorbringt, verändert er seine Umwelt, er verändert sich aber auch selber. Und das ist grundsätzlich erst mal was Positives. Das heißt nicht, dass es nicht Gewinner und Verlierer gibt. Aber in Summe haben wir es geschafft, mit jedem Evolutionssprung mehr Gewinner als Verlierer zu erzeugen. Man muss den Menschen in einem Unternehmen klarmachen: Wo sind die Chancen für das Unternehmen? Und wo sind die Chancen für jeden Einzelnen? Dafür muss man die Leute gewinnen.

 

Warum ist die Fähigkeit zur Veränderung denn so wichtig?

Anderson: Weil Veränderungen immer schneller stattfinden. Und das verändert auch immer stärker die Personalsuche. Noch immer suchen Unternehmen einfach nach einem Programmierer für eine bestimmte Programmiersprache - aber in wenigen Jahren ist die gar nicht mehr aktuell. Ich brauche also jemand, der vielleicht schon drei oder vier Programmiersprachen gelernt hat. Jemand, bei dem ich mir sicher sein kann, dass er auch die nächsten Sprachen lernt.

 

Geht es heute noch ohne digitale Kompetenzen?

Anderson: Nein. Die digitale Kompetenz wird in Zukunft immer wichtiger werden. Man muss in der Lage sein, die entsprechenden Technologien zu bedienen. Diese Kompetenz müssen Unternehmen in der Breite ihrer Mannschaft herstellen.

 

Hören Sie häufig den Satz: "Das haben wir aber doch schon immer so gemacht."?

Anderson: Eigentlich gar nicht so häufig. Das Thema Veränderungsfähigkeit hat mittlerweile schon Einzug in die Unternehmen gehalten. Natürlich haben sie in Organisationen auch immer wieder Beharrungsmomente. Grob geschätzt, können sie 20 Prozent der Mannschaft, sehr schnell begeistern - die warten nur darauf, dass was passiert. Und genauso haben sie zwischen 10 und 20 Prozent, die sagen: "Oh Gott! Da kommen die Nächsten, die hier irgendwas verändern wollen. Da lehnen wir uns mal locker zurück und warten, bis der Zug an uns vorbeigefahren ist." Und der Großteil der Mannschaft wartet erst mal ab und schaut, was die Konzernleitung macht.

 

Und bewegen Sie die Mitarbeiter dazu, den Wandel anzunehmen?

Anderson: Wandel muss ganz oben beginnen. Die Mitarbeiter wollen wissen, dass es der Führung ernst damit ist. Veränderung kann man nicht einfach delegieren. Man muss auch deutlich machen: Es gibt keine Alternative zu dieser Veränderung. Und dann schafft man es hoffentlich, einen Großteil der Organisation von der Notwendigkeit zu überzeugen und in den Prozess mit einzubinden. Und am Ende machen auch die letzten 10 oder 20 Prozent mit, weil sie nicht die Spielverderber sein wollen.

 

Sie finden, man solle die Menschen mit der Digitalisierung "glücklicher machen". Wie geht das denn?

Anderson: Digitalisierung ist ja kein Selbstzweck. Die Digitalisierung kann uns ähnlich wie die Industrialisierung Arbeit abnehmen, die uns nicht unbedingt glücklich macht. Die Industrialisierung hat uns schwere körperliche Tätigkeiten abgenommen. Natürlich waren die schlesischen Weber nicht glücklich über den mechanischen Webstuhl, weil sie ihre Arbeit verloren haben. Aber in Summe hat die Industrialisierung mehr Wohlstand gebracht und uns von ungesunden Arbeiten befreit. Auch der Buchdruck hat uns in Summe deutlich vorangebracht - und so wird das auch mit der Digitalisierung sein. ‹ŒDK

 

Das Gespräch führte Sebastian Oppenheimer.