München
Hacker bei der Justiz?

Im Münchner Audi-Prozess um den Dieselbetrug wurde mindestens eine vertrauliche E-Mail abgefischt

24.03.2021 | Stand 23.09.2023, 17:37 Uhr
  −Foto: Armin Weigel/dpa

München - Im Münchner Audi-Prozess rund um den Dieselbetrug haben sich Hacker möglicherweise Zugriff zu E-Mail-Konten der Justiz verschafft.

 

Darauf wies einer der Verteidiger diese Woche hin und forderte die übrigen Verfahrensbeteiligten auf, ihre PC-Systeme schnellstmöglich auf eine eventuelle Kompromittierung zu überprüfen. Neben Gericht oder Staatsanwaltschaft könnte das Datenleck auch in den Kanzleien der übrigen Verteidiger aufgetreten sein.

Claus Erhard ist neben Maximilian Müller einer von zwei Verteidigern des Angeklagten Henning L. Er berichtete am Dienstag, dem mittlerweile 33. Verhandlungstag, davon, kürzlich die E-Mail eines Unbekannten bekommen zu haben. Der Absender habe nichts mit dem Prozess zu tun. Trotzdem beinhaltete die elektronische Nachricht im Anhang - neben Schadsoftware - die Kopie eines Schriftstücks, das Erhard und sein Kollege Müller aus ihrer Münchner Kanzlei heraus an die für das Verfahren zuständige Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München II, die Staatsanwaltschaft und ihre Verteidigerkollegen geschickt hatten. "Das hat wie eine Antwort auf unsere eigene Mail ausgesehen und sollte uns offenbar dazu verleiten, den Anhang zu öffnen", sagte Erhard unserer Zeitung.

Das hatte man in der Kanzlei jedoch wohlweislich unterlassen und umgehend die zuständigen IT-Fachleute kontaktiert. Sie kamen zu dem Schluss, dass das Leck anderswo sein muss. "Ich finde das einigermaßen besorgniserregend", erklärte Verteidiger Müller und bat die übrigen Prozessbeteiligten, ihre eigenen Systeme auf Eindringlinge oder Datenlecks überprüfen zu lassen. Neben seinem Mandanten sind dessen früherer Chef Giovanni P. , Ex-Porsche-Vorstand und der frühere Audi-Motorenchef Wolfgang Hatz sowie Ex-Audi-Chef Rupert Stadler unter anderem wegen Betrugs angeklagt. Es geht um Dieselautos, die durch Erkennungssoftware auf der Rolle bessere Abgaswerte lieferten als auf der Straße.

Hatz und seine Freiburger Verteidiger Gerson Trüg und Jörg Habetha gingen diese Woche nach den Verhandlungstagen 33 und 34 in dem Mammutprozess zufrieden nach Hause. Anlass dafür waren Aussagen eines in der Abgasnachbehandlung bei Audi tätigen Zeugen, der Hatz klar entlastete. Es geht um ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten, wonach zu Hatz' Zeiten Software für die Abgasnachbehandlung bei Dieselfahrzeugen entwickelt worden sein soll, die eine oder mehrere Testerkennungen enthielt - in der Anklage ist das der Hauptvorwurf gegen den 62-Jährigen.

Der von der Anklagebehörde bestellte Experte habe seine Stellungnahme aber zu einem Datensatz mit der Versionsnummer 0110 abgegeben, die erst um 2013, rund vier Jahre nach Hatz' Weggang von Audi, entwickelt worden war, hatten die Anwälte moniert. Entscheidend ist für die Verteidiger der Aspekt, dass die Softwareversion in der Zeit, als ihr Mandant die Verantwortung trug, keinerlei Steuerung zur Unterscheidung zwischen dem Betrieb auf der Rolle und der Straße besaß. Sie lief unter der Bezeichnung 040. Genau da hakte Jörg Habetha diese Woche nach und erhielt von dem Zeugen die Bestätigung: Version 040 war völlig ohne Testerkennung, 0110 enthielt eine solche. Deshalb bedürfe es eines neuen Gutachtens, lautet ein Antrag der Anwälte. Eine Bewertung dazu durch das Gericht fehlt noch.

Die Kammer widmete sich am Mittwoch stattdessen dem Ablehnungsantrag mehrerer Verteidiger, was ein vom Gericht angeordnetes Selbstleseverfahren für eine Vielzahl von Akten betrifft. Insbesondere die Verteidigung von Rupert Stadler, Thilo Pfordte und Ulrike Thole (München), hatten das als ungeeignet moniert - etwa weil einige Dokumente auf für Selbstleser unzugängliche Illustrationen oder andere Dinge verweisen würden. Das Gericht wies den Einwand als "unbegründet" ab.

Der übrige Tag war geprägt vom unkommentierten Sichten diverser Bilder, Grafiken und Tabellen. Das Blättern auf der Leinwand zog sich über Stunden hin, den Sinn dahinter verstand nicht jeder. "Ich dachte, unserer Rechtssystem habe sich seit dem Mittelalter weiterentwickelt", meinte ein Anwalt kopfschüttelnd. Der Prozess geht am Dienstag weiter.

DK

 

Horst Richter