Ingolstadt
"Die Diesel-Affäre hat einen traurigen Höhepunkt erreicht"

Automobilexperte Stefan Bratzel über die Festnahme von Audi-Chef Rupert Stadler und die Folgen für die deutschen Autobauer

18.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:13 Uhr
Stefan Bratzel gilt als einer der profiliertesten Automobilexperten in Deutschland. Er leitet das Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. −Foto: dpa

Ingolstadt (DK) Automobilexperte Stefan Bratzel über die Festnahme von Audi-Chef Rupert Stadler und die Folgen für die deutschen Autobauer

Herr Bratzel, erstmals ist in der VW-Affäre der amtierende Chef eines Autokonzerns festgenommen worden. Hat der Diesel-Skandal damit eine neue Qualität bekommen?

Stefan Bratzel: Wenn ein führender Manager der deutschen Autoindustrie in Untersuchungshaft genommen wird, hat das natürlich schon eine neue Qualität. Fast drei Jahre nach dem Bekanntwerden hat die Diesel-Affäre damit einen neuen Höhepunkt erreicht - einen traurigen Höhepunkt. Der Punkt ist: Die Abgas-Affäre ist noch nicht zu Ende und noch nicht vollständig aufgearbeitet. Das zeigen ja auch die Ermittlungen bei Daimler und die Rückrufe.



Warum zieht sich die Diesel-Affäre denn so lange hin?

Bratzel: Das hat verschiedene Gründe. Einerseits haben wir eine komplexe Thematik. Die Staatsanwaltschaften bemühen sich ja schon seit Langem, auch mithilfe von Durchsuchungen die ganzen Papiere und Unterlagen zu bekommen. Aber die Rechtsanwälte der Unternehmen haben auf der anderen Seite auch häufig Einspruch gegen die Analyse dieser Daten eingelegt. Das muss man auch klar sagen. Und das ist natürlich auch ein Grund, warum es so lange dauert , diese Unterlagen zu sichten.



Was bedeutet es für das Unternehmen Audi, wenn Vorstandschef Rupert Stadler in U-Haft sitzt?

Bratzel: Das ist eine große Belastung für das Unternehmen, aber auch für die Mitarbeiter. Natürlich sind die Mitarbeiter verunsichert und fragen sich, wie das jetzt weitergeht. Es gibt ja neben der Diesel-Affäre - die aufgearbeitet werden muss - andere wesentliche Themen, die angegangen werden müssen, damit Audi auch in Zukunft ein wichtiger Automobilhersteller bleibt. Themen wie E-Mobilität, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen müssen weiter laufen. Eine solche Affäre mit einer so symbolträchtigen Aktion wie der Festnahme des Vorstandschefs kann das Unternehmen auch lähmen. Und das darf nicht passieren in einer Zeit, in der so viele neue Themen angegangen werden müssen.



Ist denn vorstellbar, dass Herr Stadler in sein Amt zurückkehrt, wenn sich herausstellen sollte, dass er unschuldig ist?

Bratzel: Das ist eine sehr schwierige Frage. Zum einen gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Der Betrugsvorwurf muss ja erst bewiesen werden. Auf der anderen Seite muss die Staatsanwaltschaft schon starke Hinweise haben, dass er in die Affäre verwickelt ist. Sonst würde ein Richter sicher nicht den Haftbefehl unterschreiben. Wenn Rupert Stadler wirklich in die Diesel-Affäre verwickelt sein sollte, wird er als Unternehmenschef nicht zu halten sein. Aber auch wenn er am Ende eines Verfahrens freigesprochen wird, kann ich mir nicht so recht vorstellen, dass er Unternehmenschef bleibt.



Ist die Festnahme Stadlers auch eine Belastung für die deutsche Autoindustrie als Ganzes?

Bratzel: Natürlich ist das ein schwarzer Tag für die deutsche Autoindustrie. So eine Aktion hat Ausstrahlungseffekte. Es laufen ja weitere Ermittlungen,, in Stuttgart beispielsweise. Die Festnahme wird große Besorgnis auch bei den anderen Automobilherstellern auslösen.



Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat sich darüber beklagt, dass nur Deutschland die Diesel-Affäre so streng verfolgt, während andere Staaten ihre Autofirmen schonen. Sind wir Deutschen wieder mal überkorrekt?

Bratzel: Naja, das gilt zumindest nicht für Amerika. Aber ansonsten liegt da schon ein Stück Wahrheit drin. Es ist für mich ein Skandal, dass in einigen europäischen Staaten den Verdachtsmomenten, die ja durch Abgasmessungen ans Licht kamen, nicht stärker nachgegangen wird. Das Bundesverkehrsministerium hat ja auch sehr lange gezögert. Aber noch weniger ist in Italien und Frankreich passiert. Das ist eigentlich nicht haltbar. Und das versteht auch die Bevölkerung nicht.

Die Fragen stellte Johannes Greiner.

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