„Jede Woche Hinweise“
Handwerkskammer schlägt Alarm: Schwarzarbeit boomt

22.09.2022 | Stand 22.09.2022, 16:05 Uhr

Die Schattenwirtschaft im Handwerk nimmt Experten zufolge deutlich zu. −Foto: Charisius, dpa

Von Felix Flesch

Die Schwarzarbeit ist massiv auf dem Vormarsch, beklagt die Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz. Arbeitsmarktforscher gehen wegen der Inflation von einer weiteren Zunahme aus. Der Zoll will indes keine „Aussage zu einer Tendenz“ abgeben. Wieso?



„Es ist ein dringendes Thema, das zeigen die Zahlen und das Feedback unserer Mitgliedsbetriebe“, sagt Handwerkskammerpräsident Dr. Georg Haber. „Jede Woche erreichen uns Hinweise.“ Die Handwerkskammer gehe diesen zwar nach. „Doch bis zu einem gewissen Punkt sind uns die Hände gebunden“, sagt Haber. „Nur wenn wir als Behörden gemeinsam an einem Strang ziehen, können wir Schwarzarbeit eindämmen und ihre Folgen ausbremsen.“ Die Handwerkskammer hatte deshalb jüngst zum „Runden Tisch Schwarzarbeit“ eingeladen. Mit Vertretern der Städte, Landkreise und des Hauptzollamts wurde über die sogenannte „handwerksrechtliche Schwarzarbeit“ diskutiert.

Handwerkskammer: 291 Fälle von Schwarzarbeit

Auf Nachfrage unserer Zeitung veröffentlicht die Kammer die Zahlen, die ihrem Präsidenten Kopfschmerzen bereiten: 2017 wurden 168 Fälle von Schwarzarbeit im Handwerk entdeckt. Im darauffolgenden Jahr waren es 185 Fälle. Im vergangenen Jahr schnellte die Zahl auf 291 hoch. „Das sind nur die Fälle, bei denen wir auch Beweise hatten“, erklärt Andreas Keller, HWK-Bereichsleiter Beratung. „Die Zahlen enthalten keine anonymen Hinweise, denen die Handwerkskammer in der Regel nicht nachgehen kann, weil wir ohne Beweismaterial nicht tätig werden können.“

Außerdem seien es nur die Fälle, die bei der Kammer aufgeschlagen sind. „Es gibt auch Anzeigen bei den Landratsämtern, die nicht über die Handwerkskammer gehen.“ Im vergangenen Jahr belief sich die Summe der Bußgeldbescheide auf knapp 50000 Euro, es gab 16 Unterlassungserklärungen und rund 1700 Stunden Schwarzarbeit im Handwerk.

„Wir brauchen mittel- und langfristig effiziente Lösungen“, sagt Haber. Die handwerksrechtliche Schwarzarbeit sollte nicht als Kavaliersdelikt gesehen werden. „Sie muss neben der steuerlichen Schwarzarbeit ernst genommen und entsprechend sanktioniert werden.“ Eine stärkere Vernetzung der einzelnen Behörden wurde beim Runden Tisch als Wunschziel geäußert. Laut Handwerkskammer beklagten die Vertreter der Landratsämter, dass sie nur „sehr wenig Kapazitäten“ haben.

Inflation und Konjunktur heizen Schwarzarbeit weiter an

Die Arbeitsmarktforscher Bernhard Boockmann vom Institut für angewandte Wirtschaftsforschung der Universität Tübingen und sein Linzer Kollege Friedrich Schneider erwarten, dass die hohe Inflation und die schwächere Konjunktur die Schwarzarbeit in Deutschland spürbar anheizen. Die beiden Faktoren machten es für Anbieter schwieriger, ihre höheren eigenen Kosten auf die Kunden zu überwälzen. Das steigere beispielsweise im Handwerk den Anreiz, durch Angebote ohne Steuern und Sozialabgaben niedrigere Preise anzubieten.

Die Arbeitsmarktforscher errechnen seit 1997 aus verschiedenen Daten regelmäßig den Anteil der Schwarzarbeit an der Gesamtwirtschaft. Im Jahr 2003 hatte die Schattenwirtschaft danach mit einem Anteil von 16,7 Prozent gemessen am offiziellen Bruttoinlandsprodukt (BIP) einen Höhepunkt erreicht. Bis zum Jahr 2021 ist das Volumen der Schwarzarbeit nach den Berechnungen auf 9,5 Prozent des BIP gesunken, das entsprach 338 Milliarden Euro.

Zoll: „Die Schwarzarbeit hat viele Facetten“

Das Hauptzollamt Landshut, dessen Zuständigkeitsbereich sich auf ganz Niederbayern und die oberbayerischen Landkreise Erding, Dachau und Freising erstreckt, kümmert sich um das Thema Schwarzarbeit. Den Trend, dass sich diese erhöht, kann das Hauptzollamt nicht bestätigen. „Die Schwarzarbeit hat viele Facetten und die Bekämpfung kann nicht an einer konkreten Zahl abgelesen werden“, heißt es auf Anfrage. Eine „belastbare Aussage“ sei nicht möglich. Wichtig: Der Zoll ist für die gesamte Schwarzarbeit zuständig, nicht nur für die handwerkliche.

Auf Nachfrage konkretisiert der Zoll das Problem mit den Zahlen: Kleinere Verstöße wie beim Mindestlohn ließen sich schnell abarbeiten. Komplexe Verfahren ziehen teils monatelange Ermittlungen nach sich. Dadurch seien einerseits Ressourcen gebunden, andererseits rutschten die Ergebnisse teils in eine andere Jahresstatistik. Ein Blick auf die Jahre 2020 und 2021 zeigt genau das: In den Tabellen des Zolls, die unserer Zeitung vorliegen, ist unter anderem von der „Schadenssumme im Rahmen der Ermittlungen“ die Rede. Diese lag 2020 bei knapp 25 Millionen Euro, 2021 bei fast 8 Millionen – was aber nicht heißt, dass die Schwarzarbeit im letzten Jahr deutlich zurückging.

− pnp/dpa