Die harten Beweise fehlen
Dieselbetrugsprozess: Audi wollte alleinige Schuld auf zwei Entwickler abwälzen

22.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:01 Uhr

Ex-Audi-Chef Rupert Stadler bestreitet im Dieselbetrugsprozess jede Schuld. Foto: Kneffel, dpa

Von Horst Richter

Gerade ist Pfingstpause, aber 120 Tage sind geschafft. Oft sehr lange Tage, anstrengend und „technikgeschwängert“ mit detaillierten Erklärungen über komplexe Abgassysteme moderner Automobile.

Andere erschienen dagegen ebenso inhaltslos wie unnötig, weil geladene Protagonisten – trotz ansonsten geistiger Frische – auffallend viele Erinnerungslücken geltend machten. Oder weil sie fachlich gar nichts beitragen konnten. All das hat der Münchner Dieselbetrugsprozess um verbotene Abschaltvorrichtungen in Audi-Fahrzeugen bereits gesehen, zwei Drittel der geplanten 181 Termine sind erledigt. Wie es ausgeht, bleibt indes weiter offen, auch wenn das Gericht vorsichtige Andeutungen gemacht hat.

Das Mammutverfahren findet im Hochsicherheitssaal des Landgerichts München II an der Stettnerstraße statt – letztere benannt nach dem ehemaligen Scharfrichter Simon Stettner. Eine gewisse Symbolik ist nicht von der Hand zu weisen, auch wenn heutzutage keiner mehr eine Hinrichtung befürchten muss. Eine Zurschaustellung, wie sie einst bei solchen Ereignissen üblich war, bedeutet der Prozess allemal. Denn die Staatsanwaltschaft hat die Zusammensetzung der vier Angeklagten wohl sehr bewusst so gewählt, um die Hierarchien abzubilden: Hier die Ex-Entwickler Henning L. und Giovanni P. als mutmaßliche Erschaffer der Betrugstechnik, dort der frühere Audi-Motorenchef und ehemalige Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz als möglicher Drahtzieher in der Führung und nicht zuletzt Ex-Audi-Chef Rupert Stadler, der Autos mit manipuliertem Abgassystem noch verkauft haben soll, als der Skandal längst aufgeflogen war.

L. und P. räumen ein, an den Machenschaften beteiligt gewesen zu sein – aber nur, weil das von der Führung mehr oder weniger so vorgegeben worden sein soll. Wolfgang Hatz bestreitet das vehement, unter seiner Regie habe es solche Betrügereien nicht gegeben, sagt er. Er sei zudem im September 2009 bei Audi ausgeschieden, die Abschaltvorrichtungen in der Abgastechnik seien erst danach auf den Markt gekommen.

Die Anklage lautet unter anderem auf Betrug, weil Dieselfahrzeuge auf der Rolle, also im Testmodus, gesetzlich vorgegebene Grenzwerte einhielten, auf der Straße aber nicht. Insgesamt 434420 Fahrzeuge sollen betroffen sein. Ihr Verbrauch von Adblue, einer zum Stickoxidabbau eingesetzten Harnstofflösung, war im Straßenbetrieb für den vollen „Fahrspaß“ über Lenkwinkelerkennung, Motordrehzahl, Geschwindigkeit oder Zeitvorgaben reduziert worden, stellte ein Gutachter fest. Fast alle bis in die Audi-Spitze hinauf sollen davon gewusst haben.

Das bestreiten Hatz und Stadler. Der Ex-Audi-Chef sagt, er habe alles dafür getan, für Aufklärung zu sorgen, als die Sache im September 2015 in den USA aufgeflogen war. Das haben etliche Zeugen tatsächlich so bestätigt, auch aus dem Führungskreis. Das Gericht hörte aber auch davon, wie sich die Aufarbeitung über Jahre hinzog als hätte man alle Zeit der Welt. Derweil hatte Audi in Europa weiter Dieselautos mit illegaler Abschalttechnik verkauft.

Sichergestellte Unterlagen und abgehörte Telefonate belegen weiter, wie der Konzern den Dieselskandal still und leise unter den Teppich kehren wollte. Man baute auf politische Verbindungen, war in Gesprächen mit den Justizministerien der Länder und glaubte, mit „Settlements“ alles bereinigen zu können – als würden für Audi und VW keine Gesetze gelten.

Die Führung hatte schnell Giovanni P. und einen weiteren Entwickler als – aus ihrer Sicht – alleinige Sündenböcke ausgemacht. Rupert Stadler bezeichnete sie in einem abgehörten Telefonat als zwei „Pinkelbrüder“. Audi wollte sie mundtot machen, dazu hatte man 700 Seiten zusammengestellt, an denen sich jeder die Zähne ausbeißen werde, hieß es in dem Gespräch zwischen dem Ex-Audi-Chef und dem damaligen Leiter der Kommunikation.
Nach weit mehr als eineinhalb Jahren Verfahrensdauer fehlen aber weiter wirklich starke Beweise, die eine Schuld der Ex-Manager Hatz und Stadler belegen würden. Das Gericht könnte am Ende freilich auf eine Indizienkette setzen und viele kleine Beweisanzeichen zur Begründung eventueller Schuldsprüche zusammenfassen. In einer vorläufigen und vorsichtig formulierten Beweiswürdigung hatte die Strafkammer jedenfalls erklärt, dass bei Motoren von Audi und VW tatsächlich Betrugstechnik verbaut worden sein dürfte und die Angeklagten L., P. und Hatz „diejenigen Maßnahmen, die diese Ausgestaltung der Software bewirkten, auch willentlich veranlasst haben“ dürften, hieß es. Ebenso dürften sie „zumindest die Möglichkeit erkannt haben“, dass derart ausgestattete Autos einen Verstoß gegen US-Vorschriften bedeuteten. Der Prozess geht am 21. Juni weiter.

DK