Von Horst Richter
Die Enttäuschung bei einem der vier Angeklagten im Dieselbetrugsprozess war riesengroß, als Stefan Weickert am Dienstagnachmittag ein dreiseitiges Schreiben verlesen hatte. Im Schnelldurchgang – und im Zuschauerraum hinten mitunter kaum verständlich – machte der Vorsitzende Richter der 5. Großen Strafkammer am Landgericht München II alle Hoffnungen von Henning L. zunichte, eine Einstellung des Strafverfahrens in seinem Fall zu erreichen. Das hatten seine Anwälte bereits vor fünf Wochen beantragt.
Henning L. sei zugleich der „Whistleblower“, aber auch Aufklärer und Kronzeuge in diesem Verfahren gewesen, hatte sein Verteidiger Maximilian Müller bei seinem Vorstoß erklärt. Das Verfahren hätte ohne Zutun des 54-jährigen promovierten Chemikers so nicht stattfinden können. Sein Mandant habe nicht nur Aufklärungshilfe geleistet, wie illegale Software in Audi-Dieselautos gelangte, sondern darüber hinaus die Verantwortung für das eigene Handeln übernommen. „Sein Mut muss belohnt werden. Eine Einstellung wäre ein wichtiges Signal auch für künftige mögliche Hinweisgeber“, hatte Müller gesagt. Selbst Staatsanwalt Nico Petzka hatte sich diesem Antrag angeschlossen und L.s Verhalten positiv hervorgehoben. Der Angeklagte habe „eine deutlich herausgehobene und zu honorierende Rolle“, sagte Petzka.
Doch das Gericht wollte da nicht mitmachen. Die Strafkammer habe zwar alle von der Verteidigung genannten „erheblichen Strafmilderungsgründe“ in ihre Erwägungen eingebunden, sagte der Vorsitzende Richter Stefan Weickert. Sie sei jedoch der Auffassung, dass „der übrige Schuldgehalt“, der zugrunde liegende Schaden und der „nicht mehr unerhebliche Tatzeitraum“ zwar nach derzeitiger Sach- und Rechtslage nicht zu einer Vollzugsstrafe führen dürften. Andererseits sei die Schuld des Angeklagten doch so hoch, dass sie einer Einstellung des Falls aus Sicht des Gerichts weiterhin entgegenstehe. Henning L. muss sich also weiter neben seinem damaligen Chef Giovanni P., dem früheren Audi-Motorenchef und einstigen Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz sowie Ex-Audi-Chef Rupert Stadler wegen Betrugs vor Gericht verantworten.
Die Frage lautet noch immer: Wie konnten Dieselfahrzeuge auf der Testrolle gesetzeskonforme Abgaswerte liefern, während sie auf der Straße durch illegale Schalttechnik oft über dem Zulässigen lagen? In dieser Sache gab das Gericht am Dienstag nach monatelangen Zeugenbefragungen erstmals eine Einschätzung ab und bewertete die bisherige Beweiserhebung des seit September 2020 laufenden Prozesses, dem ersten auf deutschem Boden im Dieselskandal. Demnach sollen Hatz und seine früheren Untergebenen L. und P. „diejenigen Maßnahmen, die diese Ausgestaltung der Software bewirkten, auch willentlich veranlasst haben“, las Weickert vor. Sie dürften dabei erkannt haben, gegen US-Recht verstoßen zu haben. Diese Entscheidung des Gerichts zeigt auf, in welche Richtung ein mögliches Urteil am Ende gehen könnte – im Moment tendiert es hin zu Schuldsprüchen.
DK
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