Von E503 bis Citrusfasern
Zusatzstoffe und Zusätze: Das steckt in unseren Lebensmitteln

11.10.2021 | Stand 23.09.2023, 21:15 Uhr
Mit Hilfe von Fototapeten soll im Deutsche Zusatzstoffmuseum ein Supermarkt mit verschiedenen Bereichen nachgebildet werden. "Da wir ein Museum mit rund 130 Quadratmetern Ausstellungsfläche sind, können wir keinen echten Regale zeigen", sagt Museumsleiter Christian Niemeyer. −Foto: Deutsches Zusatzstoffmuseum

Wie bekommen die Gummibärchen ihre Farbe? Warum haben Fertiggerichte einen so herzhaften Geschmack? Und wieso ist in einem Apfeltee oft gar nicht so viel Frucht, wie wir im ersten Moment vermuten? Das Deutsche Zusatzstoffmuseum in Hamburg gibt auf diese und weitere Fragen Antworten. Museumsleiter Christian Niemeyer hat mit unserer Zeitung über die Ausstellung und die Trends bei Zusatzstoffen sowie Zusätzen gesprochen.

Christian Niemeyer ist sich sicher: "Von einem Lebkuchen aus dem Supermarkt wird man nicht gleich high." Außergewöhnlich glücklich kann uns das weihnachtliche Gebäck, das nun wieder in den Regalen zum Verkauf steht, aber allemal machen. Und das liegt an den Zusätzen, die darin enthalten sind. Der 49-jährige Biologe muss es wissen. Denn er beschäftigt sich schon lange mit Zusätzen in Lebensmitteln.

Seit 2009 leitet er das Deutsche Zusatzstoffmuseum, das ein Jahr zuvor gegründet worden war. Der Hamburger Großmarkt als Standort für die exotische Ausstellung ist damals ganz bewusst gewählt worden, da zum einen die Mieten dort günstiger sind und andererseits der Großmarkt nach Möglichkeiten suchte, sich mehr in der Öffentlichkeit zu präsentieren. "Deshalb wurde im selben Jahr auch ein Schülerlabor eröffnet, das sich mit Küchenchemie beschäftigt hat." Dieses Labor ist mittlerweile wieder geschlossen. Das von einer gemeinnützigen Stiftung getragene Museum verfolgt nach wie vor das Ziel, über Zusatzstoffe und Zusätze in Produkten aufzuklären. Man gehe davon aus, dass die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher gar nicht wüssten, was in den einzelnen Lebensmitteln enthalten ist, erklärt der Museumsleiter die Motivation.

Das erwartet einen im Zusatzstoffmuseum

Wer im Deutschen Zusatzstoffmuseum allerdings viele Objekte zu diesem Thema erwartet, wie man es von anderen Museen gewohnt ist, sucht vergeblich. Vor allem Kataloge von Herstellern und Texttafeln bieten Informationen. "Unser Thema ist also die Vermittlung." Eine Zeitleiste klärt beispielsweise über die Verwendung von Zusätzen einst und jetzt auf. Man kann erfahren, welche Inhalte früher verwendet wurden und mittlerweile verboten sind. In einem Ausstellungsraum ist auch ein Supermarkt mit Hilfe von Fototapeten nachgebaut worden. In den einzelnen Abteilungen werden passende Zusätze erklärt. "Bei den Süßwaren widmen wir uns beispielsweise den Farbstoffen." Zwei Lebensmittelchemiker haben dafür bei der Gründung des Museums ihr Wissen einfließen lassen. Vor einiger Zeit habe man außerdem eine Zusatzstoffkasse etabliert, mit deren Hilfe man Produkt-Dummys wie im Supermarkt scannen und anstelle eines Kassenzettels einen Zettel mit Zusatzstoffen ausdrucken könne.

Ganz auf Ausstellungsstücke verzichten müssen die Besucherinnen und Besucher aber nicht. Einige Zusätze sind in ihrer Form für das Labor zu sehen. Deshalb werden immer wieder Fachmessen besucht, um an Muster für Industriekunden zu kommen. Eine weitere Quelle ist der reguläre Laborhandel. "Die eher weißen Pulver und die durchsichtigen Flüssigkeiten ziehen die meisten Besucherinnen und Besucher allerdings nicht wirklich an", gibt Niemeyer zu. Für die Anschaulichkeit sind diese aber durchaus sinnvoll. Und diese Stoffe brauchen Pflege.

Denn einige müssen immer wieder ausgetauscht werden - "das ist wie bei einer Restauration in einem anderen Museum". Ein feuerroter Farbstoff beispielsweise bleicht irgendwann aus, es entstehen graue Kügelchen, das Exponat muss ersetzt werden. Schließlich will das Museum keine Verwirrung stiften, sondern fehlerfreie Informationen bieten. Deshalb wird auch nicht nur über Zusatzstoffe - das sind juristisch die E-Nummern wie E170 oder E509 auf den Zutatenlisten der Produkte - informiert, sondern auch über Zusätze. Zum Beispiel Hefeextrakt. Der Geschmacksverstärker wird unter anderem bei der Produktion von Chips oder Fertiggerichten eingesetzt - "immer dann, wenn man einen herzhaften, fleischigen Geschmack haben will," erklärt Christian Niemeyer. Auch Citrusfasern, die industriell hergestellt werden, kommen häufiger vor - beispielsweise im Eis, um die Cremigkeit zu erhöhen.

Immer mehr Zusätze, immer weniger Zusatzstoffe

Seit einigen Jahren beobachtet der Experte den Trend, dass Hersteller immer mehr solcher Zusätze, aber immer weniger Zusatzstoffe - also E-Nummern - einsetzen. "Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben sich mittlerweile an die E-Nummern gewöhnt, eigentlich sind sie hinreichend erforscht." Allerdings sei der Klang der Zusätze oft besser, die Produkte verkauften sich deshalb leichter.

Nicht nur wegen dieser neuen Namen, sondern auch wegen der immer länger werdenden Listen auf den Verpackungen ist dann allerdings die Verwirrung groß. Die Besucherinnen und Besucher - im Deutschen Museum für Zusatzstoffe sind es ungefähr 2000 bis 3000 pro Jahr - seien oft überrascht, welche Inhaltsstoffe wofür eingesetzt werden. "Die meisten sagen, dass die Informationen hier ja nur das Minimum sind, was man für den Einkauf wissen muss." Niemeyer sieht sich deshalb in seiner Arbeit bestätigt. Zwar gebe es durchaus Besucherinnen und Besucher, die sich schon vorher mit Lebensmitteln und den Inhaltsstoffen beschäftigt hätten. Das Museum möchte aber eine bodenständige, neutrale Darstellung bieten, die Menschen sozusagen im Supermarkt abholen. Vorwissen in Chemie oder Lebensmitteltechnik braucht es also nicht. "Die meisten, zum Beispiel Schulklassen, Kegelvereine oder Gruppen vom Fach, bekommen eine Führung, um es besser zu verstehen." Große Konzerne wie Nestlé oder Unilever zeigen an der Ausstellung bislang wenig Interesse. Dafür sei man einfach zu klein.

Online-Angebote in der Corona-Pandemie

Um als solch kleines Museum während der Corona-Pandemie dennoch für Interessierte attraktiv zu bleiben, entwickelte man Online-Angebote, die es vorher noch nicht gab. "Wir hatten uns eine Mischung überlegt. Es wurden den Menschen Pakete nach Hause geschickt, um dann online mit ihnen über die Dinge zu sprechen." Das habe man unter anderem mit Farbstoffen gemacht. Aufgrund der positiven Resonanz wird dieses Angebot auch in Zukunft bleiben und ausgebaut werden - obwohl die Ausstellung wieder regulär geöffnet ist. Des Weiteren soll es einen neuen Themenraum geben. In ihm wird auf spielerische Weise zu sehen sein, inwiefern sich die heimische Küche von den großen Produktionsstätten der Industrie unterscheidet.

Bleibt noch die Frage, warum uns Lebkuchen besonders glücklich machen: Hirschhornsalz - ursprünglich wurde es aus dem Horn von Tieren gewonnen, heute wird es chemisch hergestellt und trägt die E-Nummer 503 - wird dabei häufig als Backtriebmittel eingesetzt. "Beim Erhitzen wird Ammoniak ausgetrieben." Das reagiert mit den weihnachtlichen Gewürzen wie Zimt oder Kardamom. Die Folge: Es entstehen stimmungsaufhellende Amphetamine. Aber Angst vor einer Überdosis brauche niemand zu haben, versichert Niemeyer.

DK

Lina Schönach