Japan will klimaneutral werden - USA stehen damit als rückständig da

Das ganze Land horcht auf

30.10.2020 | Stand 12.10.2023, 10:17 Uhr
Felix Lill
Der Klimawandel wird künftig unter anderem weltweit für mehr Wetterextreme sorgen. Hier sieht man die Zerstörungen durch einen Tsunami im japanischen Ort Kesennuma vor einigen Jahren. −Foto: Mayama, EPA-Archiv

Auch Japan ist jetzt dabei: Neben der Europäischen Union wollen nun die größten Volkswirtschaften Asiens in den kommenden Jahrzehnten klimaneutral werden. Die USA stehen damit als rückständig da.

"Ich erkläre hiermit, dass wir uns bemühen, eine CO2- freie Gesellschaft zu werden." Als Yoshihide Suga Anfang der Woche diese Worte vorm japanischen Parlament aussprach, horchte erstmal das ganze Land auf. Seit seinem Amtsantritt vor einem guten Monat ist Japans Premierminister kaum durch eigene Visionen aufgefallen, wirkte eher wie ein beförderter Topbürokrat, der nur bereits beschlossene Ziele umsetzen will. Nun aber sorgt er mit dieser neuen Marschroute für einen Paradigmenwechsel.

Für Japan, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist dies keine Übertreibung. Die ostasiatische Industrienation ist der weltweit fünftgrößte Emittent von Kohlenstoffdioxid und hat sich bei internationalen Klimaverhandlungen kaum als Motor für Fortschritt hervorgetan. Eher zählte Japan bisher zu den größten Sündern, was die Nichteinhaltung der selbstverpflichtenden Vereinbarungen angeht. Jetzt aber soll das Land laut dessen konservativen und wirtschaftsnahen Premier Suga bis 2050 klimaneutral werden.

Sugas neue Haltung klingt so wie die der EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen, die seit einem guten Jahr aus ganz Europa den globalen Vorreiter machen und bis 2050 eine klimaneutrale Ökonomie realisiert haben will. Grünes Wirtschaften sei eine Chance. "Wir müssen zur Einsicht gelangen, dass deutliche Maßnahmen gegen den Klimawandel auch unsere industriellen Strukturen verändern werden und so neues Wachstum bringen", verkündete Suga am Montag. "Auf den Klimawandel zu reagieren ist keine Wachstumsbremse mehr."

Ein riesiger Kraftakt wird es allemal. Seit dem atomaren Reaktorunfall von Fukushima im Jahr 2011 wurden die meisten der einst 54 Atomreaktoren im Land abgeschaltet, seitdem werden wieder vermehrt fossile Brennstoffe wie Öl und Gas aus dem Mittleren Osten und Kohle aus Australien importiert. Im Energiemix machen Erneuerbare derzeit kaum acht Prozent aus, hinzu kommen rund vier Prozent, die die wieder laufenden Atomreaktoren beisteuern.

Damit sich Japans Abhängigkeit vom Import fossiler Energie schnellstmöglich aufhebt, will die Regierung nun verstärkt auf Wind- und Solarkraft setzen. Schon seit 2017 verfolgt sie zudem ihre Wasserstoffstrategie. Durch milliardenschwere Ausgaben für Forschung und Entwicklung soll sich der inländische Markt rund um Wasserstoff - von der Autobranche über das Immobiliengeschäft bis zu diversen mobilitäts- und energieverwandten Sektoren - bis 2030 um den Faktor 56 auf ein Volumen von 409 Milliarden Yen (rund 3,5 Milliarden Euro) multiplizieren. Zu Beginn des nächsten Jahrzehntes sollen im Land etwa 900 Wasserstofftankstellen stehen, 1200 Wasserstoffbusse fahren, und 5,3 Millionen Haushalte mit Wasserstoff versorgt sein.

Dass diese bereits älteren Vorgaben nun zum Ziel der Klimaneutralität aufgestockt worden sind, liegt auch am Konkurrenzdruck in der Region. Bevor sich Japans Premier Suga als neuer Verfechter nachhaltigen Wirtschaftens entpuppte, hatte ein Amtskollege aus der Nachbarschaft diesen Schritt gerade hinter sich. Moon Jae-in, Präsident von Südkorea und damit Regent des achtgrößten CO2- Emittenten der Welt, hatte schon im Juli zur Erholung von der Pandemie einen "Green New Deal" angekündigt, der die Netto-Emissionen auf Null drosseln will.

Nach Sugas öffentlichkeitswirksamem Auftritt am Montag sah sich aber auch Moon noch einmal gedrängt. Am Mittwoch sagte Südkoreas Präsident, dessen Land bisher nur zu sechs Prozent seiner Energieversorgung auf Erneuerbare setzt: "Wir werden gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft aktiv gegen den Klimanotstand vorgehen und bis 2050 Klimaneutralität erreichen." Kohlekraftwerke wolle man auch im Ausland nicht mehr mitfinanzieren und stattdessen auf koreanischem Boden aufforsten, selbst in Städten.

In Ostasien hat offenbar ein Wettstreiten darum begonnen, wer der Grünste der Region ist. Noch bevor die Regierungschefs von Japan und Südkorea ihre Marschrouten verkündeten, hatte nämlich schon im September Xi Jinping die Welt überrascht. Per Video sprach der chinesische Präsident vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York und verpflichtete sein Land, binnen 40 Jahren netto kein CO2 mehr freizusetzen. Bis 2060 müssten im 1,4-Milliardenland also diverse Kohlekraftwerke stillgelegt und Fabriken wie Autos umgerüstet oder ausgetauscht sein. Auch dies wird ein Kraftakt: China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist derzeit der mit Abstand größte Umweltverschmutzer, setzt fast doppelt so viel CO2 frei wie die USA. Die USA wiederum sind ein offensichtlicher Grund für diesen Vorstoß aus Peking. Während US-Präsident Donald Trump den Klimawandel leugnet und sein Land aus dem internationalen Klima-Abkommen ausgetreten ist, hat der Rivale China die Chance ergriffen, sich in dieser Sache als fortschrittlich zu präsentieren und die USA zugleich als rückständig aussehen zu lassen. Einen "mutigen und wohl kalkulierten Schritt" hat Greenpeace Asia die chinesische Selbstverpflichtung genannt.

Ähnlich sind die Überbietungen aus Japan und Korea zu verstehen, die das Ziel der Klimaneutralität nun zehn Jahre früher erreichen wollen. Dabei wird überall der Teufel im Detail stecken. So wird aus Japan schon offenbar, dass man zu klimaneutralen Energiequellen wohl auch Atomkraftwerke zählen will. Aber die Frage nach dem Umgang mit nuklearem Abfall, der jährlich in den Reaktoren entsteht und durch das Atomdesaster von Fukushima noch in großen Mengen freigesetzt wurde, ist damit noch nicht geklärt. Auch Südkorea hat im Rahmen seines "Green New Deal" keinen Atomausstieg angekündigt.

Ebenso ist bei der Nutzung von Wasserstoff fraglich, aus welchen Materialien dieser überhaupt gewonnen wird. Derzeit setzt man dabei vor allem auf fossile Brennstoffe. Erst die Zukunft wird zeigen, wie energieeffizient die Gewinnung aus Erneuerbaren sein kann. Außerdem betonen die Länder gern den Begriff der "Netto-Neutralität", was nicht bedeutet, dass gar kein CO2 mehr ausgestoßen werden soll. Nach diesem Prinzip muss nur eine der Freisetzung gleich große Menge an CO2 gebunden werden, etwa durch Aufforstung oder Lagerung in Salzstöcken. Klimaforscher bezweifeln, dass ohne deutliche Einsparungen im globalen Energieverbrauch genügend CO2 gebunden werden kann, um Netto-Neutralität zu erreichen.

Dennoch stehen neben der EU auch die drei größten Volkswirtschaften Asiens als Treiber des Fortschritts im Kampf gegen den Klimawandel da. Zudem dürfte dieser unweigerlich zu mehr Kooperation zwischen diesen drei Ländern führen, die angesichts zahlreicher Konflikte über Territorien, die Geschichte im Zweiten Weltkrieg und Handelsbeschränkungen zerstritten sind. Nun zieht man zumindest hier gemeinsam an einem Strang.

DK

Felix Lill