Brüssel
Gegenwind für Olaf Scholz

Deutliche Kritik an deutsch-französischem Vorschlag zu Finanztransaktionssteuer

03.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:17 Uhr
Eric Bonse

Brüssel (DK) Mit immer neuen Vorschlägen sorgt der deutsche Finanzminister Olaf Scholz für Verwirrung in Brüssel. Jetzt soll die schon totgesagte Finanztransaktionssteuer wiederbelebt werden - in abgespeckter Form

Die Debatte um die EU-Finanzreform hat eine neue Wendung genommen. Zur großen Überraschung der meisten anderen EU-Länder haben Deutschland und Frankreich gestern in Brüssel vorgeschlagen, die fast schon totgesagte Finanztransaktionssteuer wiederzubeleben. Gleichzeitig rückte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) von der eigentlich fest vereinbarten Digitalsteuer ab.

Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire schlugen vor, die Finanztrans- aktionssteuer deutlich abzuspecken. Ihr Entwurf sieht zunächst nur eine Besteuerung von Aktiengeschäften vor, nicht aber von Derivaten und anderen Finanzinstrumenten. Er baut offenbar auf der Börsensteuer auf, wie es sie in Frankreich bereits gibt.

Die Einnahmen aus der seit Jahren umkämpften Steuer sollen ganz oder teilweise an die EU fließen. Dort könnten sie auch das von Deutschland und Frankreich vorgeschlagene Euro-Budget auffüllen. Durch eine Verrechnung der Einnahmen könnten die EU-Beiträge der teilnehmenden Länder sinken, heißt es im Finanzministerium in Berlin.

Trotz dieses Lockrufs waren die ersten Reaktionen in Brüssel verhalten. "Es gibt Raum für Diskussionen", erklärte der Vize-Präsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis. Diskussionsbedarf meldete auch der österreichische EU-Vorsitz an: Finanzminister Hartwig Löger erklärte, bei dem Vorschlag handele es sich nicht mehr um eine umfassende Finanztransaktionssteuer, sondern um eine simple Börsensteuer.

Auch Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna ließ wenig Begeisterung erkennen. Der deutsch-französische Vorschlag werde bei den Beratungen nur eine Nebenrolle spielen, sagte er bei seiner Ankunft in Brüssel. Mehrere Europaabgeordnete äußerten sich bereits ablehnend. Der Finanzexperte Sven Giegold (Grüne) sprach von einem Etikettenschwindel. Scholz und Le Maire zerstörten ein "Gerechtigkeitsprojekt".

Um die Finanztransaktionssteuer wird in der EU seit bald zehn Jahren gerungen. Ursprünglich ging es um eine Art "Tobin Tax", mit der - als Lehre aus der globalen Finanzkrise - vor allem spekulative Geschäfte belastet werden sollten. Doch Großbritannien und Schweden legten ihr Veto ein. Danach versuchte eine Gruppe aus zuletzt noch zehn EU-Ländern, das Vorhaben umzusetzen. Sie konnten sich aber nicht auf Tragweite und Modalitäten der Steuer einigen.

Ein ähnliches Schicksal droht nun auch der Digitalsteuer, die Deutschland und Frankreich ursprünglich ebenfalls gemeinsam vorantreiben wollten. Doch zuletzt war Scholz immer weiter von der Idee abgerückt. Beim Treffen der EU-Finanzminister gestern in Brüssel wurden deshalb auch keine verbindlichen Beschlüsse mehr erwartet. Vielmehr zeichnete sich eine Beerdigung auf Raten ab.

In einem ersten Schritt soll die Digitalsteuer nun auf Mitte 2020 verschoben werden. Das hatte Scholz gefordert, um eine weltweite Lösung im Rahmen der OECD, dem Pariser Club der Industrieländer, möglich zu machen. In der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind jedoch auch die USA vertreten. Und die Amerikaner haben bisher alle Vorstöße zur Besteuerung der US-Internetgiganten Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) blockiert. Daran dürfte sich so schnell nichts ändern, auch wenn die EU mehr Druck machen sollte. Dennoch fordert Scholz, erst einen OECD-Bericht zur Digitalsteuer abzuwarten, der im Sommer 2020 erwartet wird.

Doch selbst wenn es bei der OECD keine Fortschritte gibt, soll die Digitalsteuer in der EU nicht automatisch in Kraft treten, wie dies Frankreichs Finanzminister Le Maire fordert. Mehrere EU-Staaten widersetzen sich einem "Vorratsbeschluss". Auch Scholz will sich alle Optionen offen halten. Damit rückt das deutsch-französische Projekt in weite Ferne.

Dabei ist die Digitalsteuer auch in Deutschland populär. Nach einer Emnid-Umfrage sind 75 Prozent der Deutschen und sogar 77 Prozent der SPD-Wähler dafür, dass große Internetunternehmen auf ihren Umsatz im jeweiligen EU-Land Steuern bezahlen. Scholz dürfte mit seinen Bremsmanövern also sogar bei seinen Genossen auf Unverständnis stoßen.

Eric Bonse