"Es lohnt sich, Corona als Zäsur zu nutzen"

Alexander Pöschl, Professor für Betriebswirtschaftslehre, über die geplante App, digitale Lehre und Inklusion

30.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:26 Uhr
Wer war wann wo? Die Corona-App soll erfassen, welche Smartphones einander nahegekommen sind und Nutzer warnen, wenn sie sich neben infizierten Personen aufgehalten hatten. Alexander Pöschl, Professor für Betriebswirtschaftslehre in Nürnberg, hätte sich eine europäische Lösung gewünscht. −Foto: dpa, privat

Ingolstadt - Die Digitalisierung rückt bei der Bekämpfung des Coronavirus immer stärker in den Fokus - vor allem durch die geplante Tracking-App.

Aber auch die Kontrolle von Geschäften oder Gaststätten durch Ticket-Systeme wird angedacht. Auf der anderen Seite kämpfen Menschen im Homeoffice und vor allem Schüler und Lehrer beim digitalen Lernen mit Schwierigkeiten. Wir haben mit Alexander Pöschl, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der dualen Hochschule IUBH in Nürnberg, über die Chancen der Digitalisierung, aber auch ihre Nachteile gesprochen. Der gebürtige Eichstätter hat die Beratungsfirma Digitalbetrieben GmbH mitgegründet, die der 34-Jährige vor Kurzem an ein mittelständisches IT-Unternehmen verkauft hat.

Herr Pöschl, die mit der geplanten Corona-App erfassten Daten sollen nun dezentral gespeichert werden- also auf dem Mobilgerät des Teilnehmers. Ist das der richtige Weg?

Alexander Pöschl: Welche Möglichkeit der Speicherung letztlich effektiver für die Eindämmung des Virus ist, werden wir erst im Nachhinein wissen. Aber alleine durch die Wahrung der Privatsphäre beim dezentralen Weg wird mehr gesellschaftliche Akzeptanz erreicht. Die Nutzer müssen nicht mehr auf die Vertrauenswürdigkeit und die Kompetenz des Betreibers der staatlichen Infrastruktur vertrauen, sondern haben ein Stück weit Eigenverantwortung. Abseits davon ist es zudem unmöglich, als Endnutzer die Sicherheit dieses Systems zu überprüfen und zu bewerten. Ich muss mich darauf verlassen, dass zum Beispiel keine Verknüpfung von IP-Adressen mit anonymen Nutzer-IDs geschieht. Schade finde ich, dass es keine gemeinsame europäische Lösung gibt, sondern jedes Land an seiner eigenen App bastelt.

Welche Nachteile sehen Sie bei der dezentralen Speicherung?

Pöschl: Möglicherweise kommt es zu ausgeprägten Diskussionen mit verschiedenen Anspruchsgruppen. Etwa Datenschützern, Virologen, Technologiefirmen wie Telekom und SAP oder Google und Apple als Hauptanbietern der Smartphones, Verbraucherschützern und Politikern. Da besteht die Gefahr, dass sich das Ganze sehr verzögert. Und die Freiwilligkeit der App kann dafür sorgen, dass viele einfach nicht mitmachen. Etwa, weil sie nicht wissen, wie es geht. Ich persönlich hätte es gut gefunden, wenn wir im Vorfeld eine öffentliche Debatte gehabt hätten mit einer Abwägung zwischen Datenschutz einerseits und Corona-Verfolgbarkeit andererseits. Und dann vielleicht eine Entscheidung hinbekommen hätten.

Wie schätzen Sie die Akzeptanz in der Bevölkerung ein?

Pöschl: Das ist schwer zu sagen, was aber definitiv notwendig ist, ist eine große Werbe- beziehungsweise Schulungskampagne dazu. Denn man muss alle Leute mitnehmen.

Die zunehmende Digitalisierung vieler Lebensbereiche stößt auch auf viel Kritik. Können Sie diese nachvollziehen?

Pöschl: Mein Eindruck ist, dass die wenigsten auf digitale Hilfen verzichten möchten. Seien es nun Webkonferenzen, Plattformen für die Essensbestellung oder die Online-Flugsuche. Andererseits ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt. Wir wissen weiterhin nicht wirklich, wer bestimmt, welche Botschaften ich in den Sozialen Medien bekomme und warum. Ist es der Algorithmus und wenn ja, wer hat den wie programmiert? Oder beim Homeoffice: Viele kontrollieren abends schnell noch mal die Mails. Wie belastend ist das? Wie geht es den Menschen seelisch? Welche Regeln stellt der Arbeitgeber auf? Ein anderes Thema ist, Datenlecks zu verhindern, die es ja alle paar Monate gibt. Sie sehen, es hat wirklich Vorteile, wenn man die Digitalisierung aktiv und mit eigener Kompetenz versucht zu gestalten.

Aber das überfordert viele Menschen.

Pöschl: Aktuell ist das so. Aber auch hier muss mehr geschult werden, müssen mehr Kampagnen gefahren werden. Denn das Thema lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Wir werden in einer viel digitalisierteren Welt leben als bisher.

Werden Menschen, die sich dem verweigern, ausgeschlossen?

Pöschl: Das ist ja heute leider schon so. Denken Sie an Enkel, die ihre Oma nicht mehr besuchen können, sondern hoffen, dass die Oma WhatsApp hat. Deutschland zählt neben Japan und Italien zu den reichen Ländern, die wegen der Demografie sehr viel Wert darauf legen müssen, dass die ältere Generation nicht hinten ansteht. Auch hier würde ich mir mehr Inklusion wünschen. Es gibt ja diverse Dienstleistungen, um Menschen in Altenheimen etwa mit Tablets zu versorgen. Das müsste man ausweiten. Aber das ist wie so oft eine Frage von Ressourcen, Zeit und Geld.

Man legt aber doch Daten offen, die man vielleicht nicht offenlegen möchte. Wie digital muss eine Gesellschaft denn sein?

Pöschl: Ja, das ist so. Viele Anbieter wie Amazon oder Google machen es deutschen oder europäischen Firmen nicht leicht, zu überleben. Aber den Strukturwandel oder Wandel durch neue Ideen hat es immer schon gegeben. Doch dort, wo es zu Monopolen oder starken Abhängigkeiten - wie bei der Nutzung persönlicher Daten - kommt, fängt ein solches System an, gefährlich zu werden. Deswegen gibt es staatliche Einrichtungen wie die Bundesnetzagentur, die auf den Datenschutz achten. Auf Internetseiten gibt es Cookie-Meldungen und Datenschutzeinstellungen, die von vielen Nutzern jedoch einfach ignoriert werden. Vielleicht, weil es so komplex ist oder der Nutzer sich nicht interessiert. Es braucht auch hier mehr Informationen dazu, wie so ein digitalisiertes Leben aussehen kann - mit allen Chancen und Risiken.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat gerade vorgeschlagen, den Zugang zu Geschäften, Hotels oder Fußgängerzonen über Ticket-Systeme zu begrenzen. Das ließe sich auf Museen oder Zoos ausweiten. Ist das ein gangbarer Weg, um der Pandemie Herr zu werden?

Pöschl: Generell halte ich es schon für einen gangbaren Weg, wenn die Vorgaben beim Datenschutz eingehalten werden. Das kann man mit einem schlichten Reservierungssystem gut machen. Wünschenswert wäre es, wenn es für Menschen ohne Smartphone eine Art zweite Linie geben würde, die man analog nutzt. Es darf zu keiner Ausbremsung von Menschen führen, die keine modernen Technologien nutzen.

In der Corona-Krise werden auch die Schwierigkeiten bei der virtuelle Lehre offengelegt - an Hochschulen und vor allem an den Schulen. Was ist da das größte Problem?

Pöschl: Ich lehre seit dem Semesterstart vor rund drei Wochen ausschließlich online. Im Großen und Ganzen klappt das gut. Die Hauptschwierigkeit hier ist, dass Inhalte, die vorher für eine physische Interaktion mit den Studierenden oder Schülern konzipiert wurden, nicht ohne Weiteres für die virtuelle Lehre übernommen werden können. Denn man sieht die Mimik und Gestik der Leute nicht. Es gibt vielleicht auch Barrieren, Fragen zu stellen. Das ist in den Schulen noch mal brisanter als an den Hochschulen. Was ich noch erlebe, ist, dass nicht alle Studierenden über eine schnelle Internetverbindung verfügen. Da fällt uns wieder das Thema Ausbau des Internets auf die Füße.

Was sollten wir aus der derzeitigen Situation lernen?

Pöschl: Es lohnt sich, Corona als Zäsur, als Initialzündung zu nutzen und wirklich darauf zu achten, dass es einen Plan B gibt. Was ist, wenn Schulen und Hochschulen nicht betreten werden können, Kinder über Monate zu Hause sind? Wie können digitale Abiturprüfungen durchgeführt werden? Solche Szenarien sollten definitiv erstellt und simuliert werden.

Viele Menschen stoßen auch im Homeoffice oft an technische Grenzen. Hat Deutschland hier den Anschluss verpasst?

Pöschl: Ich selbst habe in Schweden und Holland gearbeitet und studiert. Dort ist man weiter im Bereich Breitbandausbau. Bei uns können sie schnell Probleme beim Einloggen haben, wenn sie nicht in Ingolstadt, Nürnberg oder München wohnen. Diesen Punkt sollten wir nach Corona energisch angehen. Viele Firmen merken jetzt auch, dass die Digitalisierung bei der Aufrechterhaltung von Strukturen helfen kann. Nicht zuletzt steigen die Aktienkurse von Microsoft oder Zoom gerade sehr stark an, weil Investoren glauben, dass in der Post-Corona-Welt Firmen verstärkt in die Fernzugriffsinfrastruktur investieren, etwa in Online-Speicherplatz oder Konferenztechnologie. Aber mindestens genauso wichtig sind kulturelle Grenzen. Vor Corona wurde ja oft die physische Anwesenheit im Büro gleichgesetzt mit Leistung - das kann definitiv nicht mehr so gesehen werden. Bei einem dauerhaften Homeoffice allerdings kann es schwer sein, abends den Kopf freizukriegen.

Welche Aufgaben kommen auf die Firmen zu?

Pöschl: Wir kämpfen bei der Digitalisierung an zwei Fronten: Die meisten Firmen in Deutschland verstehen die Digitalisierung als etwas, was ihnen hilft, effizienter zu werden, Prozesse schlanker zu machen. Was viele Unternehmen vor Corona nicht gemacht haben, ist die Geschäftsmodelle digitaler zu machen. Firmen, die derzeit gut über die Runden kommen, sind diejenigen, die liefern können, die digitale Abos verkaufen, die bargeldlose Bezahlung anbieten, die eine spannende Internetpräsenz haben. Auch da wird Corona eine Zäsur.

DKDie Fragen stellte Sandra Mönius.