"Es geht nicht nur um subjektive Ästhetik"

24.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:29 Uhr
Was schön ist und was nicht, ist Geschmacksache. Design ist aber immer auch eine Frage der Funktion. Und hier gibt es durchaus gut und schlecht. −Foto: Kalaene, dpa, privat

Am Montag ist Welttag des Designs. Grund genug, mit einem Experten über das Thema zu sprechen. Markus Frenzl, Professor für Design- und Medientheorie, erklärt, warum Design schwer zu definieren ist, wie wichtig es für den Erfolg eines Produkts ist und ob gutes Design überhaupt existiert.

Herr Frenzl, eine ganz einfache Frage zum Auftakt unseres Gesprächs: Was ist Design?
Markus Frenzl: Das ist eine Frage, die ich oft gestellt bekomme und die mich immer wieder überrascht. Das kenne ich von keiner anderen Disziplin. Ein Architekt wird ja auch nicht gefragt, was eigentlich Architektur ist. Wir scheinen also immer noch ein Definitionsproblem zu haben - obwohl unsere Disziplin nun auch schon mehr als hundert Jahre alt ist. Die Frage, was Design genau ist, ist aber tatsächlich schwer zu beantworten. Es gibt Aphorismen wie "form follows function" oder "Design ist die Synthese von Form und Funktion". Aber das greift natürlich viel zu kurz. Vielleicht ist eine klassische Definition auch gar nicht nötig.

Was ist also Ihre Antwort?

Frenzl: Design ist eine spätestens seit der Industrialisierung existierende Disziplin, die im Zuge der Aufgabenteilung entstanden ist. Es gibt je nach Betrachtung verschiedene historische Punkte, an denen die Design-Geschichte beginnt. Das kann das 17. Jahrhundert sein, als in den Porzellanmanufakturen zwischen Entwurf und Fertigung getrennt wurde. Andere sprechen von Design seit der Weltausstellung 1851 in London und dem Crystal Palace. Man kann aber auch sagen, dass die Formgebung von allem, was wir produzieren, benutzen und was nicht natürlich vorkommt, schon seit dem ersten Faustkeil Teil der menschlichen Zivilisation ist und Design untrennbar zu unserer Kultur gehört.

Demnach gehören Design, Entwicklung und Produktion zusammen. Welche Rolle spielt Design im Produktionsprozess?
Frenzl: Die Vorstellung, dass Design am Ende einer Entwicklung steht und ein Ding zum Schluss noch schön macht, ist zwar weit verbreitet, aber falsch. Design ist ein komplexer Prozess, der während der Entwicklung die gesamte Nutzungsstruktur bedenkt. Das beginnt beim Nutzer und der Funktionsfähigkeit und geht bis zur späteren Entsorgung. Wir unterscheiden in der Designtheorie beispielsweise zwischen formalästhetischen, anzeichenhaften und symbolischen Funktionen, die alle zusammenspielen.

Ich muss gestehen, dass ich nun Hemmungen habe, Sie zu fragen, was dann "gutes" und was "schlechtes" Design ist...
Frenzl: Das hängt immer vom jeweiligen Kontext, von der Aufgabe und von der Nutzung eines Objekts ab. Hier liegt ja auch der interessante und große Unterschied zur Kunst: Für Design gibt es immer Nutzer und Auftraggeber, deren Anforderungen man im Entwurf berücksichtigen muss. Ein Designer entwirft meist für ein Unternehmen, das bestimmte Zielgruppen bedienen will oder gewisse Aufgaben stellt. Das kann etwa Umweltverträglichkeit sein. Oder, dass ein Produkt gut in eine Schachtel für den Online-Versand gefaltet werden kann. Ein Entwurf, der den verschiedenen Anforderungen und Kontexten entspricht oder nicht, kann dann auch als "gutes" oder "schlechtes" Design gelten. Es geht also keineswegs nur um subjektive Ästhetik.

Und welche Rolle spielt Design demnach für Unternehmen?
Frenzl: Eine sehr große. Firmen positionieren sich über Design auch beim Verbraucher - und zwar in jeder Hinsicht. Neben der Gestaltung der Produkte kommt hier etwa Kommunikationsdesign ins Spiel: Wofür möchte ein Unternehmen stehen? Was ist wichtig? Wen will man erreichen? All das kann über Design vermittelt werden.

Und wie wichtig ist Design für den Erfolg eines Produkts?
Frenzl: Design ist ganz zentral für den Erfolg eines Produkts. Wenn etwas schlecht durchdacht ist - zum Beispiel ein Luftbefeuchter für das Schlafzimmer, der in der Nacht hell blinkt - dann hat jemand nicht mitgedacht. Zu einem Produkt, das funktional nicht durchdacht ist oder meiner Lebenswelt nicht entspricht, entwickle ich als Verbraucher keine Beziehung. Die Unterscheidung zwischen "Design-Produkten" und nicht-designten Produkten ist dabei das nächste spannende Missverständnis. Richtig ist, dass es keine Produkte gibt, die nicht gestaltet worden sind. Nehmen Sie als Beispiel Apple. Hier sind viele vom hohen Preis abgeschreckt und denken, sie zahlen mehr, weil das Tablet "designt" wurde. Es gibt aber keine "undesignten" Tablets. Produkte sind durch ihr Design höchstens unterschiedlich am Markt positioniert. Und einige Hersteller setzen hier eben deutlicher auf aktuelle Designtrends als andere.

"Gutes" Design muss demnach immer mit der Zeit gehen.
Frenzl: Erfolgreiche Entwürfe sind technologisch und kulturell immer Ausdruck ihrer Zeit. Dazu gehört auch, dass ein Produkt formalästhetisch ansprechen muss. Design sollte aber auch bestimmte Fragen beantworten: Bin ich mit einem Produkt technisch auf der Höhe der Zeit? Passt es in meine Lebenswirklichkeit? Wie kann es entsorgt oder recycliert werden? Wie sozial und nachhaltig wird es produziert? Markenlogos werden daher heute viel enger damit verknüpft, wie ein Produkt gefertigt wird und welche soziale Verantwortung ein Unternehmen übernimmt. Denken Sie etwa an Adidas und das Marketing-Fiasko mit den Ladenmieten. Hier hat man die Zeichen der Zeit nicht richtig gedeutet. Da nutzt auch das allerbeste Corporate Design nichts mehr.
Also reichen das hübscheste Logo und das beste Werbe-Design nicht mehr aus, da heute immer auch gesellschaftliche Themen und neue technische Entwicklungen damit verknüpft sind?
Frenzl: Design ist letztlich immer auch die Gestaltung von Gesellschaft. Deshalb wird auch die Gestaltung von Dienstleistungen und Abläufen, aber auch Design im Kontext von sozialem Wandel, Digitalisierung und Klimafragen immer wichtiger. Design ist nicht dazu da, inhaltliche Fehler zu kaschieren. Ein hervorragendes Logo allein kann ein schlechtes Image also nur bedingt aufwerten.

Lassen Sie uns noch kurz bei Markenlogos bleiben: Wie gefährlich kann es für eine Firma sein, ein sehr bekanntes Emblem deutlich umzugestalten?
Frenzl: Die Autohersteller etwa überarbeiten ihre Logos seit Jahrzehnten immer in so kleinen Schritten, dass es der Verbraucher kaum bemerkt. Große Veränderungen wie etwa bei VW, die gerade ihr Markenlogo neu gestaltet und vereinfacht haben, sind eher selten. Viele Unternehmen kehren gerade wieder zu schlichten, flächigen Logos zurück.

Und woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Frenzl: Noch vor 15 Jahren waren viele Logos - vor allem auch die der Automobilhersteller - oft dreidimensional, wirkten wie aufgeblasen und hatten Lichtreflexe und Schatten. Die Rückkehr zum Zweidimensionalen und Simplen lässt sich als Bedürfnis nach mehr Authentizität unserer Zeit und auch als Ausdruck des Digitalen deuten. Wir kommunizieren verstärkt über digitale Geräte, bei denen ein Logo auch in einer starken Verkleinerung funktionieren muss. BMW hat beispielsweise gerade ein eigenes Kommunikationslogo eingeführt, das gut im Web funktioniert. Auf dem Auto findet man weiter das klassische Emblem.

DK

Das Gespräch führteChristian Tamm.