Ingolstadt
Das Thema Unternehmensnachfolge gehört nicht auf die lange Bank

Allein in Bayern stehen 27 400 Firmen vor der Übergabe - Commerzbank warnt Chefs: Wer nicht rechtzeitig plant, gefährdet sein Lebenswerk

12.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:09 Uhr

Ingolstadt/Regensburg (DK) Für den deutschen Mittelstand verschärft sich ein schon länger bekanntes Problem: die Frage der Unternehmensnachfolge.

Mehr als ein Drittel der Chefs kleiner und mittelgroßer Betriebe (KMU) ist über 55 Jahre alt, doch viele können oder wollen nicht ans Aufhören denken. Dabei nehmen die Probleme, die mit Firmenübergaben verbunden sind, in nächster Zeit eher noch zu. Christoph Bräu, Leiter Unternehmenskunden in der Commerzbank-Niederlassung Regensburg, rät daher im Gespräch mit unserer Zeitung betroffenen Firmenchefs, rechtzeitig mit der Planung der Unternehmensnachfolge zu beginnen. Denn die nimmt nach seiner Erfahrung "etwa drei bis fünf Jahre in Anspruch".

Die Zahlen unterscheiden sich deutlich: Während das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn mit gut 150 000 bis zum Jahr 2022 zur Übergabe anstehenden Klein- und Mittelstandsunternehmen rechnet, geht die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in einer Sonderauswertung ihres Mittelstandspanels sogar von etwa 511 000 betroffenen "Existenzgründungen" aus. Und 64 Prozent der in Frage kommenden Mittelständler haben bislang noch keinerlei Gedanken an den betrieblichen Generationswechsel verschwendet, wie es weiter heißt.

Alleine in Bayern "stehen in den kommenden drei Jahren mehr als 27400 Familienunternehmen zur Übergabe an", rechnet Bräu vor und bezieht sich dabei auf die IfM-Daten. Immerhin sind demnach 34 Prozent der KMU-Chefs im Freistaat bereits 55 Jahre und älter. Da sollte eigentlich das Thema Übergabe auf der Tagesordnung stehen, denn "wer mit der Nachfolgeregelung zu lange wartet, gefährdet sein Lebenswerk", warnt Bräu. Dabei kommen Verkäufer und Käufer bereits heute immer schwieriger zusammen. Zwar bestehe "an Kaufinteressenten kein Mangel", weiß Bräu, doch haben 70 Prozent der potenziellen Übernehmer einem Report des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) von 2018 zufolge noch kein passendes Unternehmen gefunden - so viele wie nie zuvor. Und umgekehrt melden 47 Prozent der verkaufswilligen Senior-Unternehmer bei der Nachfolgersuche Fehlanzeige. Auch dies ein neuer Höchststand.

Die Ursachen sind vielfältig: Bräu betont, jede Unternehmensübergabe sei ein mit starken Emotionen belastetes Thema. Viele Senior-Chefs könnten sich nicht von ihrem Betrieb trennen, hätten Schwierigkeiten, Nachfolger in der Familie zu finden, oder hätten viel zu hohe Erwartungen hinsichtlich des Kaufpreises. Dazu kommen nach DIHK-Erfahrungen Hindernisse wie der Fachkräftemangel, zunehmende Bürokratie, Unsicherheiten hinsichtlich der Erbschaftssteuer oder unterlassene Investitionen etwa in die Digitalisierung. Verschärft werden die Probleme derzeit auch noch durch das aktuelle wirtschaftliche Umfeld. Die von US-Präsident Donald Trump vom Zaun gebrochenen Handelskonflikte, die Gefahr eines EU-Austritts der Briten ohne Vertrag sowie die massiven Umwälzungen ganzer Branchen wie der Automobilindustrie und damit einhergehend schwächere Wachstumserwartungen verunsichern Firmenkäufer wie -verkäufer zusätzlich, so die Bremer Beratungsgesellschaft KERN in einer aktuellen Trendanalyse.

Auch die Bremer Nachfolgespezialisten raten älteren Unternehmern dringend dazu, rechtzeitig mit der Planung der Firmenübergabe zu beginnen - und zwar verstärkt auch außerhalb des eigenen Betriebes. Hilfestellung bieten dabei nicht nur die KERN-Fachleute, sondern gerade auch die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern oder Geldinstitute wird die Commerzbank.

Das Geldinstitut, das sich schon frühzeitig auf den Mittelstand konzentriert hat, wartet seit einem Jahr mit einem eigenen Nachfolgeportal auf. Dort, so Bräu, könne jeder übergabewillige Unternehmer etwa "online den Wert seiner Firma berechnen und Interessenten suchen". Außerdem baut die Bank jetzt ein Netzwerk von Beratern, Anwälten und Steuerkanzleien auf, die sich auf das Thema Unternehmensnachfolge spezialisiert haben, wie Bräu im Gespräch berichtet.

Carsten Rost