Chemnitz/Frankfurt/Wolfsburg
Gleiches Geld für gleiche Arbeit - Erste Schritte im Osten

12.05.2021 | Stand 20.05.2021, 3:33 Uhr
Die Volkswagen Sachsen GmbH - hier der Standort in Zwickau. −Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa

Im Osten müssen viele Beschäftigte länger arbeiten als im Westen. VW macht damit Schluss. Andere müssen warten. Doch die Gewerkschaft IG Metall sieht erste Steine aus der Mauer fallen.

Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung erhalten die VW-Beschäftigten in Sachsen eine Perspektive für gleiche Arbeitsbedingungen wie im Westen. Bis 2027 soll die Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden sinken, wie aus einer Ankündigung vom Mittwoch hervorgeht.

Beim Flächentarif der Metall- und Elektrobranche ist das aber noch nicht in Sicht. Beim Tarifabschluss in Sachsen am Dienstagabend gelang der IG Metall keine Ost-West-Angleichung. Die Arbeitgeber sagten aber weitere Gespräche zu. Dabei soll eine Tarifregelung gefunden werden, die auf betrieblicher Ebene Schritte zum West-Niveau ermöglicht.

Volkswagen holt seine drei sächsischen Standorte Zwickau, Chemnitz und Dresden in den kommenden Jahren unter das Dach der VW AG. Die rund 10.000 Beschäftigten der Tochter Volkswagen Sachsen GmbH profitieren damit auch von einem Wechsel aus dem Flächentarifvertrag der Metall- und Elektrobranche in den VW-Haustarifvertrag.

Die Wochenstunden in Ostdeutschland sollen bis 2027 von heute 38 auf 35 sinken. 2022 geht es mit einer Reduktion auf 37 Arbeitsstunden los, 2024 und 2026 sinkt die Stundenzahl weiter. Die Verschmelzung mit der aus Wolfsburg gesteuerten AG soll ein Jahr später vollzogen sein, die Sachsen GmbH dann aufgelöst werden.

Der sächsische Betriebsratschef Jens Rothe zeigte sich zufrieden: „Mehr als 30 Jahre nach der Wende ist dieser Schritt überfällig.“ Die neue Konzernbetriebsratschefin Daniela Cavallo äußerte sich ähnlich, „gesellschaftspolitisch“ sei die Integration längst geboten. Personalvorstand Gunnar Kilian sprach vom „Schließen der Tariflücke“. Auch Altersvorsorge- und Urlaubsregelungen sollen angepasst werden. Management und IG Metall hatten in den vergangenen Monaten über das Thema verhandelt.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sagte: „Volkswagen geht damit bewusst einen anderen Weg als andere westdeutsche Unternehmen, die ihre Werke im Osten weiter als verlängerte Werkbänke behandeln und zum Teil sogar schließen.“

Für VW spielen die sächsischen Standorte inzwischen eine zentrale Rolle. Zwickau bildete mit dem Produktionsstart der Elektromodelle ID.3 und ID.4 eine Art Vorhut beim Konzernumbau. Die Fabrik wurde als erste auf großvolumige E-Fertigung umgestellt, in den nächsten Jahren folgen Emden und Hannover sowie Werke in China und in den USA.

VW war in den Wende-Jahren 1989 und 1990 in die traditionsreiche Autoproduktion der Region eingestiegen. In Sachsen liegen etwa die Wurzeln der heutigen Oberklasse-Tochter Audi, in der DDR entstand dort im VEB Sachsenring auch der Trabant. Zunächst beteiligte sich VW an einem Joint Venture für Komponenten in Lizenzfertigung. Ab den 1990er Jahren wurden dann Modelle wie der Polo oder Golf gebaut.

Kernmarken-Chef Ralf Brandstätter erklärte, die Mehrkosten würden durch „standortbezogene Kompensationsmaßnahmen“ aufgefangen. Nähere Details wurden nicht genannt - gleichzeitig solle die Produktivität um fast ein Drittel steigen. Die Rede ist von „Flexibilisierung beim Mitarbeitereinsatz, Neuausrichtung der Fertigungsorganisation sowie konsequenten Kostensenkungen durch Synergien mit den Strukturen und Prozessen der Volkswagen AG“.

Die Beschäftigten im Flächentarif der Metall- und Elektroindustrie im Osten müssen vorerst weiter länger für ihr Geld arbeiten als die Kollegen im Westen. Auch für Sachsen wird nun der Pilotabschluss aus Nordrhein-Westfalen übernommen. Nach der Einigung vom Dienstagabend erhalten die Beschäftigten in Sachsen dem Pilotabschluss entsprechend eine Corona-Prämie von 500 Euro in diesem Jahr sowie dauerhafte Sonderzahlungen vom kommenden Jahr an. Die neue Sonderzahlung wird erstmals im Februar 2022 in Höhe von 18,4 Prozent eines Monatsentgelts fällig. Zum Februar 2023 steigt diese Sonderzahlung auf 27,6 Prozent des Monatsentgelts und wird dann jährlich gezahlt.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten kämpft die IG Metall für die 35-Stunden-Woche im Osten, denn so lange schon gibt es sie in den westdeutschen Bundesländern. Auch diesmal wurde das Verhandlungsziel im Bezirk Berlin, Brandenburg, Sachsen trotz zahlreicher Warnstreiks verfehlt. Nun soll es in Betriebsvereinbarungen erreicht werden. „Die Fläche setzen wir dann auf diese Weise zusammen“, sagte die IG-Metall-Bezirksleiterin Birgit Dietze.

In Sachsen beschäftigt die Branche mehr als 180.000 Menschen. Dem tarifschließenden Arbeitgeberverband gehören nach dessen Angaben aber nur Unternehmen mit insgesamt 25.000 Beschäftigten an. Offen ist die Tarifrunde jetzt nur noch im Tarifbezirk Berlin-Brandenburg.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall begrüßte die Einigung. „Nun ist der Weg für die von den Arbeitgebern immer geforderten betrieblichen Lösungen innerhalb des Flächentarifvertrages durch freiwillige Betriebsvereinbarungen und eben nicht durch Haustarifverträge vorgegeben.“

In der Frankfurter Gewerkschaftszentrale hieß es, erste Steine brächen aus der Mauer. „Damit ist der jahrzehntelange Widerstand der Arbeitgeber gebrochen, zu verbindlichen Stufenplänen der Angleichung zu kommen“, betonte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Aber schon 2018 waren in Sachsen Gespräche zur Angleichung vereinbart worden. Die Unterschiede blieben.

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dpa